Analog im September

Ein Pionier der elektronischen Musik, der Inbegriff von Easy Listening und einer, der nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient: die Plattentipps im September von Philipp Buob und Magdiel Magagnini
Von  Gastbeitrag

Rorschach, 1993. Klein Phil, 15 Jahre alt, besuchte regelmässig den Elektronikzubehörladen Eisenring mit dem Töffli, den damals einzigen Laden in der Region mit CDs. Ich suchte elektronische Musik und der Laden war schon ganz gut mit Musik aus England und Deutschland bestückt.

Frau Eisenring, die Chefin, sprach mich eines Tages mit einer CD in der Hand an und meinte: «Der Typ auf dem Cover sieht aus wie du – lustig!» Auch ich fand den Umstand witzig und hörte gleich rein: Technobeats, industrielle, metallische und kalte Klänge, alles sehr düster und monoton. So etwas hatte ich noch nie gehört!

1993 waren DJ Bobo, 2Unlimited oder Ace Of Base der heisse Scheiss im Radio. Ich war darum echt dankbar und voller Hoffnung, dass es da draussen noch ein anderes Musikuniversum zu entdecken gab.

Dieser damalige Zufallskauf war Quoth von Polygon Window. Erst Jahre später realisierte ich, dass Polygon Window das Pseudonym von Richard D. James aka Aphex Twin war, einem Musiker aus Irland, der die elektronische Musikwelt noch erschüttern würde. Hier darum der erste Tipp:

Selected Ambient Works 85-92 von Aphex Twin, 1992 erschienen als Doppel-LP auf Apollo Records / R&S und jetzt wieder neu auf Vinyl aufgelegt

Aphex Twins Musik lässt sich nicht pauschal beschreiben. Aber das Timing, wie Mr. James Melodien einsetzt oder auch mal abrupt einen Beat auslässt, ohne Vorwarnung oder wenn man es vielleicht erwartet hätte – genial. Er war seiner Zeit weit voraus.

Klangbild und Sounddesign sind natürlich in den frühen 90ern noch wesentlich spartanischer gehalten, auch aufgrund der damaligen technischen Situation. Doch schon bei diesem Werk kann man erahnen, was da musikalisch noch alles kommen sollte. Einer der Gründe, warum ich «SAW 1» als Meistwerk feiere – jetzt wieder neu auf Vinyl erschienen!

Dieses Meisterwerk und weitere, die folgten, sind bezeichnend für den Underground-Sound der 90er-Jahre, den Richard D. James und eine Handvoll anderer Musiker damals im stillen Kämmerlein produzierten, mit grosser Hilfe vom Independent-Electronic-Label Warp Records aus England. Jochem Paap, Autechre, Black Dog oder Boards Of Canada könnte man hier noch erwähnen (Philipp Buob).

 

Tipp 2: Bobby Oroza, Cold Diamond & Mink – Get On The Otherside, erschienen bei Big Crown Records

Dieses Album ist der Inbegriff von Easy Listening und für mich jetzt schon eine der Soul-LPs des Jahres. Catchy, lauter E-Gitarre-Riffs mit Ohrwurmpotenzial und groovy Basslines!

Bobby Oroza ist ein finnischer Multiinstrumentalist mit Fokus auf Gitarre und Gesang. Er studierte in Kuba für mehrere Monate Musik, daher fällt es ihm leicht, im doch eher kälteren Finnland solch warme Balladen aus dem Ärmel zu schütteln. Cold Diamond & Mink ist ein Produktionsteam, das ebenfalls in Finnland stationiert ist und für die mühelosen Rhythmen und makellosen Bass-Einlagen verantwortlich ist.

Dass man das Album mehrere Male hintereinander hören will, verwundert nicht. Man spürt eine grosse Hingabe für das Handwerk. Gelegentliches Kopfnicken und Umherwippen ist an der Tagesordnung. Die Wärme, von der ich vorhin gesprochen habe, ist eigentlich eher ein Flammenmeer der Liebe. Das kommt etwa bei I Got Love zur Geltung. Darin spricht Bobby davon, dass er nicht viel Geld besitze, ihn das aber herzlich wenig interessiere … (Magdiel Magagnini).

 

Tipp 3: Eddie Chacon – Pleasure Joy And Happiness, 2020/2021 Nachpressung

Eddie Chacon ist in den 90er-Jahren als Pop-Duo Charles & Eddie mit Would I Lie To You? bekannt geworden. Ein One-Hit-Wonder. Knapp 30 Jahre später, 2020, versucht es Eddie mit seinem Solo-Debut-Album Pleasure, Joy and Happiness wieder – und hat in meinen Augen nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient.

Das Album erinnert an Marvin Gaye, jedoch wäre es fatal, Eddies Musik in eine Schublade zu stecken. Sanfte Wurlitzer- und Pad-Synth-Sounds zum Dahinschmelzen. Viele Satz-Wiederholungen und wenige Verses machen das Ganze minimalistisch und geerdet. Ein klarer roter Faden von Anfang bis Schluss. Tighte, zart eingespielte Akustik-Drums und glasklare Drum-Machine-Elemente begleiten geschmeidig das Geschehen.

Die Texte sind knapp, aber mit Tiefgang. Leid, Schmerzen, Sehnsucht und Freude sind immer dabei und umgeben einen stets mit wohltuender Geborgenheit und dem Wissen, dass am Ende alles gut wird. Ein leicht erotischer Vibe oder auch das Gefühl von Liebeskummer kann aufkommen. Vino Rosso und malerische Abenddämmerung mit deiner Liebe oder traurig im abgedunkelten Zimmer wegen der Liebe – beides funktioniert mit dieser LP.

Produziert wurde das Album von John Carroll Kirby, der schon mit Frank Ocean, Solange und Blood Orange zusammengearbeitet hat. Eddie Chacon wurde kürzlich vom Independent Label Stones Throw unter Vertrag genommen und wird in den nächsten Monaten eine neue LP auf den Markt bringen (Magdiel Magagnini).

PS: Gerade noch per Mail vor Redaktionsschluss reingekommen: As You Were Listening, das neue Album des Sankt Galler Musikers Moritz Tobler alias Milian Mori, erschienen auf Raster-Media als Digitalrelease. Hi-Tek-Electronica trifft es am besten. Ein sehr gelungenes Werk, das man sich unbedingt mal reinziehen sollte.

Philipp Buob, Magdiel Magagnini und noch weitere aus ihrem Plattenladendunstkreis liefern jeden Monat drei Plattentipps aus der Ostschweiz und aller Welt. Sie führen zusammen die Analog Bar in der St.Galler Engelgasse, ein Laden mit Vinyl, Kaffee und Drinks.

analogbar.ch