Ab auf die Pritschen!
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Wir sind ja alle immer so gestresst vom Stress. Den ganzen Tag malochen, meeten und greeten, Kinder, Kunden und Kolleginnen höfelen, dann noch schnell posten, bitz Bewegung und nächtens eine fancy Serie gucken, über die wir uns dann am andern Tag austauschen sollen. In Coronazeiten bleibt uns ja auch nicht viel ausser Schmüselen, Schmökern und Streamen, denn das live-kulturelle Angebot ist eher trostlos bzw. derzeit den 50 Schnellsten und/oder Besservernetzten vorbehalten.
Dieses ständige Gehetze ist ungesund. Es macht uns noch unruhiger, als wir in diesen Zeiten ohnehin schon sind. Es führt zu Fressattacken, Beziehungskrach, Saufgelagen, Beautyorgien und anderen Auswüchsen der abträglichen Art. Schadet dem Immunsystem.
Drum: ab auf die Pritschen! Gönnt euch ein Schläfchen, einen Dös, einen Dämmer, einen Schlummer. Eine kleine Auszeit zmitzt am Tag, es muss ja nicht mittags sein. Ob ihr dabei meditiert, masturbiert, sinniert oder wirklich kurz pennt, geht niemanden was an. Es ist eure halbe Stunde. Zeit zum Runterkommen. Zeit, die Brille geradezurücken. Zeit für ein kleines Stelldichein mit dem Stammhirn. Oder ein Zwiegespräch mit dem Alter Ego.
Die wohltuende Wirkung des bewussten Ausspannens ist nämlich ausreichend belegt. Auch Salvador Dalí wusste um das Glück des Mittagsschlafs. Die Legende sagt, er habe jeweils einen Löffel in die Hand genommen, um nicht zu lange zu pennen. Beim Wegdösen fiel dieser zu Boden, Dalí erwachte vom Klirren des Aufpralls. Und wusste: Das war genau die benötigte Menge an Schlaf, die er gebraucht hatte.
Elitäres Geschwafel, könnte man jetzt einwenden, schliesslich gibt es unzählige Leute ohne Bürojob, Homeoffice oder vergleichbare Gelegenheiten zum Powernappen. Stimmt. Und genau die sollen sich erst recht eine tägliche Dosis Dös gönnen.
Ja genau, ihr systemrelevanten Mindestlöhnerinnen, Pflegefachleute, Heimlieferinnen und Detailhandelsfachangestellte, die ihr so fleissig schuftet, um das Land auf den Beinen zu halten: Wenn ihr schon nicht streiken könnt, so legt wenigstens eine halbe Stunde pro Tag die Arbeit nieder! Eure Köpfe auf die Fliessbänder und die Beine hoch. Gönnt euch eine Auszeit im Logistikzentrum, dem Gemüselager, der Bettenstation oder der Wäscherei. Macht eurem Immunsystem zuliebe ein Nickerchen, auf dass der Rest dieses verwöhnten Landes erwache.
Corinne Riedener, 1984, ist Saitenredaktorin.
Saiten hat sich zum Jahresschluss ein Heft zur Immunstärkung vorgenommen. Wir wollten Anregungen und Überlegungen aller Art zur politischen, gesellschaftlichen und individuellen Kräftigung des Immunsystems sammeln.
Zusammengekommen sind 24 Beiträge aus allen möglichen Richtungen, ein Adventskalender der resistenten Art: Kurzgeschichten, Selbsterfahrungen, Appelle, Wutausbrüche, Tiefgang und Smalltalk, Rezepte und Rezeptverweigerungen. 24 Stimmen, 24 Seiten, eine geballte Dosis Immunium® Akut, garantiert mit Risiken und Nebenwirkungen.