Am Ende wieder ein grosses Gewichse

Knöppel versüssen mit ihrem neuen Album das vorweihnachtliche Plattengeschäft. Sex Jazz Scheisse erscheint am Samstag. Guter Stoff zum Mitgrölen – und um ein bisschen über Correctness zu sinnieren.
Von  Roman Hertler
Knöppel an der Barbarie 2022 in Biel. (Bild: pd/Patrick Principe)

Sex Jazz Scheisse heisst das neue Langspiel-Werk von Knöppel, und man fragt sich, ob es sich – analog zum ähnlich betitelten Album Blood, Sugar, Sex, Magic von den Red Hot Chili Peppers – zum Hauptwerk der Band mausern wird. Vermutlich eher nicht. Die glanzvollen Zeiten grosser postpubertärer Gassenhauer wie Abseits und Prada scheinen heute ausser Reichweite. Und dennoch wird fröhlich wie eh und je gegen Alltagsmühen und Spiessigkeit (Obacht: nicht gegen Wokeness!) angesungen.

Es ist fraglich, ob das st.gallisch-fribourgische Rumpelpunk-Trio vor dem Gang ins Studio letzten Februar wenigstens einmal geprobt hat. So oder so haben Knöppel aber punkto Klangraffinesse eine Schippe drauflegen können: Bandleader Dani «Midi» Mittag hat das Wah-Wah-Effektpedal für sich entdeckt und erhöht damit seinen Bodentreter-Zähler von eins auf zwei!

Bisi, Gaggi, Achtsamkeit

Auf Jazz darf für einmal Bassist (und Saiten-Co-Verleger) Marc Jenny ans Mikrofon. Ausserdem wagt man hie und da den popgeschichtlichen Rückschritt vom Punk in Rock’n’Roll- und Hillybilly-Gefilde (Wa wenn’s am Gliid liit, Dis Glied isch OK oder die neue Regio-ÖV-Hymne Ii mo bis uf Wil, letzteres ein Cover des 1991er Mötörhead-Songs Going to Brazil).

Man ahnt es: Lyrisch kratzen Knöppel wie gewohnt am unteren WC-Deckelrand, aber auf gewohnt hohem Klamauk-Niveau (Scheisse, Niereschtei olé). Fast besinnlich wirds ganz am Schluss mit Erwachse. In Achtsamkeit und Harmonie, der ersten Single-Auskopplung und Nummer zwei der Platte, ist es mit derlei Gefühlsbetontheit schon nach dem Intro wieder vorbei.

Bierphilosophisch

Am Ende ist eben doch alles ein grosses Gewichse. Das muss selbst der amerikanisch-konservative Philosoph Francis Fukuyama heute anerkennen, der damals mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion feierlich das «Ende der Geschichte» und den endgültigen Siegeszug des Kapitalismus und der liberalen Demokratie ausrief. Ihm krächzt Midi in Fukuyama entgegen: «Aber afoch so veschwindt da Uchruut leider nöd, Uchruut wachst uf de Bauschtellä und im Beet, da isch natürlich Bäd Njuus / … / Sorry, Fukuyama, aber s Endi vode Gschicht sind mer / … / Sorry, Fukuyama, aber s Endi vode Gschicht trinkt Bier.»

Als Einstiegswerk für Knöppel-Neulinge eignet sich Sex Jazz Scheisse wohl nur bedingt. Aber für alle Fans, die die Knöppel-Sommerlochdebatte schadlos überstanden haben, bringt das neue Album verlässlich punkigen Hochgenuss inklusive obligatem Mitgröleffekt – und ja, auch etwas Stoff zum Sinnieren.

Knöppel: Sex Jazz Scheisse, erscheint am 11. November auf Vinyl und CD.

Live:
15. Dezember Salzhaus Winterthur
15. März Gare de Lion Wil

knoeppel.ch