68? Könnt ihr haben!
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Das Team des Weihern Openairs war entzückt: In der Septemberausgabe 2016 des Unternehmermagazins «Leader» (CHF 8.50) wurde Dario Aemisegger, Chef und Aushängeschild des Weihern Openairs, zum Kopf des Monats gekürt. Gleich vor der Titelstory über den dubiosen Immobilienunternehmer Remo Stoffel (Turmbau zu Vals) findet sich ein Loblied auf den Erfinder und Unternehmer Aemisegger: «Hier stimmt einfach alles, vom Standort über die Bandauswahl bis zur Gastronomie. (…) Genau das, was diese Stadt braucht.»
Der Text endet mit einer düsteren Zukunftsprognose, die jedem Standortvermarkter den Schweiss auf die Stirn treibt: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kulturunternehmer der Stadt St.Gallen als Veranstaltungsort ganz den Rücken zudrehen.»
Solidarität von allen Seiten
Es war eine Welle des Mitgefühls und der Solidarität, die sich in den letzten Wochen nach der Bekanntgabe des Standortwechsels über das Team des Weihern Openairs ergossen hatte. Auf saiten.ch forderte Philippe Rieder, Musiker und Unternehmer, mehr Mut zu Kultur, zahlreich wurde die Empörung auf Facebook geteilt, das «St.Galler Tagblatt» schrieb gar gegen grosse Teile seiner eignen LeserInnenschaft an und sprach von einem «Klima der Kleingeistigkeit» und der «Tagesanzeiger» («Ruhe im Bad, bitte!») stimmte kürzlich in das Lied der Empörung mit ein.
Man fragt sich bei dieser einhelligen Übereinstimmung von links bis rechts, oben und unten, wo denn eigentlich noch diese Bünzlis hocken, gegen die nun gar die Revolution ausgerufen wurde. Beginnen soll der Aufstand übrigens an einem Mittwoch im Stadtpark – Bünzlis hört die Signale, auf zum letzten Gefecht! (Der Eintritt sei gratis, so viel wurde verlautet, na da sind wir aber froh.)
Wenn Unternehmer die Revolution ausrufen
Wie bei dieser hochtrabend angekündigten Revolution Begrifflichkeiten verwendet werden, erinnert stark an die neoliberalen Umdeutungen der Werbeindustrie. Zum Beispiel, wenn Pepsi das Bild von Leisha Evans aufgreift, die 2016 im Rahmen einer Demonstration gegen Polizeigewalt fotografiert wurde und es so umdeutet, dass im Werbespot eine Schauspielerin aus der Menge tritt und den Polizisten eine Dose Pepsi übergibt. Oder wenn im Renault Dacia Werbefilm Fidel Castro auf Karl Marx trifft und Che Guevara (auf Spanisch) sagt: «Es ist Zeit für eine neue Revolution!». Konsum löst hier ein politisches Problem.
Im Fall der «Revolution9000» findet diese Umdeutung – wenn wahrscheinlich auch unbewusst – genauso statt. Revolution wird hier zur entpolitisierten Marke. Grossspurig, etwas gar pathetisch und sicherlich auch geschichtsvergessen wird «in Wahrnehmung der für alle Menschen geltenden politischen Grundrechten» die grösste «Sankt Galler Zusammenkunft seit Generationen» angekündigt.
Hier wird so getan, als hätte man den Aufstand erfunden – das muss ein Hohn für all jene sein, die sich seit Jahren und Jahrzehnten in St. Gallen, aber auch anderen Städten, politisch engagieren und es auch in den nächsten Jahren noch tun werden.
Nachtrag, 2. Juni: Der Text entstand im Kollektiv «Mir schaded de Wirtschaft». Er ist von Roman Rutz, Matthias Fässler, Christian Huber, Hans Fässler und Tim Rüdiger.
