Vom Stummfilmkino zum Kulturtreff

Rund 50 Jahre nach seiner Schliessung spielt das Kino Apollo wieder eine wichtige Rolle im kulturellen Leben von Kreuzlingen. Der historische Ort ermöglicht kreative Begegnungen und bietet Platz für Neues. 

Land­auf, land­ab sind in den ver­gan­ge­nen Jah­ren di­ver­se Ki­nos ge­schlos­sen wor­den. Mit ih­nen sind auch wich­ti­ge Treff­punk­te ver­schwun­den. Die Grün­de für das lan­des­wei­te Ki­no­ster­ben sind viel­fäl­tig und rei­chen von den er­heb­li­chen fi­nan­zi­el­len Ein­bus­sen wäh­rend der Co­vid-Pan­de­mie über Strea­ming-Diens­te bis zu neu­en kon­kur­ren­zie­ren­den Frei­zeit­an­ge­bo­ten.

Das Ki­no Apol­lo in Kreuz­lin­gen schloss sei­ne Tü­ren be­reits 1976, als sich Fern­se­her end­gül­tig durch­ge­setzt hat­ten und im be­nach­bar­ten Kon­stanz die Fil­me ak­tu­el­ler und güns­ti­ger wa­ren. Für vie­le Ki­no­be­trei­ber:in­nen war zu­dem der tech­ni­sche Wan­del zum 70-mm-For­mat und zum Mehr­ka­nal­ton ei­ne un­über­wind­ba­re Hür­de. Ei­ni­ge ver­such­ten sich mit por­no­gra­fi­schen Fil­men über Was­ser zu hal­ten. Ernst Gutheinz, der Grün­der des Apol­los, hielt je­doch un­be­irrt an sei­nen ho­hen An­sprü­chen fest. 

In den Jah­ren vor der Schlies­sung wa­ren Gast­ar­bei­ter:in­nen, vor­wie­gend aus Ita­li­en, sein Ziel­pu­bli­kum. In Kon­stanz wur­den die Fil­me syn­chro­ni­siert ge­zeigt, was für das Apol­lo ei­ne will­kom­me­ne Markt­lü­cke be­deu­te­te. Hier wur­den sie «par­la­to in ita­lia­no» vor­ge­führt. Das Licht­spiel­haus avan­cier­te zu ei­nem wich­ti­gen Treff­punkt für die ita­lie­ni­sche Be­völ­ke­rung in Kreuz­lin­gen. Sie kam, um Bil­der der Hei­mat zu se­hen und das Heim­weh et­was zu be­sänf­ti­gen. Gutheinz wähl­te die Fil­me im­mer ge­zielt aus. Mo­ra­lisch ver­werf­li­che Fil­me zeig­te er nicht. Ju­gend­li­che ge­hör­ten da­her eben­so zu sei­nem Stamm­pu­bli­kum.

Fast ein Jahr­hun­dert lang präg­te die Fa­mi­lie Gutheinz die Ge­schich­te des Apol­los. Der Va­ter Ju­li­us be­trieb ab 1925 das Ki­no Bo­dan an der Haupt­stras­se in Kreuz­lin­gen. Nach Ju­li­us’ Tod 1928 führ­te Ernst den Ki­no­be­trieb zu­sam­men mit sei­ner Mut­ter Ma­rie wei­ter. Hin­ter ei­ner Lein­wand ver­steckt, be­glei­te­te er die Stumm­fil­me selbst auf dem Kla­vier. Das Ge­schäft lief auch dank di­ver­ser In­ves­ti­tio­nen in tech­ni­sche Neue­run­gen so gut, dass 1932 das Ki­no Apol­lo an der Kon­stan­zer­stras­se 32 von Bau­meis­ter Gott­lieb Kug­ler ge­baut wer­den konn­te. In Bahn­hofs­nä­he und prä­gnant am Ver­kehrs­krei­sel po­si­tio­niert, ist die La­ge bis heu­te vor­teil­haft.

