«Acht Bilder pro Sekunde reichen völlig»

Zeichenstift, Videokamera und Lichtpult: Das sind die Werkzeuge von Luisa Zürcher. Die 24-jährige St.Gallerin ist selbständige Künstlerin und Filmemacherin mit Schwerpunkt Animation und hat im Dezember einen Werkbeitrag der Ausserrhodischen Kulturstiftung erhalten.
Von  Philip Bürkler
Bilder: Luisa Zürcher

Luisa Zürcher hat ziemlich merkwürdige und bunte WG-Mitbewohner. Der eine blau, der andere rot, ja sogar noch einen weissen und einen grünen. Ihre Mitbewohner sind nicht nur farblich skurril, sondern auch sonderbar in ihrem Benehmen. Bereits am frühen Morgen ist der eine griesgrämig drauf, der andere plärrt und der dritte ist eifersüchtig. Und als ob das noch nicht genug wäre, zerschlägt einer ein Glas.

Zum Glück sind es nicht ihre echten Mitbewohner. Sie sind viel mehr eine Art Alter Ego und entstammen der reinen Fantasie der Künstlerin. Die ins Bild hinein montierten animierten Kreaturen spielen nicht nur die «Hauptrolle» im Kurzfilm Sisch wies isch, sondern geben auch einen Einblick in die Gefühlswelt und das Alltagsempfinden der Autorin selbst.

Szene aus Sisch wies isch.

«Die Kreaturen spiegeln meine verschiedenen Gefühle und meine Innenwelt», sagt Zürcher. «Ich mag Kurzfilme, in denen lustige Tierchen vorkommen, je absurder, desto besser.»

Mit Farbstiften aufgewachsen

Fantasiewelten zum Leben zu erwecken, sei das Spannende am Genre Animationsfilm. «Mit nur einem Stift kann ich alles nur Erdenkliche in meinem Kopf zu Papier bringen, und am Schluss bewegt sich die Zeichnung auf dem Bildschirm», erklärt die Künstlerin. Zeichnen ist eine ihrer Leidenschaften, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr loslässt. Kein Wunder, ihre Mutter Lika Nüssli ist ebenfalls freischaffende Künstlerin. «Als Kind war ich oft im Atelier meiner Mami, da haben wir beide viel gezeichnet.»

Lusia Zürcher. (Bild: Elio Ricca)

Während die meisten Kinder ab einem gewissen Alter das Interesse am Zeichnen verlieren – entweder weil sie es plötzlich für «uncool» halten oder sie nicht gefördert werden –, hat die Begeisterung bei Luisa nie nachgelassen. «Obwohl, als Kind wollte ich nie dasselbe machen wie meine Mutter, erst während der Kanti war für mich klar, dass ich in Richtung Animation gehen möchte», erklärt sie.

Von 2018 bis 2021 studierte Luisa deshalb an der Hochschule Luzern Animationsfilm. Dort lernte sie die Techniken und Herangehensweisen für die Realisierung kurzer Animationsfilme kennen. Die wohl simpelste Anwendung einer Animation ist das gute alte Daumenkino, bei dem sich jede Zeichnung leicht von der vorhergehenden unterscheidet. Bis die Figuren sich flüssig zu bewegen beginnen, zeichnet auch Luisa jedes Bild von Hand, frame by frame. «Für die Beweglichkeit der Figuren braucht es eine gewisse Anzahl Zeichnungen pro Sekunde, ich habe festgestellt, dass Animationen teilweise sogar mit nur acht bis zehn Bildern pro Sekunde funktionieren», erklärt sie.

Für die Produktion eines rund 60-sekündigen Films zeichnet Lusia also von Hand auf einem Lichtpult rund 600 verschiedene Bilder, die sie anschliessend eines nach dem anderen in den Computer scannt. In der Regel seien es sogar weit mehr als 1000 Bilder für einen Kurzfilm. «Für den Ausleseprozess habe ich mir kürzlich ein ziemlich teures Werkzeug gekauft», freut sich die Animatorin. Eine entsprechende Software spielt die einzelnen Bilder als fertigen Film ab.

Jede Stadt hat seine Ikonen und Originale

Während des Studiums in Luzern ist auch ihr Comic Hesch echt chli Münz erschienen, in dem Lusia ihre Begegnung mit einem Obdachlosen aus der Stadt St.Gallen dokumentiert. «Während der Pandemie habe ich mich gefragt, wie sich eigentlich Obdachlose die Hände waschen?» Der Protagonist ist Bruno, ein Obdachloser, der im Wald lebt und oft auf der Treppe zur Bibliothek am Bahnhof sitzt. «Es brauchte sehr viel Überwindung für mich, Bruno anzusprechen», verrät Luisa. Zu Beginn habe sie ihn nur aus sicherer Distanz beobachtet und sei dann, ohne ihn anzusprechen, wieder nach Hause gegangen.

Der Comic – eine Collage aus Fotos, Zeichnungen und mit Farbstift geschriebenen Gedanken, Dialogen und Kommentaren – illustriert auf witzige und humorvolle Art die Begegnung zweier völlig unterschiedlicher Menschen. Beim Versuch, sich dem obdachlosen Bruno anzunähern, stösst Luisa immer wieder auf seine Widerstände und Kuriositäten.

Als Betrachter:in erfahren wir, dass Bruno zwar den Migros-Schoggidrink gern hat, er sich aber von Luisa dann doch keinen schenken lassen mag. Er malt lieber Papageien mit Farbstiften aus. Wie skurril, wirr und schräg die Begegnung zwischen Luisa und Bruno war, wird im Comic mehr als einmal deutlich; beispielsweise wenn Bruno sagt: «I gib dir scho da Interview, aber nur, wenn du mir es Karate-Buech vo dim General gisch». Für Luisa war es ein ideales Projekt, um Menschen am «Rand» der Gesellschaft näherzukommen und einige Vorurteile loszuwerden.

Grosse Pläne für 2023

Das Leben als freischaffende Künstlerin würde Luisa Zürcher um keinen Preis der Welt mehr hergeben. «Ich geniesse es, meine Zeit selber einzuteilen und auch mal ein, zwei Tage etwas völlig anderes zu machen.» Sie arbeitet in der Regel lieber alleine für sich im Atelier als Projekte mit anderen gemeinsam zu realisieren. Ihr Ausgleich zur konzentrierten Arbeit ist das Wochenende und damit das St.Galler Nachtleben. «Dort treffe ich meine Freunde und erlebe Community.» An den Wochenenden ist Luisa regelmässig hinter der Bar im Palace anzutreffen.

Am 7. Dezember 2022 hat die junge Animationsfilmerin von der Ausserrhodischen Kulturstiftung einen Werkbeitrag in der Höhe von 10’000 Franken erhalten für ihre bisherigen Werke. Mit dem Geld möchte sie unter anderem 2023 ihren ersten grösseren Film realisieren. «Ich musste vor mehr als einem Jahr krankheitsbedingt selber ins Spital, da habe ich teilweise absurde Situationen erlebt, das Thema Spital wäre deshalb ideal für diesen Film.» Mit einem Animations-Dokfilm wolle sie nicht nur zeigen, wie die Realität ist, sondern auch, wie sie sein könnte. Wir sind gespannt, welche animierten Figuren da eine Rolle spielen werden.

Luisa Zürcher auf Instagram: hier.