Ansteckungsgefahr

Beeindruckendes Filmschaffen, grossartiges Essen und ganz viele lachende Gesichter: Das Vermächtnis des St.Galler Filmregisseurs Dennis Ledergerber wird in der Ostschweiz noch lange nachhallen. Heute vor einem Jahr ist er verstorben. Sandro Zulians persönlicher Nachruf aus der Saiten-Ausgabe vom Juni 2020.  
Von  Sandro Zulian
Dennis Ledergerber (Bild: zvg)

«Keine Bange, den Club 27 habe ich auch nicht geschafft. Du jetzt wohl auch nicht», raunte mir Dennis Ledergerber verschmitzt zu, als wir an meinem 28. Geburtstag ausgiebig feierten. Mit solchem Zynismus und schwarzem Humor spielte er gerne. Das zeigt sich auch in seinen Werken.

Dennis und die Filme

Kaum aus den Teenager-Jahren, stampfte der Rorschacherberger quasi aus dem Nichts im Jahr 2008 einen Spielfilm aus dem Boden. Zufallbringen ist ein sehr düsteres Teenager-Drama, das einem beim Zusehen immer wieder kalte Schauer über den Rücken jagt. Irgendwie schafften es Dennis und sein Partner Ninian Green, ohne A-Klasse-Schauspieler oder genügende Finanzierung ein Werk herzustellen, das beim Zuschauer Unwohlsein, Neugierde, aber auch Freude hervorruft. Die Laiendarsteller, die Dennis für das Werk gefunden hatte, überzeugten praktisch durchs Band, wie auch die Kameraführung und das Colorgrading. «More to come», dachte man sich damals.

Mit Himmelfahrtskommando gelang dem Wahl-St.Galler schliesslich ein grosser Wurf. Schauspielgrössen, darunter Walter Andreas Müller, Tatort-Kommissar Andrea Zogg oder Beat Schlatter, standen auf den aufwendig hergestellten Filmplakaten. In Tarantino-Manier natürlich nur als «Müller. Schlatter. Zogg.» aufgeführt.

Dass die drei «Grossen» für ihr Mitwirken im Spielfilm von Ledergerber keinen Rappen bekamen und auch nicht bekommen wollten, spricht Bände. Es war ausschliesslich Dennis Ledergerbers ansteckendes Feuer, die gewaltige Passion, die er in seine Projekte steckte. Der Film ist freundlicher als sein Erstlingswerk, die Dialoge dynamisch und unterhaltsam, manchmal auch ein bisschen dusselig. Die Handlung von Himmelfahrtskommando dreht sich um ein verschlafenes Schweizer Bergdorf, das plötzlich von einer amerikanischen Sekte regelrecht überrannt wird.

Ich erinnere mich gerne daran, als Ledergerber plötzlich in der St.Galler NOX Bar neben mir stand und fragte: «Hey, du bist doch dieser Zuli. Du kannst doch gut amerikanisches Englisch. Hast du Lust, in einem Spielfilm mitzumachen?» Natürlich willigte ich ein und stand innert Tagen im Bann des jungen Regisseurs. Mittlerweile habe ich meinen Job als Journalist in der Schweiz an den Nagel gehängt, wohne in London und versuche, von der Schauspielerei leben zu können. Hauptschuldiger für diesen Sinneswandel? Dennis Ledergerber und sein Herzblut für das Bewegtbild.

Dennis und die Werbung

Einige Wochen nach Beendigung des Films, als auch der Medienrummel wieder ein wenig abgeflaut war, gab er zu: «Immer nach einem solch grossen Projekt wie HFK (Himmelfahrtskommando) falle ich in ein Loch. Dann ist alles vorbei und ich muss mir wieder Arbeit suchen.»

Mit «Arbeit» meinte er jedoch keineswegs den nächsten Spielfilm. Das war für ihn die Berufung. Arbeit meinte bei Ledergerber, wieder Werbung drehen zu «müssen». Das tat er bei weitem nicht so gerne wie Drehbücher schreiben, Storyboards erstellen, brainstormen und schliesslich auf dem Set seine eigene Magie entfalten. Doch die Werbung zahlte gut, und so war er gezwungen, einige Zeit den Hof-Filmer grosser Versicherungen, Supermarkt-Ketten oder Mobilfunkanbieter zu geben.