Ein über­zeu­gen­des Bau­werk 

Die Grund­zü­ge und Haupt­merk­ma­le des ele­gan­ten ku­bi­schen Bau­kör­pers sind auch nach bei­na­he 100 Jah­ren über­zeu­gend. Der zwei­ge­schos­si­ge, axi­al­sym­me­tri­sche Kopf­bau ori­en­tiert sich mit zwei Ein­gän­gen und Schau­fens­tern zur Kon­stan­zer­stras­se, wäh­rend sich der Ki­no­saal par­al­lel zur Rhein­stras­se und rück­wär­tig in den Gar­ten er­streckt. Ein lan­ges, fi­li­gra­nes Be­ton­dach fasst die Erd­ge­schoss­ele­men­te zu­sam­men und ak­zen­tu­iert zu­sam­men mit der drei­stu­fi­gen stei­ner­nen Frei­trep­pe den Ein­gangs­be­reich auf sub­ti­le Art und Wei­se. Al­le Öff­nun­gen sind mit Kunst­stein­ge­wän­den ein­ge­fasst und wohl pro­por­tio­niert im bau­zeit­li­chen Struk­tur­putz ein­ge­bet­tet. Auf der mit­tig er­höh­ten Front­mau­er thro­nen die wir­kungs­vol­len Leucht­buch­sta­ben APOL­LO.

Nach der Schlies­sung 1976 ver­blieb das Bau­werk glück­li­cher­wei­se in der Fa­mi­lie. Die Toch­ter, die 2021 starb, wohn­te bis zu ih­rem Tod in der Woh­nung im obe­ren Ge­schoss. So wur­de das Ge­bäu­de in ei­nem ers­ten Schritt der Spe­ku­la­ti­on ent­zo­gen. Mit we­ni­gen Ein­grif­fen ge­lang es der da­ma­li­gen Ei­gen­tü­me­rin, das Film­thea­ter als Trai­nings­hal­le für Ka­ra­te, Ai­ki­do und Qi-Gong um­zu­nut­zen. Der schrä­ge Bo­den des Ki­no­saals wur­de ent­fernt und Du­schen ein­ge­baut. Der im­po­san­te Vor­hang, de­ko­ra­ti­ve Leuch­ten, die cha­rak­te­ris­tisch on­du­lier­ten Wän­de, die Ki­no­kas­se und vie­le wei­te­re bau­zeit­li­che Ele­men­te sind je­doch er­hal­ten ge­blie­ben. 

Ein wich­ti­ger Schritt war die Auf­nah­me des Baus durch die Denk­mal­pfle­ge des Kan­tons Thur­gau in das Hin­weis­in­ven­tar 1993. Der drit­te Glücks­fall war der Kauf der Lie­gen­schaft durch die Un­ter­neh­me­rin Bar­ba­ra Hal­ler vor drei Jah­ren. Sie hat­te zu­fäl­lig vom Ver­kauf er­fah­ren. Ih­re Fas­zi­na­ti­on für al­te Ge­bäu­de und die Be­ra­tung durch ei­ne be­freun­de­te Ar­chi­tek­tin un­ter­stütz­ten sie beim ra­schen Kauf­ent­scheid. Sie be­warb sich so­fort, oh­ne ge­nau zu wis­sen, wie sie die Lie­gen­schaft nut­zen wür­de – und er­hielt den Zu­schlag. 

Was macht man nun mit ei­nem sa­nie­rungs­be­dürf­ti­gen Ki­no, ei­ner Woh­nung und ei­nem weit­läu­fi­gen Gar­ten? Das Zau­ber­wort lau­tet: Zwi­schen­nut­zung. Wäh­rend das Dach ge­flickt, die Wän­de ge­stri­chen und klei­ne­re Re­pa­ra­tu­ren vor­ge­nom­men wur­den, kam im März 2023 die An­fra­ge zur Teil­nah­me an der viel be­such­ten Kunst­nacht. Dies war die Wie­der­be­le­bungs­sprit­ze und der Auf­takt als Zwi­schen­nut­zung. 

