Atmosphärisch, düster, hoffnungsvoll

Auf seinem siebten Solo-Album EXO empfiehlt sich Marcel Gschwend als Komponist für Filmmusik. Das sei ein lang gehegter Wunsch von ihm, sagt der ursprünglich aus St.Gallen stammende, heute in Zürich lebende Produzent und Musiker. «Für Soundtracks interessiere ich mich, seit ich elektronische Musik mache. Ich habe schon Kurzfilme vertont und live zu Stummfilmen improvisiert, auch mit anderen Musikern zusammen. Spielfilme aber noch nicht. EXO sehe ich daher als Referenz, um zukünftig mit Regisseuren zusammenzuarbeiten.»
Wer Bit-Tuner kennt, weiss, dass Komödien oder Lovestorys dafür nicht unbedingt in Frage kommen. Seine auch schon als Acid Dub bezeichnete elektronische Musik war stets von einer gloomy Grundstimmung geprägt.
Die neuen Aufnahmen, die gut als Untermalung für Science-Fiction- oder Horrorfilme taugen würden, machen da keine Ausnahme: «Ich interessiere mich seit 20 Jahren für Soundtracks aus diesen Genres. Das hat mein Schaffen sicher geprägt», sagt er. «In den vergangenen Jahren habe ich einige Ideen aus dieser Richtung gesammelt. Bei der Auswahl für EXO haben mich diese Stücke am meisten überzeugt. Es hat sich eine Art Sog entwickelt, der das Ganze konsequent verdichtet und den Effekt als Album intensiviert hat.»
Field Recordings in Athen
Das Album ist ein Ausflug in vielschichtige, dramatisch aufgebaute musikalische Landschaften. Die ungefähr zwischen drei und sechs Minuten dauernden Stücke verbreiten unheilverkündende Vibes. Schwergewichtige Basslines sind weiterhin enthalten – Musik ohne die für Bit-Tuner typischen Beats zu produzieren, sei allerdings eine Herausforderung gewesen, bekennt der 41-Jährige.
Field Recordings, in Athen und Kairo entstanden, und ein gut vertretener halb modularer griechischer Synthesizer sowie Ausschnitte und Samples aus Live-Sets bilden das Gerüst seiner elektronischen Sound-Architektur. «Die Idee war, diese verschiedenen Quellen auf eine organische Weise miteinander zu verbinden und so zu arrangieren, dass konkrete Stücke entstehen», beschreibt Bit-Tuner das Zusammenfügen der Schnipsel in seinem Studio in Albisrieden.
Besonders der Aufenthalt in Griechenland hat die dystopische und schwermütige Atmosphäre des Albums beeinflusst. «Ich war während zwei Jahren mehrheitlich in Athen, weil meine Partnerin für die documenta 14 gearbeitet hat. Ich hatte viel Zeit, die Stimmung dieser Stadt zu erfassen und auch akustisch aufzunehmen, was sich in meinen musikalischen Skizzen und Kompositionen widerspiegelt.» Wer das als Wiedergabe des dortigen strukturellen Wandels interpretiere, liege sicher nicht falsch. «Das Projekt ist aber nicht explizit so gedacht», erklärt er.
Reise in eine fremde 3D-Welt
Welche Bilder die Tracks im Kopf des Publikums entstehen lassen können, zeigt exemplarisch der aus Luzern stammende Videokünstler Joerg Hurschler. Sein 3D-Beitrag, der die Grenzen zwischen Film und Musikvideo verwischt, war sein grösstes Projekt 2019. Hurschlers von fremden Wesen bevölkerte 3D-animierte Welt ist die visuelle Interpretation des Bit-Tuner-Trips.
Joerg Hurschler präsentiert seine sonderbare 3D-Welt, live vertont von Bit-Tuner, an der Plattentaufe: 7. Dezember, Palace St.Gallen.
Danach leitet die Luzerner Musikerin Belia Winnewisser mit ihrem Live-Set in die Nacht über, bevor Bit-Tuner abermals mit einem Club-Set seine Bässe in den Saal feuert. Umrahmt wird die Nacht vom Zürcher DJ Ink.
«3D-Animation hat den Vorteil, keine Technik, kein Team und keine Schauspieler zu benötigen», sagt er. «Sie stellt momentan einen Schwerpunkt meiner Arbeit dar, weil ich es mag, alles selbst am Computer zu entwickeln. Das ist ein wenig wie Gott spielen.»
Bit-Tuners Stücke riefen in ihm Visionen hervor, die er seit seiner Jugend in sich trage. «Ich sehe etwas Schleimiges, Fremdes vor meinen Augen, und ein beengendes Gefühl steigt in mir noch», beschreibt Hurschler seine Erfahrung.
Er visualisierte diesen Eindruck als Tentakelwesen, das metallische sowie organische Elemente in sich trägt. «Mothergene» taufte er das im Zentrum seiner Animation stehende, von grünen, wirbellosen «Genes» umgebene Wesen. «Die Zuschauer sollen die Bilder aus meinem Kopf so erfahren, wie ich sie mir vorgestellt habe», sagt der 34-Jährige.
Ihre Zusammenarbeit stellt für beide Künstler ein Experiment dar. Funktioniert diese neue Form des cineastischen Storytellings live? Wirken die verstörenden Bilder, welche die ohnehin bedrohlich klingende Musik begleiten, nicht zu krass in einem Club?
Das sollte jeder für sich selbst herausfinden, findet Hurschler. «Ich habe in der Musik nicht nur düstere, sondern auch hoffnungsvolle Elemente entdeckt. Diese haben ebenso Eingang in meine Albumvisualisierung gefunden.»