Vier Saiten, tausend Experimente

Mit «Bass Works: As I Venture Into» veröffentlicht die Churer Experimentalmusikerin Martina Berther ihr erstes Soloalbum. Die lediglich mit einem E-Bass entstandene Platte ist gleichzeitig eine Art Selbstfindung der Künstlerin. Weghören? Unmöglich!
Von  Philip Bürkler
(Bild: pd)

Entfernte Walgesänge oder doch Aliens aus den Weiten des Alls? Eine alte Dampflokomotive, das Innere einer Waschmaschine oder einfach der Soundtrack eines Tagtraums? Die zwölf Stücke von Bass Works: As I Venture Into lassen schier unbegrenzte Assoziationen und viel Interpretationsspielraum zu. Die abwechslungsreiche Platte, die auch nach wiederholtem Hören fasziniert und stets neue Details offenlegt, könnte auch die Soundkulisse eines nervenzerreissenden Horrorfilms oder eines dramatischen Dokumentarfilms sein. Gleichzeitig steht das Album auch symbolhaft für die Entschleunigung des Alltags in einer immer schneller rotierenden Gesellschaft, in der Maximierung wichtiger scheint als der Blick auf das Wesentliche.

Fokussierung aufs Essenzielle bedeutet bei Martina Berther: keine Rhythmen, keine Synth-Melodien und kein Gesang. Bass Works: As I Venture Into ist eine unbefleckte und absolute Reduzierung auf ein einziges Instrument: den E-Bass. Diese Kompromisslosigkeit sei wahrscheinlich das Mutige und Politische ihrer ersten Solo-Platte, erklärt Berther. «Ich wollte dem Bass explizit Raum geben.»

Mit dem Bass ist Berther sozusagen aufgewachsen. Bereits als junge Frau war sie Bassistin in verschiedenen Hip-Hop-Bands, bevor sie in Luzern ein Jazz-Studium mit Schwerpunkt E-Bass abschloss. «Den Bass kenne ich in- und auswendig», sagt die heute in Zürich lebende Bündnerin. Bekannt ist Berther – selbstverständlich stets mit dem Bass in der Hand – auch als die eine Hälfte des feministischen Punk-Duos Ester Poly oder als Mitglied des progressiven Jazz-Trios Aul.

Abenteuer und Sinnsuche

Martina Berther: Bass Works: As I Venture Into, erschienen am 5. April bei Kit Records.

Live: 5. Mai, 19 Uhr, Perronnord, St.Gallen; Support: Jules Reidy.

martinaberther.ch

Mit Bass Works: As I Venture Into begibt sich die Künstlerin, die schon in unzähligen Konstellationen und mit Musiker:innen unterschiedlichster Genres zusammengearbeitet hat, nun nicht nur auf Solo-Pfade, sondern – wie der Albumtitel erahnen lässt – auch auf ein Abenteuer, eine Art Sinnsuche nach sich selbst und ihrer Kunst.

«Mich beschäftigte immer mehr die Frage: Was mache ich eigentlich für Musik, wenn ich nicht mit jemand anderem zusammenarbeite?», sagt Berther. Beim gemeinschaftlichen Arbeiten in einer Band geht es stets auch immer um Kompromisse, Feedback, Kritik und darum, sich selbst zurückzunehmen. Bei der Entstehung ihres Debut-Albums als Solokünstlerin sind all diese Prämissen weggefallen. «Natürlich gab es konstruktive Inputs aus meinem nahen Umfeld, aber am Ende war die Frage: Was möchte ich?»

Solo taucht Berther nun vollends in die Welt ihres elektronischen Basses ein. Sie schafft mit dessen vier Saiten sowie einem Becken, einem Bogen, einer Stimmgabel, einem Schwamm und weiteren «Werkzeugen» und Utensilien, mit denen die Experimental-Künstlerin die Saiten und den Tonabnehmer des Instruments berührt und dadurch den Ton durch Resonanz vielfältig «manipuliert», einen einzigartigen Sound zwischen Dissonanz und Harmonie, Abstraktion und Konkretisierung.

Von Sound-Archiv zum One-Take

Entstanden ist die Platte mit Unterbrechungen über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren. Interessant ist dabei die Arbeitsweise der 40-Jährigen: Während des Entstehungsprozesses hat sie sich akribisch ein Archiv in Form von schriftlichen Notizen oder kleineren Handyvideos ihrer Soundideen angelegt. Immer, wenn Berther ihrem Bass einen spannenden Sound entlockte, dokumentierte sie die Einstellungen am Instrument, den Saiten oder der Stimmgabel.

«Ohne Dokumentation hätte ich die einzelnen Sounds später nicht mehr in der gleichen Form reproduzieren können», erklärt sie. Aufgenommen wurden die Tracks in ihrem Zürcher Atelier am Ende dieses kreativen Prozesses als sogenannte One-Takes an einem Stück und ohne digitale Nachbearbeitung oder Verfremdung. Eben, die Fokussierung auf das Wesentliche.

Bass Works: As I Venture Into steht im positiven Sinne quer in der Landschaft. Martina Berther hat nicht nur eine Hommage an den Bass, sondern auch ein zeitloses Dokument geschaffen, das wohl auch in den kommenden Jahren nicht so rasch altern und aus der Zeit fallen dürfte. Apropos Zukunft: «Nächstes Mal mache ich musikalisch wahrscheinlich wieder etwas völlig anderes, mir wird es sonst schnell langweilig.» Berther hat auch schon einige Ideen, in welche Richtung es stilistisch gehen könnte: Techno, Ambient oder vielleicht auch etwas völlig anderes.