Wäre Anstasia Kurer eine Comic-Heldin, trüge sie farbige Haare und schwarze Hörner, eine selbstgebastelte Glitzermaske und auf dem Rücken ein Gewehr für alle Fälle. Aber sie wäre vermutlich eine sehr friedvolle Heldin, würde die Superschurken mit betörendem Harfenspiel und viel Verhandlungsgeschick dazu bringen, ihr Unwesen woanders zu treiben. Auf ihrem Cape stünde gross Pyraliss. So wird Anastasia von ihren Farbenschwestern der Adrasteia Sangallensis genannt. Es ist die älteste Frauenverbindung der Schweiz.
Eine Comic-Heldin ist sie zwar nur in ihren Träumen, aber angesichts ihrer vollgepackten Wochen scheint die 18-jährige Rorschacherbergerin definitiv über ein paar Superkräfte zu verfügen: Sie ist im Schützenverein und in der Frauenverbindung, macht Karate und Cosplay, spielt Harfe und sitzt im Vorstand des Jugendparlaments der Kantone St.Gallen und beider Appenzell. Wenn sie nicht gerade in Altstätten in der Schule oder in St.Gallen am Arbeiten ist. Kurer macht seit Sommer 2023 das KV Marketing und Kommunikation mit BMS. Wir treffen uns am Vortag der 50. Jugendsession im Coworking-Space ihres Lehrbetriebs an der Fürstenlandstrasse.
Auszubildende mit hohen Zielen
In diesem Betrieb wird Kurer voraussichtlich nicht ewig bleiben, denn sie hat ein hohes Ziel: Die Jungpolitikerin will in die Diplomatie gehen und Botschafterin werden. Das passt zu einer weiteren Superkraft, die sie nach eigenen Angaben hat: Sie kann es mit fast allen. «Seit ich ein Kind bin, bewege ich mich in den verschiedensten Kreisen, von konservativ bis progressiv», erklärt Kurer. «Ich bin neugierig, kann mich in viele Standpunkte hineinversetzen und scheue mich auch nicht vor schwierigen Diskussionen.»
Gute Voraussetzungen für die Politik. Für Kurer ist diese ein Ort, an dem sie ihr Netzwerk weiter ausbauen und Beziehungen knüpfen kann. Sie sei eher introvertiert und etwas ungeduldig, sagt sie von sich. An der Jugendsession spürt man wenig davon. Ihr Ressort ist die politische Bildung, den KI-Workshop am Nachmittag hat sie auf die Beine gestellt. Beflissen geht sie durch den Kantonsratsaal, beantwortet Fragen, begrüsst die anwesenden Jugendlichen und moderiert den Politgeografen Michael Hermann an, der das Eröffnungsreferat an diesem Samstagmorgen hält. Selbst als am Nachmittag die Juso und die Jungen Grünen geräuschvoll den Saal verlassen, weil das Geschlechterverhältnis der Diskussionsrunde unausgewogen ist, bringt sie das kaum aus der Ruhe.
Das Grün im Namen ist wichtig
In die Politik ist Kurer eher zufällig gerutscht. Aus einem Newsletter hat sie vom Jugendparlament erfahren und sich spontan für die Session im Frühling 2023 angemeldet. Aus Neugier. Einer der Workshops drehte sich um nachhaltige Ernährung, als Vegetarierin war sie sofort interessiert. Wenig später sass sie bereits im Jupa-Vorstand. Der Jungen GLP ist sie erst danach beigetreten, «und fast hätte ich aus Versehen bei den Grünen angeheuert», erzählt Kurer und lacht. Sie hatte die Logos verwechselt und sich irrtümlich zuerst bei den Grünen gemeldet. «Aber sie haben nicht gleich zurückgeschrieben, also bin ich am Ende doch am richtigen Ort gelandet.»
Das Grün im Parteinamen ist Kurer wichtig. Greta Thunberg und die Klimabewegung haben ziemlich Eindruck bei ihr hinterlassen. Aber sie wollte auch in eine «ruhige Mitte-links-Partei», die sich «alle Seiten anhört» und «nicht zu ideologisch tickt». Was nicht heisst, dass sie die Grünen nicht mag, betont Kurer. Bei der GLP fühlt sie sich einfach eher zuhause.
Auch die Geschlechtergerechtigkeit ist für sie ein wichtiges Thema. Damit passt sie ins empirische Bild: Junge Frauen verorten sich immer weiter links und bevorzugen moderne Rollenbilder, junge Männer stehen immer weiter rechts und halten an tradierten Mustern fest. Der Geschlechtergraben weitet sich. Diesen Trend beobachtet auch Kurer. «Konservative Werte sind vor allem bei jungen Männern wieder cool. Sie idealisieren die Vergangenheit. Aber das gilt nicht nur für Männer», sagt sie und verweist auf Social-Media-Phänomene wie den Tradwife-Lifestyle. Oder auf die neuerliche Wahl von Trump, die auch Frauen mitverschuldet hätten.
Diktatoren, Kriege, Klimakrise. Wie blickt eine 18-jährige angehende Verhandlungskünstlerin auf diese Welt? Bringen es Politik und Diplomatie überhaupt noch? «Warum denn nicht?», fragt Kurer zurück. Probleme und Krisen habe es schon immer gegeben und das werde sich in Zukunft auch nicht ändern. Also kein Grund, die Hoffnung aufzugeben. «Ich trete auch nicht an, um die Welt zu verändern. Ich bin zufrieden, wenn ich ein paar Steinchen ins Rollen bringen kann. Veränderung beginnt im Kleinen. Wir könnten zum Beispiel einmal damit anfangen, die ÖV-Preise zu senken.»