, 7. Juli 2014
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Abzocker-Vergleich: Keine üble Nachrede

Theo Frey verglich den Gemeinderat von Walzenhausen mit «Abzockern». Das ist nicht ehrenrührig, sagt das Ausserrhoder Kantonsgericht am Montag – genauso wenig wie der Vorwurf, mit einem neuen Entschädigungsreglement Steuern und Sozialabgaben umgehen zu wollen.

Sechs Mitglieder der siebenköpfigen Exekutive haben gegen den kritischen Bürger Theo Frey (60) Strafanzeige wegen «übler Nachrede» eingereicht. Jetzt muss der Gemeinderat von Walzenhausen den Gerichtsentscheid zähneknirschend zur Kenntnis nehmen.

Frey liess im November 2012, kurz vor der Abstimmung über ein neues Entschädigungsreglement, ein Flugblatt in alle Haushalte von Walzenhausen verteilen, worin er sich kritisch mit der Vorlage auseinandersetzte. «Hiermit schanzen sich die Gemeinderäte eine Verdoppelung des Gehaltes zu und versuchen gleichzeitig die sozialen Abgaben wie Steuern und AHV, etc. zu umgehen», schrieb er. Weiter warf Frey der erst ein Jahr zuvor gewählten Exekutive vor: «So unverfroren sind nicht einmal die als Abzocker bekannten Banker am Paradeplatz vorgegangen.»

Doppelter Lohn für Gemeinderäte

Die Kritik zielte auf die nicht transparente und vor allem für die Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbare künftige Entschädigungspraxis ab. «Was ist Lohn und was sind Spesen, die pauschal oder individuell abgerechnet werden können?», fragte sich Frey. Nach stundenlangem Durchackern von Unterlagen auf der Gemeindekanzlei kam er schliesslich zur Auffassung, dass sich mit dem neuen Reglement der Lohn für die Gemeinderäte verdoppeln, die Steuern und Sozialabgaben hingegen reduzieren würden. Die Vorlage wurde an der Urne mit fast 70 Prozent Nein-Stimmen bachab geschickt.

«Abzockerei» ist keine ehrenrührige Kritik

Die Staatsanwaltschaft stützte die Klage der Gemeinderatsmitglieder wegen «übler Nachrede» und erliess gegen Frey einen Strafbefehl. Er sollte mit einer bedingten Geldstrafe von 1’800 Franken und mit einer Busse über 300 Franken sanktioniert werden. Dagegen erhob er Einsprache.

Für den Einzelrichter des Kantonsgerichtes war der Tatbestand der «üblen Nachrede» nicht erfüllt. Steuern zu umgehen sei nicht a priori ein strafbares Verhalten, begründete der Richter seinen Spruch. Vielmehr sei es legal «Steuern zu optimieren». Ebenso sei der Vorwurf der Abzockerei nicht generell ehrverletzend. Dieser Begriff sei in neuerer Zeit abgeschliffen und verwässert worden und trete in diversen Konstellationen auf.

Waghalsige Hilfe für bedrängtes Volk

Theo Frey, der die Friedfertigkeit und Ruhe eines Bienenzüchters ausstrahlt, mag Ungerechtigkeiten nicht ausstehen. Ist er der Ansicht, dass Menschen für dumm verkauft werden, legt er sich mit jedem Gegner an – ob das nun die Gemeindebehörde, das Militär oder ein autoritäres Staatsregime ist. Ende der 80er-Jahre ging die Geschichte seiner Flucht aus Indonesien um die Welt: Der Appenzeller Vorderländer arbeitete damals als Buschpilot für eine Missionsgesellschaft und erfuhr vom Landraub durch die indonesische Zentralregierung an einem kleinen Volk in West-Neuguinea. Dieses wurde militärisch bekämpft und konnte sich praktisch nur mit Pfeil und Bogen wehren.

Frey flog auf eigene Verantwortung Hilfsgüter zu den bedrängten Menschen. Er musste mit der Verhaftung durch die indonesischen Behörden und Sabotage an seinem kleinen Flugzeug rechnen. Schliesslich blieb ihm nur die spektakuläre Flucht übers Meer mit Frau und Tochter in einer Cessna 182 . Nach dem fünfstündigen Flug erreichten sie Australien mit dem letzten Tropfen Sprit.

Appenzeller Michael Kohlhaas

In den 90er-Jahren legte sich Frey dann mit der Schweizer Armee an, die in Walzenhausen direkt neben einem Heim für Menschen mit Behinderung regelmässig Schiessübungen veranstaltete und die Bewohnerinnen und Bewohner in Angst und Schrecken versetzte. Wegen seines Einsatzes wurden die Militärübungen schliesslich eingestellt.

Frey gehört weder einer politischen Partei an noch bezeichnet er sich selber als einen überaus engagierten Bürger. «Aber wenn Ungerechtigkeiten geschehen und versucht wird, einfache Leute über den Tisch zu ziehen», sagt er, «dann muss ich etwas dagegen unternehmen.» Dabei wägt er nicht ab, ob er damit Erfolg haben wird oder nicht, Frey agiert einfach. In gewissem Sinn ist der Mann mit dem typisch appenzellischen Chüeli im Ohr ein Michael Kohlhaas.

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