Obwohl er am liebsten jeden Tag Spielfilme gedreht hätte, litt die Qualität bei den Werbungen nie. Die Perfektion war Ledergerbers ganz grosse Qualität. «Halbheiten duldete der Rorschacherberger nicht», las man bereits in einem anderen Nachruf. Bestes Beispiel ist sein neuestes Werk. Das Mädchen im Schnee ist ein Kurzfilm, in dem es um einen perfektionistischen Hörspiel-Produzenten geht. Anfangs wirkt er wie ein kauziger Mann, der sich aufs Alter ein bisschen zu fest auf Töne und Geräusche versteift hat. Doch bald driftet das Werk ins Düstere, ins sehr Düstere ab.

Dennis und die Perfektion

Oftmals durfte ich ihm bei einem seiner Musikvideos mit einer Sprechrolle assistieren. «Ja, das sind nur drei bis vier Sätze, das sollten wir schnell haben», sagte er am Telefon. Doch seine Kreativität und sein Hang, eine wirklich perfekte Aufnahme hinzukriegen, war derart ansteckend, dass wir uns drei Stunden lang in seinem Büro (dort durfte man rauchen) verschanzten und schliesslich mit geröteten Augen sagen konnten: «Jetzt passts.»

Ledergerber war ein Perfektionist, aber kein Kritik-Verweigerer. «Oder was meinst du?», hörte man bei ihm mindestens genau so oft wie: «Nein, da müssen wir nochmals drüber.» Doch nicht nur professionell, auch privat hatte Ledergerber etwas Spezielles an sich, das sich nicht genau definieren lässt. Einen Charme, der einen einlullt, ein raues, kehliges Lachen und eine unübertroffene Herzlichkeit. Trifft man Dennis Ledergeber, freut man sich auf Dennis Ledergerber, nicht auf das Bier, das auch dort steht.

Dennis und die Geselligkeit

«Dennis hat immer mit seinem ganzen Körper geredet», sagte sein Bruder Daniel an der Beerdigung auf dem Friedhof in Rorschacherberg. Das stimmt. An einem Fest zur Fertigstellung eines Spielfilms, in dem ich mitspielte und Ledergerber dem Regisseur assistierte, passierte etwas Einschneidendes. Einmal mehr gestikulierte er wild in alle Richtungen, als er eine seiner Geschichten erzählte. Dabei merkte er nicht, wie ich mit angesetzter Flasche direkt hinter ihm stand. Mit voller Wucht schlug er mir das Gefäss ins Gesicht. Das Fazit dieses Abends: zwei neue Zähne, unzählige Arztbesuche, mindestens 1000 Entschuldigungen von ihm und eine Geschichte fürs Leben.

Seine verschmitzte Art, die Witze, die Sprüche und die Freude, die er ausstrahlte, waren das Zugpferd fast jeder Party, die ich mit ihm besuchen durfte. Er war stets präsent und – falls es sich um seine eigene Einladung handeln sollte – ein fast schon vollkommener Gastgeber. «Feste feiern mit Dennis» – hätte er das als Marke eingetragen, er hätte wohl auch damit Erfolg gehabt. So war er auch bei einem seiner weiteren Steckenpferde, dem Grillieren, immer auf Qualität bedacht. Ich habe bis dato nie bessere BBQ-Rippchen gegessen als auf seinem Balkon in der St.Galler Innenstadt.

Geselligkeit war wichtig. Ledergerber und Sandro Zulian beim Bier.

Ledergerbers Passion schlug sich nicht nur in seinen Filmen nieder, sondern auch im Zwischenmenschlichen. Private Probleme, und seien sie noch so komplex oder von der Gesellschaft tabuisiert, bei Dennis durfte man sie ansprechen. Er hörte zu, machte sich Gedanken, gab Ratschläge. Kaum waren die ernsten Themen beredet, konzentrierte man sich wieder aufs Lachen.

Dass dieses nun fürs Erste verschwunden ist, ist mehr als nur verständlich. Doch es wird wieder zurückkommen. Er würde bestimmt wollen, dass wir wieder lachen, Musik machen, grillieren und gutes Essen essen.

Ich werde diesen Mann, diesen guten Freund, diesen unglaublich talentierten und herzenswarmen Menschen immer in meinem Herzen tragen – und dank den neuen Zähnen natürlich auch in meinem Mund.

Dieser Beitrag erschien im Juniheft 2020 von Saiten.