Aus dem Manifest der OrganisatorInnen, in dem nebenbei gleich zu Beginn all jene als Bünzlis bezeichnet werden, die nicht an der Veranstaltung teilnehmen, aber auch aus der nachgeschobenen Erklärung auf der eigenen Homepage lässt sich keine konkrete politische Forderung oder Haltung herauslesen. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Empörung über die, notabene selbstbestimmte (das Festival hätte unter den gleichen Vorlagen wie letztes Jahr stattfinden können) Absage des Openairs, nicht nur politischer (wenn auch reichlich naiver) Art ist, sondern auch eine mit moralischem Geplänkel und leeren Worthüllen geführte Verteidigung von Eigeninteressen.
Das diffuse Manifest hat unterdessen bereits die ersten «empörten BürgerInnen» auf Facebook mobilisiert, die gegen «unsere Volksvertreter» und die von Aemisegger beklagte «Diktatur der Bünzlis» ins Felde ziehen möchten. «Revolution», «Diktatur» und dann auch noch «Asyl in der Grabenhalle» – eine zynische Wortwahl, die aber in der medienwirksamen Inszenierung aufzugehen scheint.
Grösser, lauter, länger
Saiten-Redaktorin Corinne Riedener sprach in einem der ersten Artikel zur Causa Weihern davon, dass es «völlig irrelevant» sei, ob man das Weihern Openair mag oder nicht, um Stellung zum behördlichen Vorgehen zu beziehen. Wir teilen die Kritik an der Reglementierung und der städtischen Bewilligungspraxis, aber sie kann nicht losgelöst von der Art der Veranstaltungen formuliert werden, die von einer gelockerten Praxis profitieren würden.
Als das Weihern Openair (damals noch mit dem Zusatz «unplugged» im Titel, jedoch nicht auf der Bühne) 2012 startete, spielten an zwei Abenden je zwei lokale Bands im Holzgebäude der Frauenbadi. Bereits 2013 wird «das angestrebte Wachstum realisiert», das Festival auf drei Tage verlängert und die Zuschauerkapazität der Veranstaltung auf 2400 BesucherInnen ausgedehnt. Eine zweite Bühne auf der Wiese kommt hinzu. 2014 bereits verkündet man stolz, in die Liste der Ostschweizer Event Highlights aufgenommen worden zu sein.
Versuchte man bis 2014 noch durch das «Alleinstellungsmerkmal alkoholfrei» neue Sponsoren zu generieren, wirft man dies schnell wieder über Bord, als 2015 der Alkoholausschank erstmals bewilligt wird. Das Festival ist zum ersten Mal ausverkauft. Und dies bei einem stolzen Preis von 108 Franken für einen Dreitagespass. Die verpflichteten Bands werden durch das Bereitstellen von Ticketkontingenten dazu gedrängt, ihre tiefe Minimalgage mit dem Verkauf von leicht vergünstigten Tickets an die eigene Fanbasis aufzubessern. Die Bands selber sollen die Besucher in die Badi bringen und werden dadurch abhängig vom Erfolg oder Misserfolg des Festivals.
Was als kleine Unplugged-Veranstaltung begonnen und rund 500 ZuschauerInnen angezogen hatte, mauserte sich innerhalb von wenigen Jahren zu einem professionellen und mittelgrossen Event, besucht von mehr als 2000 Personen und unterstützt von zahlungskräftigen Sponsoren wie Mobiliar, Schützengarten oder Migros. Der Anlass verfügt mittlerweile über eine aufwendige technische Infrastruktur, die im ersten Jahr wohl kaum bewilligt worden wäre. Die Absicht, zu wachsen, grösser, lauter, teurer und attraktiver zu werden, ist unverkennbar.
Bieder und bieder gesellt sich gern
Seit Anbeginn vermarktet sich das Weihern Openair als «Alternative». Als sympathischer Kleinanlass, als «Heart of Switzerland St.Georgen», das den «1968er-Spirit» atme. Ist das Geschichtsvergessenheit oder bloss geschickte Vermarktung?
