Dans-Boek 4: Appetit auf Theater

Wer zur Theaterszene gehört und en vogue sein will, pilgert im Mai nach Brüssel. Saiten-Kolumnistin Jeanne Devos berichtet in ihrem Online-Tagebuch über das «kunstenfestival» und allerhand Beigemüse.
Von  Gastbeitrag

Das Kunstenfestivaldesarts ist ein internationales Kunstfestival, welches zeitgenössische Kreationen aus den Bereichen Theater, Tanz, Performance, Film und bildende Kunst zeigt. Innerhalb von drei Wochen treten belgische und internationale Künstlerinnen und Künstler in über 20 Theatern, Galerien und im öffentlichen Raum auf.

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Es ist also nicht verwunderlich, dass ich seit einer Woche immer wieder auf bekannte Gesichter treffe. Sie alle suchen nach neuen und ungewohnten Theaterformen. Manche suchen aber auch einfach nur etwas zu essen. Wie beispielsweise mein Besuch aus München. Da ich mir aber die Aufführungen des Festivals nicht entgehen lassen will, habe ich ein nahrhaftes Programm aus Restaurant- und Theaterbesuchen zusammengestellt.

Spanische Konzept-Frittes

Am Freitag gibt es zur Vorspeise Wildspargelsalat, dann esoterisches, einschläferndes Tanztheater  und als Nachspeise ein, zwei  Bierentdeckungen.

Am Samstag starten wir klassisch mit Moules et Frittes, gehen dann über zu Konzepttheater aus Spanien mit einer sehr guten Grundidee und einer sehr dummen Umsetzung und beenden das Ganze mit dem Runterspülen des Hauptgangs zusammen mit vielen Vertretern verschiedener europäischer Festivals. Diese reden im übrigen allesamt begeistert über die neue Arbeit von Milo Rau, hier die Nachtkritik-Besprechung.

Am Sonntag werden uns zur Vorspeise köstliche libanesische Kleinigkeiten serviert. Als Hauptgang wählen wir überwältigendes thailändisches Lichttheater. Da ich dann die Kolumne schreiben muss, fällt die Nachspeise aus. Das ist aber nicht schlimm. Nach diesem fantastischen Hauptgericht brauche ich nichts mehr.

Was ist Realität, was ist Bühne?

Wer jetzt glaubt, ich hätte die ganze Woche nur Theater geschaut, der irrt sich. Zehn Tage lang habe ich selber mit einer kleinen Gruppe aus Schauspielerinnen, Schauspielern und Dramaturgen sieben Stunden pro Tag über Theater nachgedacht. Die dabei entstandenen Ideen haben wir versucht, szenisch umzusetzen, was in eine öffentliche Präsentation am Ende des Workshops mündete.

Der Workshop wurde vom iranischen Theaterregisseur Amir Reza Koohestani geleitet und hatte eigentlich bereits eine Woche vorher begonnen; Koohestani gab uns Teilnehmern den Auftrag, Tagebuch zu führen. Dieses mussten wir dann am ersten Tag vor den anderen auf der Bühne präsentieren. Damit hatten wir also das Grundmaterial dessen, was uns nun zehn Tage lang beschäftigte: Was ist Realität? Was ist Realität auf der Bühne? Und kann es unterhaltend sein, wenn wir diese Realität selbst sind? Erstaunlicherweise ja, sagten uns zumindest Zuschauer unserer Abschluss-«Vorstellung».

Für mich selbst bleiben von diesem Workshop lange Momente erstaunlicher Intimität, die aufregende Begegnung mit Amir und den Kursteilnehmern und vier iranische Filme auf meinem Laptop. Die gab mir Koohestani in der vollen Überzeugung, dass die Weitergabe bedeutenden Kulturguts wichtiger sei als die strikte Befolgung des Urheberrechts.

jeanne1 KopieJeanne Devos, in Heiden aufgewachsen, hat Schauspiel in Bern und Zürich studiert, war 2010-2013 am Deutschen Nationaltheater Weimar engagiert und ist seither als freischaffende Schauspielerin tätig. In «Hamlet», der Eröffnungspremiere der Spielzeit 2016/17, wird sie als Gast am Theater St.Gallen zu sehen sein. Sie berichtet auf saiten.ch bis zum Sommer im Tagebuch «Dans-Boek» aus Brüssel.