Le­ben­di­ger Kul­tur­be­trieb mit viel­fäl­ti­gem Pro­gramm 

Heu­te, nach nur zwei Jah­ren, hat sich be­reits ein le­ben­di­ger Kul­tur­be­trieb mit be­acht­li­chem Pro­gramm eta­bliert. Hal­ler be­schreibt die­sen Pro­zess als ei­nen span­nen­den Weg von der Zwi­schen­nut­zung zu et­was Un­be­kann­tem, in dem sich Men­schen in­spi­rie­ren und Neu­es ent­ste­hen kann.

Im mo­nat­li­chen «Kult­ki­no» wer­den in Ko­ope­ra­ti­on mit dem Film­fo­rum KuK Kult-Fil­me wie Pulp Fic­tion oder Thel­ma & Loui­se ge­zeigt. Im Saal mit ehe­mals 330 Plät­zen sind je­weils 40 bis 80 Leu­te zu­ge­gen, die Kul­tur-Bar wird eben­falls von ei­nem brei­ten Pu­bli­kum be­sucht, Kunst­aus­stel­lun­gen und Kon­zer­te er­gän­zen das viel­fäl­ti­ge Pro­gramm. Gast­spie­le leis­ten ei­nen wich­ti­gen Bei­trag in die Ver­eins­kas­se. Sie wer­den sorg­fäl­tig ku­ra­tiert, das geis­ti­ge Er­be von Ernst Gutheinz lebt hier wei­ter. 

Der Kan­ton Thur­gau und ins­be­son­de­re Kreuz­lin­gen ist be­kannt für ei­ne le­ben­di­ge Kul­tur­sze­ne. Das Apol­lo ist so­mit in bes­ter Ge­sell­schaft und bie­tet Raum für Neu­es. Ge­ne­ra­tio­nen- und grenz­über­schrei­tend sei­en Pu­bli­kum und Mit­ar­bei­ten­de, die den Ver­ein tat­kräf­tig un­ter­stüt­zen, er­gänzt Bar­ba­ra Hal­ler mit strah­len­den Au­gen. Die Ne­on­buch­sta­ben auf dem Dach leuch­ten nun seit zwei Jah­ren auch wie­der. 

apol­lok­reuz­lin­gen.ch

Gutes Bauen Ostschweiz

Die Ar­ti­kel­se­rie «Gu­tes Bau­en Ost­schweiz» möch­te die Dis­kus­si­on um ei­ne re­gio­na­le Bau­kul­tur an­re­gen. Sie be­han­delt über­grei­fen­de The­men aus den Be­rei­chen Raum­pla­nung, Städ­te­bau, Ar­chi­tek­tur und Land­schafts­ar­chi­tek­tur. Fra­gen zum Zu­stand un­se­rer Bau­kul­tur und der Zu­kunft der Pla­nung wer­den eben­so be­spro­chen wie an­de­re, et­wa wie die Kli­ma­kri­se zu be­wäl­ti­gen ist und wel­chen Bei­trag das Bau­en da­zu leis­ten kann, oder wie die Ver­dich­tung his­to­risch wert­vol­ler Dör­fer und Stadt­tei­le ge­lin­gen kann. 

Die Se­rie wur­de lan­ciert und wird be­treut durch das Ar­chi­tek­tur Fo­rum Ost­schweiz (AFO). Das AFO ver­steht al­le For­men an­ge­wand­ter Ge­stal­tung un­se­rer Um­welt als wich­ti­ge Be­stand­tei­le un­se­rer Kul­tur und möch­te die­se ei­ner brei­ten Öf­fent­lich­keit nä­her­brin­gen.

a-f-o.ch/gu­tes-bau­en-ost­schweiz