«Revolutionieren nebenbei»
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Es gibt Momente, da vermisse ich mein Cornet. Letzten Samstag wars wiedermal soweit: Das Pirmin Baumgartner Orchester brätschte uns im Palace Bläsersätze um die Ohren, als hätte man Autotune und Milli Vanili niemals erfunden.
Um meine Nostalgie zu wecken, reichten zwei Trompeten, zwei Tenor- und zwei Bassposaunen – und das ist erst ein Drittel der Band.
Pirmin Baumgartner, das sind live:
- Jonas Albrecht (aus dem schönen Willisau), Philipp Meienhofer (der Drummer von Elio Ricca) und Daryl Schiltknecht (der Casper, dem Rapper, mal Gesellschaft geleistet hat beim Pissen) am Schlagzeug
- Fabian Müller (der Surfer Boy) und Jan Koster (aka Häns) an der Gitarre
- Jonas Huber (macht, was der Frontmann nicht kann) am Bass (und an der Peitsche)
- Felix Trippel (hat einen Sixpack) und spielt Klavier
- Janos Mijnssen, Synths (und ein nicer Dude)
- Simon Zimmermann am Cello (und an der Blockflöte)
- Samuel Ostendarp an der Klarinette
- David Rufer (der so viele Brettspiele hat wie manche Frauen Kleider), Florentin Setz (ein echter Entlebucher), Jakob Grimm (ein echter Bayer) und Lukas Kündig (ein echter Maschinenbau-Ingenieur) an der Posaune
- Christoph Hunziker (Single, Akademiker, höflich) und Raphael Hofmann (dessen Freundin im nationalen US-Debattierteam ist) an der Trompete
- Benjamin Knecht am Sax (und am Samstag auf der Bühne leider etwas zu «unterbeleuchtet» und «randständig» – schade um die tollen Soli!)
- Tillmann Ostendarp, Gesang und Perkussion (einst Jazzschüler in Luzern und genaugenommen auch noch Tätschmeister, Komponist, Texter, Arrangeur und Posaunist)
- Die einzige Frau im Bund: Sirkka Ammann, Gesang (macht T-Shirts und das Orchester charmant)
Pirmin Baumgartner startete einst als sechsköpfige Band und machte Furore, als sie 2012 einen Openair-Flyer fälschte und, auch dank dessen, später tatsächlich im Sittertobel spielen durfte. 2014 änderte die Band ihr Konzept und wurde zum Orchester – damals noch mit 14, heute mit 18 Mitgliedern.
Die Texte: politisch, ironisch, aufmüpfig
Am 1. April ist Schwere Knochen, das erste Album, erschienen. Eine mitreissende Scheibe mit ordentlich Message und Drama und noch mehr Power drauf. Alles rennt vorwärts, hat man den Eindruck; die Rhythmen, der Stilmix, die Lyrics. In Ihr Trottel legt Feuer gegen Feuer aus heisst es zum Beispiel:
Ich steh am Feuer dran, ich, der das Feuer legen kann.
Ich heiz‘ dem Feuer ein, damit was Neues werden kann.
Zünden wir das Graue an, malen farbig an den Stein,
reissen alle Türen ein, lassen alles rein!
Und in Fremd, einer der ruhigeren Nummern:
Nur weil es dir fremd ist,
muss nicht heissen, dass es mir fremd ist.
Nur es weil es dir nicht bekannt ist,
muss nicht heissen, dass es mir nicht bekannt ist.
Und weil alles, was du früher kanntest,
nicht mehr all das, was man jetzt kennt, ist.
Und wenn du nächstes Mal da draussen bist,
dann wirst du sehn, was war, und was jetzt ist!
Das sind nur zwei Texte von vielen; politischen, ironischen, aufmüpfigen, fadegrädigen – «kritische Beobachtungen über Schein und Sein», sagt Ostendarp.
Schwere Knochen: erschienen auf Lauter Musik. Mehr: dpbo.ch, irascible.ch
Begleitet werden seine Texte von – was sonst bei 18 Leuten – geballter Kraft. Was nicht heisst, dass nur geschränzt und runtergehobelt wird, im Gegenteil: Auch in den leisen Parts ist eine grosse Energie spürbar. Und auf der Bühne wird das ganze erst recht zum Spektakel.
Der Sound: knackig, driftig, getrieben
Besonders gelungen live: Held und Hurensohn. «Ein bisschen links, ein bisschen anders sein», heisst es da, «revolutionieren nebenbei.» Der Refrain: «So stehst du da mit der Fackel in der Hand, du nimmst dein iPhone raus und machst sofort nen Post auf Instagramm – so sieht sie aus, deine Revolution. Du bist ein Held.» Und ein, eben…
Dieser vorwürfige und hoffentlich auch selbstkritisch verstandene Song kommt nicht etwa mit schweren Gitarren oder pathetischen Streichern daher, sondern im housigen Pop-Dress.
Er habe einen «richtigen Hit» schreiben wollen, sagt Ostendarp, und er habe ihn Zürich gewidmet. «Weil dort auch alles Hurensöhne sind.» Man müsse ja irgendwie provozieren, um Presse – welcher Art auch immer – zu haben.
Der Rest auf Schwere Knochen folgt nicht unbedingt dem klassischen Hit-Muster und klingt eher noch einen Zacken verspielter. Knackige Bläserparts und Solis wechseln sich ab mit driftigen Bass- und Pianoteppichen, aus sanftem Gehauche werden Chöre werden getriebene, theatralische, wütende Gesangstiraden.
Das Pirmin Baumgartner Orchester ist irgendwie Standpauke, Comedian Harmonists und Punk-Kapelle in einem. Und tanzbar.
Der Support: düster, dirty, geladen
Ob Elio Ricca dafür wirklich der ideale Support war am Samstag, will ich nicht beurteilen. Manchen wars zu viel, mir persönlich kam der bluesrockige Einstieg gerade recht. Manchmal braucht es eben Drums, dirty Gitarren und Düsternis, damit die Welt wieder in Ordnung kommt. Und genau so wars.
Obwohl: Etwas heller hätts schon sein dürfen – das Licht. Ich mag es ja auch, wenn sich Künstler zurücknehmen und ihre Musik in den Vordergrund stellen. Aber wenn es auf der Bühne praktisch nur noch schwarz ist, wird es schwer, irgendwelche Emotionen abzulesen. Und nicht zuletzt dafür geht man ja an ein Live-Konzert; um die Künstler auch abseits des rein musikalischen zu spüren.
Bei Elio Ricca war die spärliche Beleuchtung zum Glück nur halb so tragisch, denn an Gefühl mangelt es den beiden St.Gallern nun wirklich nicht. Von Liebe über Zweifel und Einsamkeit bis zum überstelligen Handkuss fliegt einem praktisch alles entgegen – musikalisch.
Dass die Texte nicht minder gefühlsgeladen sind, muss man allerdings wissen, denn allzu viel verstanden hat man im Palace nicht. Was wohl auch daran liegt, dass die Lyrics bei Elio Ricca viel niederschwelliger angelegt sind als jene des Pirmin Baumgartner Orchesters. Zu sagen haben aber auch sie einiges.
Das Pirmin Baumgartner Orchester auf Live-Tour:
29. Mai: Lauter Festival, Zürich
10. Juni: Fester, ISC, Bern
30. Juni: Lauschallee, Brugg AG
1. Juli: HillChill, Basel