Alle Farbe in der Linie

Er zeichnet und malt, was wir auch sehen könnten - wenn wir Augen dafür hätten. Hans Schweizer wird zu seinem 75. Geburtstag in der Propstei St.Peterzell mit einer inspirierten Retrospektive geehrt.
Von  Kristin Schmidt

Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern, wie es war, als der alte Schwarzweissfernseher durch ein Farbgerät ersetzt wurde. Eines Tages erschienen plötzlich die bekannten, oft gesehenen Fernsehhelden in Farbe – in anderer Farbe. Denn in Farbe hatten wir sie immer schon gesehen, aber eben nicht in der nun Gezeigten. Unser Hirn hatte die Grauwerte in eine individuelle Version von Farbtönen umgedeutet.

Schwarz und Weiss und deren unzählige Abstufungen tragen bereits das gesamte Potential der Farbe in sich. Selbst in einem ein einzigen Grauton oder einem einzigen Farbton verbergen sich alle Farben der Welt – wenn ihn Hans Schweizer aufs Papier bringt.

Hans Schweizer: Dach 2017, Tusche auf Papier

Selbst das weisse Zeichenpapier trägt die Farben in sich. Keine der Zeichnungen des Künstlers ist monochrom, auch wenn sie nur in einer Farbe ausgeführt ist, denn das helle Papier ist nicht nur Untergrund, sondern Teil jeder Komposition und Struktur und damit jeder Landschaft, ob am Meer oder in den winterlich verschneiten Bergen. Aresquier (Plage) und Ftan zeigen dies aufs Schönste, gefolgt von Rosenberg (Winter). Mit diesen drei Farbstiftzeichnungen beginnt die Ausstellung «Hans Schweizer – How are you».

Spannung von Bild zu Bild

Bild für Bild reiht sich in der hierarchiefreien Hängung aneinander: viele Zeichnungen, einige Grafiken aus den 1970er Jahren und Gemälde aus den Jahren 2000 bis in die jüngste Zeit. Die Werke sind fast alle ungerahmt und hängen meist nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. So entsteht eine Erzählung von Bild zu Bild über die gesamte Ausstellung hinweg. Sie kommt ohne spektakuläre Wendungen aus und besitzt doch einen grossen Spannungsbogen mit gut gesetzten Akzenten beispielsweise unterhalb der Dachfenster in der Propstei St.Peterzell.

Bis 17. September

Sonntag, 20. August:
Rundgang durch die Ausstellung mit Hans Schweizer und Angela Kuratli
Sonntag, 3. September:
Jirí Makovec ergänzt die Ausstellung mit Videoarbeiten

ereignisse-propstei.ch/

Hans Schweizer verzichtet auf die vielbeachteten Solitäre in der Landschaft und richtet den Blick stattdessen auf das Beiläufige, das unbeachtete Bekannte, aber nicht minder Bedeutungsvolle: auf den begradigten, brückenüberspannten Rhein bei Diepoldsau und Kriessern, auf hiesige Dachlandschaften oder auf das heterogene Häuserfeld der Stadt, samt dominantem Rathaus. Letzteres tritt in einen sinnfälligen Dialog mit den vor bald fünfzig Jahren entstandenen «Boxen». Beide vereint die grosse geschlossene Form. Auch sie ist unspektakulär, aber umso anspruchsvoller ins Bild zu setzen. Wichtiges Element dabei ist die Binnenzeichnung, ob in der architektonischen Gliederung oder der Maserung.

Hans Schweizer: Teppich 2017, Tusche auf Papier

Architektonische und textile Strukturen haben Schweizers Interesse immer wieder geweckt, aber auch der die Landschaft überspannende Himmel taugt für die zeichnerische, schraffierende Umsetzung. Den Ahnherrn für die sorgfältige, minutiöse Gestaltung des Himmels zitiert Schweizer in der Ausstellung gleich selbst. Das für die Ausstellung titelgebende Werk How are you (Berlin) zeigt Caspar David Friedrichs Frau am Fenster neben François Pascal Simon Gérards Madame Récamier.

Im Status des Schwebens

Während der deutsche Romantiker nicht nur bekannt war für seine grandiosen Himmelsdarstellungen, sondern auch die Aufmerksamkeit für jedes Weltdetail, so steht der französische Klassizist für ausserordentliche zeichnerische Fähigkeiten, die auch seine Gemälde auszeichnen. Gemeinsam mit seinem Künstlerkollegen Ingres sah er die Linie als das sinnliche und geistige Element des Gestaltens an. Die Linie dient der Ordnung, der Bewegung und sie ist Träger der Farbe – wie bei Hans Schweizer. Zugleich steht Madame Récamier für den Moment des Innehaltens, der auch auf den Bildern Hans Schweizers zu erleben ist, der Menschen und Fahrzeuge ergreift und ruhig über den Landschaften liegt.

Als «Status des Schwebens» hat ihn Rolf Bossart in seinem Beitrag zum Ausstellungskatalog charakterisiert. Beides, Ausstellung und Büchlein, dokumentieren eindrucksvoll, wie vital die Arbeiten des im Strahlholz in Bühler lebenden 75-jährigen Künstlers sind.