Uns erschliesst sich nicht, was an der Veranstaltung «alternativ» oder «68» sein soll. Vielmehr verweist die Ausrichtung des Openairs darauf, dass man vom kritisierten Bünzlitum vielleicht selber gar nicht so weit entfernt ist: «Kulinarisch hält man es hier wie mit der Musik und serviert – bei edler Aussicht über die Stadt und Bodensee – nur das Allerfeinste», schreiben die OrganisatorInnen, die als neuste Attraktivität auch überdachte Aufenthaltsbereiche anbieten, wo die Gäste («unsere Gäste sind Gourmets») einen «edlen Tropfen» geniessen und zu Tomaten-Artischocken-Salat und einem Bieramisù Musik geniessen können.
Uns scheint bei dem Konflikt zwischen dem Openair und der Stadt: Hier trifft Bieder auf Bieder. Oder wie es das Palace im letzten Newsletter auf den Punkt brachte: «Zuerst musst du immer den Bünzli in dir überwinden.»
Auch einen Blick wert: die neu gegründete Diskussionsplattform «Stadt für alle» auf Facebook.
Auch der Ort, die Drei Weihern («für viele der heimliche Star des Festivals»), wird als idyllische Natur geschickt vermarktet. Die kommerzielle Vermarktung des Ambientes, der Natur, letztlich des öffentlichen Raumes hat Hochkonjunktur, man denke an Technopartys auf dem Bodensee, Schlagerevents in Berghütten oder die zahlreichen Openairs, die an ganz unterschiedlichen Orten aus dem Boden schiessen. Man muss auch kein «Bünzli» – welch inhaltlose Worthülse übrigens – sein, um die Haltung zu vertreten, dass solche Events nichts in den Weihern verloren haben. Diese Kritik richtet sich auch an die Stadt, die den Anlass letztlich ermöglichte.
Zudem: Es gehört zum «Phänomen 1968», dass sich Hinz und Kunz darauf beziehen und sich ziemlich verbürgerlichte ältere Damen und Herren gerne als «Alt-68er» bezeichnen. Diese und auch selbststilisierte 68er wie Herrn Aemisegger müsste man wieder einmal daran erinnern, dass der 68er-Aufbruch nicht einfach auch aus dem Konsum von eingängiger Musik an schönen Örtchen bestand. Die «Kritische Theorie», die «Frankfurter Schule» und die «New Left» übten radikale Kritik am herrschenden System des Kapitalismus und an der Kommerzialisierung jedes Lebensbereichs. Auch in Europa hiess «68er-Bewegung» radikaler und konkreter Protest von Studierenden, Feministinnen, Grünen, Antimilitaristen, Anarchistinnen, Gewerkschaftern und Fabrikbesetzern.
Für mehr Gegenentwürfe
Dani Fels schrieb im August 2014 in seiner Kolumne in Saiten von den Zwängen sozial strukturierter Zeit, welchen die Städterinnen und Städter im Alltag unterworfen seien. Die Eroberung der Nacht sei dazu der Gegenentwurf, warf er ein. Er schrieb aber auch davon, dass dem Kapitalismus das Prinzip eigen ist, jede kulturelle Regung auf ihre Markttauglichkeit zu prüfen und sie zu absorbieren. «Wenn irgendwann das Nachtleben so kommerzialisiert ist, dass keine Veranstaltung und kein Club mehr ohne ein Sponsoring durch ein Modelabel, einen Getränke- oder Telecomkonzern auskommt, wird es zu spät sein, sich mit der Forderung nach selbstbestimmten, weitgehend nicht-kommerziellen Räumen Gehör zu verschaffen.»
Ist es also nicht sinnvoll, gewisse Räume (am besten so viele wie möglich), der ökonomischen Verwertungslogik zu entziehen? Gerade die Weihern als Naturschutzgebiet, aber auch als ein Ort, der seit Jahren ein erfolgreiches Projekt sozialer Durchmischung und weitestgehender Selbstregulierung ist, sollte ein solcher Ort sein. Hinzu kommt, dass über die Eintrittspreise faktisch viele Menschen von der Veranstaltung und dem Ort ausgeschlossen werden.
Und woher diese Verbissenheit nach immer mehr Kultur, mehr Events, mehr Beschallung? Ist es nicht so, dass es neben der Kultur in Grabenhalle, Palace, Lokremise, Rümpeltum, Kugl, Oya, Talhof, Flon, Tankstell die programmierten, privat organisierten und kommerziellen Anlässe im öffentlichen Raum in den letzten Jahren extrem zugenommen haben? Wenn also weniger Reglementierung, dann sollten auch oder gerade die kleinen, barrierefreien, unprofessionellen Veranstaltungen davon profitieren.
