, 15. März 2024
keine Kommentare

100 Jahre Palace: Ein bunter Musikstrauss 

Zebra Katz, Anika oder The Ex: Zum runden Gebäudegeburtstag beschenkt sich das Kulturlokal mit diversen Konzerten, die ausserhalb des «100vor100»-Festivals wohl nicht möglich wären. Auf die Besucher:innen wartet ein vielfältiges Programm.

Sara Spirig, 1996, ist Fotografin aus St. Gallen. Für den Palace-Schwerpunkt im Märzheft hat sie das Haus bei Tag und Nacht erkundet und Momentaufnahmen gemacht. Die übrigen Bilder sind aus dem Palace-Fundus, dem Staatsarchiv, dem Sadtarchiv und von der Baudokumentation Stadt St. Gallen.

100 Stunden: So lange wird das Palace anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums des Gebäudes durchgehend geöffnet sein, genauer von Mittwoch, 20. März, um 20 Uhr bis Sonntag, 24. März, um Mitternacht. Oder anders gesagt: So lange dauert die Feier bis zum eigentlichen Geburtstag des am 25. März 1924 eröffneten ehemaligen Kinos, das seit 2006 ein Kulturlokal ist. Doch das Jubiläum wird nicht nur im Kulturlokal gefeiert, sondern im ganzen Haus. Es gibt Lesungen, Interventionen, Führungen, Diskussionen und Filme (mehr dazu auf Seite 20).

Für dieses spezielle Jubiläum habe man ein besonderes Programm zusammengestellt, sagt Co-Betriebsleiterin Franca Mock. «Alle aus der Programmgruppe haben ihre Favoriten zusammengetragen – insbesondere solche, die wir unter normalen Umständen nicht buchen können.» Also die entweder nicht finanzierbar wären oder in einem Lokal dieser Grösse nicht spielen würden. Dank einem Förderbeitrag aus dem Lotteriefonds habe man mehr Geld für Gagen zur Verfügung gehabt als üblich, und das Konzept eines fünftägigen Festivals habe das Palace auch für Künstler:innen und Bands interessant gemacht, die für ein einzelnes Klubkonzert wohl nicht nach St.Gallen gereist wären, etwa der Rapper Zebra Katz.

Grenzen verschieben

Das 100-Stunden-Festival eröffnet am Mittwoch OG Florin. Der Zuger Musiker schlägt auf elegante Weise die Brücke zwischen Hip-Hop und Indie-Sounds. Danach gehört die Bühne Deli Girls, einem Brooklyner Technopunk-Duo, dessen Konzerte eine Grenzerfahrung für Körper und Geist sind.

Am Donnerstag geht es mit einem leckeren Drei-Gang-Menü weiter: Singer/Songwriter Richard Dawson kehrt nach fast neun Jahren ins Palace zurück. «Grossbritanniens bester, humanster Songschreiber», wie ihn der -«Guardian» einst bezeichnete, verschiebt in seinem Psych-Folk gerne mal stilistische Grenzen, aber auch Grenzen traditioneller Songstrukturen. Das Eröffnungsstück -seines aktuellen Albums The Ruby Cord dauert 41 Minuten.

Das Cinema Palace am Blumenbergplatz wurde am 25. März 1924 feierlich eröffnet. Zum 100-Jahr-Jubiläum des ehemaligen Filmpalasts findet vom 20. bis 24. März das «100vor100»-Festival statt. Es dauert 100 Stunden und hält viele musikalische und cineastische, aber auch allerhand andere Überraschungen parat. Auch für die Nachtstunden.

Das komplette Programm mit allen Veranstaltungen (Konzerte, Filme, Soundwalks, Führungen, Lesungen, Erfreuliche Universität, Figurentheater, Kinderdisco etc.) samt Uhrzeiten findet sich auf palace.sg.

Mit Grenzverschiebungen kennt sich auch Julian Sartorius aus, einer der vielseitigsten Schlagzeuger der Schweiz, der aus praktisch allem einen Klangkörper macht. Der Berner kommt in doppelter Mission: Zum einen gibt es drei Führungen durch das historische Gebäude, bei denen er sich mit seinen Drumsticks auf die Suche nach Geräuschen macht, die sich in Wänden, Rohren, Kästen und anderswo verstecken. Zum anderen spielt er auf der Bühne während drei Stunden seine -«Locked Grooves». Dabei handelt es sich um 1,8 Sekunden lange Schlagzeugpatterns, die er in einem nicht enden wollenden Loop aneinanderreiht. Wer sich darauf einstimmen möchte, findet auf YouTube ein Video, in dem Sartorius während zehn Stunden und ohne Pause auf dem Dach eines Hauses trommelt während im Hintergrund Züge vorbeifahren.

