Achtung, «Nazi-Käule»!

«Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.» Dieses angebliche Voltaire-Zitat stammt in Wahrheit von der englischen Schriftstellerin Evelyn Beatrice Hall (1868–1956) und wird gerne bemüht, wenn es um die Meinungsfreiheit geht. Vor allem von Leuten, die das Gefühl haben, sie könnten nicht mehr jeden Furz rausposaunen, weil ihnen die politisch korrekte Gesellschaft das verbiete. Dass das eben gerade nicht der Fall ist, erleben wir tagtäglich.
In der jüngsten Ausgabe des Uni-Studimagazins «Prisma» ist ein Text zu finden, der auch mit Halls Zitat beginnt – eine Pro-Contra-Auslegeordnung zur Identitären Bewegung (IB). Darin verteidigt der Pro-Autor, der schon die «Nazi-Käule» (sic!) auf sich runterfahren sieht, die Positionen der völkisch-autoritären IB als Beitrag zur gelebten Meinungsfreiheit. Es sei doch eine gute Entwicklung, «dass das patriotische, migrations- und wachstumskritische Milieu mal von jemandem besetzt wird, der Gewalt strikt ablehnt».
«Kulturelle Reinhaltung», Hipstermagazine und «das Ende der Konsensform»
Schauen wir uns die IB genauer an. Ihre Ursprünge hat die «Bewegung» in Frankreich, im 2003 gegründeten «Bloc identitaire». Mittlerweile hat sie etliche Ableger im restlichen Europa, auch in der Schweiz. Der feuchte Traum der IB heisst Ethnopluralismus: Ein Begriff der Neuen Rechten, zu der auch die IB gehört, und der nichts anderes will, als die «kulturelle Reinhaltung» von Staaten und Gesellschaften nach Ethnien zu gewährliesten. Alles, was vermeintlich «fremd» in einem Land ist, wird als Gefährdung der eigenen «Identität» angesehen. Übersetzt: Rassismus ohne Rassen.
Fachleute ordnen die IB ganz klar dem Rechtsextremismus zu. Im vergangenen Juli wurden die deutschen Identitären vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft, können also nachrichtendienstlich überwacht werden – weil «die Positionen der IBD nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind».
Der Neuen Rechten gehe es nicht darum, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, sagt der Journalist Christian Fuchs, Mitautor des aufschlussreichen Buchs Das Netzwerk der Neuen Rechten. Es gehe vielmehr darum, sich gerade nicht am Diskurs zu beteiligen und stattdessen das Ende der Konsensform herbeizuführen. Nachzulesen im Magazin «Sezession» des neurechten Verlegers Götz Kubitschek. So viel zum Märchen, die Identitären trügen irgendwas zur Meinungsfreiheit bei.
Die IB hat wenig gemeinsam mit den tumben Glatzen von früher, im Gegenteil. Man gibt sich einen modernen, jugendlichen Anstrich, publiziert Szenemagazine im Hipstergewand, macht Stimmung auf Insta und YouTube, etwa mit Kochsendungen und Axtwerfen. Und man übernimmt auch gerne das Wording, die Symbole und Spielarten der Spontis, kapert also die linke Gegenkultur. Selbst den Rap – so ziemlich das Gegenteil der IB – versucht man für seine Zwecke zu instrumentalisieren.
Die IB kleidet ihren Nationalismus und ihre Migrationsfeindlichkeit in eine Ästhetik der Rebellion. Am Jahrestag des Anschlags auf den Berliner Breitscheidtplatz zum Beispiel stellte sie am Brandenburger Tor Gedenksteine für die Opfer von islamistischem Terror auf – inspiriert von der Aktion «Die Toten kommen» vom Zentrum für politische Schönheit (ZPS). 2017 hat ein österreichischer IB-Ableger ein Schiff gechartert, um «Europas Grenzen auf dem Mittelmeer zu verteidigen».
Man geht zwar nur von etwa 500 Personen aus, trotzdem ist die IB nicht zu unterschätzen: Die Verstrickungen reichen von Österreich über Ungarn, Russland oder Italien bis in die USA. Etwa 150 neurechte Organisationen gebe es derzeit im deutschsprachigen Raum, sagt Chrisitan Fuchs. Dazu gehören 62 Denkfabriken, zu denen auch Burschenschaften, Stiftungen und Vereine zählen, 35 Medienerzeugnisse wie etwa das erwähnte völkische Magazin «Arcadi» und Kubitscheks «Sezession», 14 Verlage, sechs Geldgeber und zwei Parteien. Nur etwa 100 bis 150 Personen steckten hinter all diesen Organisationen, sagt Fuchs. Trotzdem seien sie einigermassen wirkmächtig, unter anderem, weil sie es schaffen, dass das Thema Migration die mediale Agenda dominiere.
Hand in Hand: Neoliberalismus und Autoritarismus
Der Artikel im «Prisma» könnte uns auch Wurst sein, klar. Aber er ist nunmal nicht auf irgendeinem fascho-völkischen Blog erschienen, sondern in der Studierendenzeitschrift der Uni St.Gallen, einer der renommiertesten Bildungsinstitutionen der Schweiz, finanziert mit öffentlichen Geldern.
Der Autor erhebt die Identitären zu Apologeten der Meinungsfreiheit. Wie blödsinnig das ist, haben wir bereits beschrieben. Die Forderung nach freiem Diskurs ist eine rechtsextreme Strategie, die auch Franziska Schutzbach in ihrem Buch Die Rhetorik der Rechten – Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick beschreibt. Der ständige Verweis auf die verfassungsmässig geschützte Meinungsfreiheit fungiert letztlich nur als Deckmantel für rassistische, sexistische und faschistische Äusserungen.
Am «Prisma»-Text zeigt sich, dass Neoliberalismus und Autoritarismus Hand in Hand gehen (können). Meinungsfreiheit in Ehren, aber dieser Beitrag trägt genau nichts dazu bei, sondern bedient sich ebendieser rechten Strategien und lechzt nach kurzfristiger Aufmerksamkeit (mit Erfolg, wie dieser Text beweist). Und er normalisiert die Positionen rechter Bewegungen.
Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder hat der Autor ein Interesse daran, rechtsextreme Hetze auf dem Rosenberg salonfähig zu machen oder er hat keine Ahnung, mit wem er sich da gerade ins Lotterbett gelegt hat. Hoffen wir auf letzteres.