Alfonsina Stornis filmische Rückkehr
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In seinem Dokumentarfilm nähert sich Christoph Kühn dem Mythos Alfonsina Storni eingangs über das durch Mercedes Sosa populär gewordene Lied Alfonsina y el mar, eine Apotheose: Die krebskranke Dichterin schreitet ins Meer, wobei sie in eine liebliche Unterwasserwelt mit Seepferdchen, Fischen und Meerjungfrauen gelangt, die sich ihr liebevoll annehmen. Man kann Ariel Ramírez’ Lied als Kitsch abtun wollen, ergreifend bleibt es aber trotzdem. Der Tod, wie die Storni ihn durch ihren Sturz ins Meer gewählt hat, wird zu einem Unterwassermärchen.
Das Filmportrait, das Stationen aus dem Leben der Dichterin, meist anhand von Gedichtzeilen und Zitaten aus ihren kämpferischen, avant la lettre feministischen Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften thematisiert, tippt vieles an und unterlegt es mit Bildmaterial aus ihren Lebensorten: Sala Capriasca im Tessin, wo sie geboren wurde, den Stationen in Argentinien: San Juan, in den Voranden, Rosario, die Industriestadt am Paraná, die Metropole Buenos Aires, wo Alfonsina, zwanzigjährig, ankommt und bleibt. Wobei Wort und Bild oft gleichzeitig mit dem gleichen Inhalt auf Aug und Ohr einwirken. Wenn von Wasser die Rede ist, wird man mit Wasserbildern überflutet, wenn Buenos Aires erwähnt wird, taucht die Stadt schwarzweiss in historischen Aufnahmen auf, Menschen und Verkehr sind anarchisch in Bewegung, das ist stimmungsvoll, wirkt aber zunehmend plakativ und auch ermüdend.
Das Leben der Dichterin, ihre Anliegen, Kämpfe, Enttäuschungen kämen auch ohne die ständige Untermalung mit Bildmaterial gut zur Geltung. Dass die Urenkelin aus dem Fundus der Dichterin zehrt, indem sie Workshops und Schulstunden zum Thema organisiert, wirkt eher nostalgisch und grenzt an Ahnenkult, aber das gehört wohl dazu.
Dass Alfonsina Storni zunehmend, und nicht nur in Argentinien, auf ihren bahnbrechenden feministischen Gehalt untersucht und ihr journalistisches Werk neu aufgelegt wird, ist zu begrüssen. Ob es dadurch zu einem Umschreiben ihrer Rezeptionsgeschichte kommen wird? Einen engagierten Beitrag in diese Richtung leistet Hildegard Elisabeth Keller mit einem im Limmat Verlag herausgegebenen Storni-Sammelband: Meine Seele hat kein Geschlecht. Erzählungen, Kolumnen, Provokationen.
Am Freitag, 20. Juni, 19 Uhr, stellt Hildegard Elisabeth Keller ihr Buch im Raum für Literatur vor.
Das Kinok zeigt den Film am 22.06 und 28.06.