Einer der Höhepunkte des Festivals dürfte das Konzert von Anika werden, einer Künstlerin, die das Palace laut Franca Mock schon länger auf dem Zettel hatte. Auf ihrem 2010 veröffentlichten Debüt griffen ihr Beak (die Band von Portishead-Mastermind Geoff Barrow) unter die Arme. Es dauerte dann elf Jahre, bis das zweite Album folgte. Zuletzt veröffentlichte sie mit Eat Liquid ein Auftragswerk, das sie für das Zeiss-Planetarium in Berlin komponiert und dort aufgeführt hatte. Gemäss eigener Aussage geht die Komposition der Frage nach, ob Musik dazu verwendet werden kann, das Bewusstsein in psychedelische Erfahrungen zu erweitern. Ihre fiebrige Musik an der Schnittstelle von Krautrock und Post-Punk ist eindringlich und fesselnd.

Am Freitag stehen ENL (Es nervt langsam) auf der Palace-Bühne, ein Zürcher Duo mit berndeutschen Texten und technoiden Sounds. Anschliessend spielen die erfrischenden deutschen Punk-Erneuerer Pisse eines ihrer seltenen Schweizer Konzerte. Zum Abschluss beehrt mit DJ Hell eine Legende der elektronischen Musik wiedermal das Palace. Der 61-Jährige ist seit den späten 70er-Jahren aktiv und hatte massgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von Electroclash.

Weiter geht es am Samstag mit einem Konzert von The Ex, die fast halb so alt sind wie das Palace: Die 1979 gegründete Anarcho-Punk-Band aus Amsterdam hat auch 45 Jahre nach der Bandgründung nichts von ihrer Wut und antikapitalistischen Haltung eingebüsst. Danach tritt der US-jamaikanische Rapper Zebra Katz auf, der experimentellen Rap mit Techno, Pop und Noise vereint. Schliesslich entführt die britische Musikerin Aya in ihren Avantgarde-Songs die Zuhörer:innen in eine eigene Welt aus Worten und Klängen.

Das Konzertprogramm:

20. März: Eröffnungsakt, 20:45 Uhr; OG Florin, 21:30 Uhr; Deli Girls, 23 Uhr.

21. März: Schlafmusik von Elischa Heller und Fabian Mösch, 1 bis 8 Uhr; Anika, 20 Uhr; Richard Dawson, 21:45 Uhr; Julian Sartorius, 24 Uhr.

22. März: Yes, Don’t Panic, 16 Uhr; ENL, 20:45 Uhr; Pisse, 22:30 Uhr.

23: März: DJ Hell, 00:30 Uhr; Chuchchepati Orchestra, 18 Uhr; The Ex, 21 Uhr;Zebra Katz, 23 Uhr.

24. März: Aya, 1 Uhr; Bettina Dyttrich und Demi Jakob, 17 Uhr; Euroteuro, 21 Uhr; Klitclique, 23 Uhr.

«Wiener Soirée» mit Wiener Musiker:innen

Abgeschlossen wird das fünftägige Festival am Sonntag mit einer «Wiener Soirée», der dritten in der Geschichte des Palace. Für die musikalische Umrahmung sind zwei Wiener Bands verantwortlich: Die inzwischen auf ein Duo geschrumpfte Elektropop-Gruppe Euroteuro, die 2016 mit Autogrill einen Sommerhit landete und im vergangenen Jahr mit Teuer eine Hymne fürs Prekariat lieferte, und Klitclique, das – gemäss eigenen Lyrics – «letzte weibliche Rapduo von Österreich, Deutschland und auch der Schweiz», das mit seinem feministischen Hip-Hop Genre-, Geschlechter- und andere Klischees bricht. Ausserdem gibt es eine Literatur-Musik-Performance der WOZ-Redakteurin Bettina Dyttrich und von Demi Jakob, Sänger von Jeans For Jesus. Dyttrich liest aus einem unveröffentlichten Romanprojekt, Jakob begleitet die Lesung mit elektronischer Musik.

Wer will, kann Schlafsack und Mätteli mitnehmen und im Gebäude übernachten, notfalls auch in den Plüschsitzen. Aber Achtung: In den Nächten herrscht keineswegs Nachtruhe. In der Nacht auf Donnerstag gibt es eigens für das Festival komponierte Live-Schlafmusik von Elischa Heller und Fabian Mösch, in den anderen Nächten diverse weitere Programmpunkte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!