«The times they are a-changin’»
Eines sei klargestellt: Wir möchten keineswegs in Abrede stellen, dass es in St.Gallen tendenziell eine Überreglementierung des öffentlichen Raumes gibt. Auch willkürliche Beamtenentscheide, übereifrige Polizisten, Wegweisungen, aber auch lärmüberempfindliche NachbarInnen, die schleunigst aufs Land ziehen sollten (der Kugl-Fall lässt grüssen), sind uns bekannt und nerven. Wir ärgern uns über die frühen Schliessungszeiten der Beizen und Clubs, wir finden es läppisch, wie peinlich genau die Gewerbepolizei kontrolliert, ob die Stühle auf der Strasse rechtmässig platziert sind.
Doch Deregulierung ist eben kein Wert für sich. Denn Deregulierung oder Dereglementierung öffnet immer auch privaten (und nicht gemeinschaftlichen) Interessen Tür und Tor. Clubs länger offen zu haben oder seine Stühle immer weiter auf öffentliche Plätze zu stellen, geschieht oftmals vor allem aus handfesten ökonomischen Interessen. Und diese führen zu Ausschlüssen.
Für uns gibt es keinen Widerstand gegen Dereglementierung ohne unseren Widerstand gegen die Ökonomisierung des dereglementierten Raumes. Man hätte es vom Veranstalter einfordern können: ein Bekenntnis zu non-profit, ein Bekenntnis zu niederschwelligem Zugang (gerade an einem Ort wie den Weihern, der von einem solchen Zugang lebt). Das würde heissen: günstigere Eintrittspreise, wieder zurückfahren zu kleineren Konzerten, kleinerer Bühne.
Weniger Unternehmertum und eine Stadt für Alle!
Ein Festivalbetreiber fühlt sich in seiner privaten unternehmerischen Freiheit von den städtischen Behörden eingeschränkt, wodurch er diese Opferrolle ausnutzt und möglichst medienwirksam anhand einer von «oben» verordneten Revolution (die hätte ja auch von den BesucherInnen selbst kommen können) die «Diktatur der Bünzlis» stürzen möchte.
Gerade in der aktuellen Zeit, in welcher es wahrlich genügend Möglichkeiten gäbe, sich im Geiste von 68 gegen die weltweiten sozialen Ungerechtigkeiten, die immer weiter zunehmende soziale Ungleichheit, den Klimaschutz, die Situation der Geflüchteten – in der Schweiz oder weltweit – aufzulehnen, zusammen auf die Strasse zu gehen und mit verschiedenen Formen des Protests dagegen anzukämpfen. Stattdessen geht es bei dieser «Revolution9000» um keinerlei gesellschaftspolitische Formen, die den Unterdrückten und VerlierInnen der Welt gehört. Es geht einzig und allein um eine persönlich empfundene Unrechtbehandlung. Wir lernen: weniger Unternehmertum für sich selbst, mehr Politik für Alle!
Revolution 9000 – gegen die Diktatur der Bünzlis:
7. Juni, 16 Uhr, Stadtpark St.Gallen.
Womit die OrganisatorInnen Recht haben: Wir sollten mehr über Stadtentwicklung reden, aber auch über ökonomische und soziale Zwänge im öffentlichen Raum, über Aufwertung, Verdrängung, darüber, wie sich Quartiere entwickeln, darüber, wer es sich überhaupt noch leisten kann, in dieser Stadt zu leben, über die (natürlich nicht immer freiwillige) Vermarktung und Kommerzialisierung von Kultur, darüber, ob wir die Innenstadt zur blossen Einkaufs- und Konsumzone erklären möchten, über Privateigentum. Wenn das Weihern Openair diese Diskussion langfristig anstossen kann, dann ist uns immerhin etwas gelungen. Es wäre in unserem Interesse. Stadt für Alle!