, 10. September 2015
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«Quasi Klinken putzen»

Dani Fels vom Kompetenzzentrum Soziale Räume an der FHS St.Gallen erklärt, was gemeint ist, wenn von Partizipation die Rede ist. Und wieso diese in der Causa «Bahnhof Nord» eine echte Chance wäre. Am Mittwoch sass er am «Tisch hinter den Gleisen».

Ein älteres Bild vom Bahnhof Nord, der schon immer ein Hotspot der Stadtentwicklung war.

dani

Dani Fels, 1961 ist Saiten-Kolumnist und Dozent an der FHS St.Gallen. Bild: Ladina Bischof

Saiten: Am Tisch hinter den Gleisen sprachst du gestern über Partizipationsprozesse – eine recht grundsätzliche Angelegenheit.

Dani Fels: Ja, gerade auch weil die Idee der Partizipation in der Politik und in der Verwaltung zum Teil noch nicht recht angekommen ist. Vielfach wird sie als etwas Beängstigendes angesehen, aufgrund des Klischees, dass plötzlich «alle ihren Senf dazu geben können».

Was eine der Grundvoraussetzungen in einer Demokratie wäre…

Schweden hat eine elegante Lösung dafür: Es unterscheidet zwischen der grossen und der kleinen Demokratie. Die grosse umfasst die klassischen Rahmenbedingungen eines Gemeinwesens, also alles, was die Legislative beschliesst. Die kleine wirkt ergänzend und nimmt sich jener Themen an, bei denen eine Abstimmung nicht sinnvoll wäre. Dabei nutzt man dynamischere Formen, um sich mit der Bevölkerung auseinanderzusetzen.

Aber wieso will die Stadt nun etwas initiieren, das mit dem «Tisch hinter den Gleisen» bereits stattfindet, anstatt die fehlenden Anspruchsgruppen auch noch einzuladen und sich mit an den Tisch zu setzen?

Der «Tisch hinter den Gleisen» ist ein ideales Beispiel für ein zivilgesellschaftliches Gefäss, mit dem das Beste erreicht wurde: dass es als wichtig wahrgenommen wird. Die Frage ist, ob eine solche Institutionalisierung in seinem Sinn wäre. Abgesehen davon ist seine jetzige Zusammensetzung nur ein Ausschnitt, denn bisher fühlten sich vor allem Leute angesprochen, die sich schon länger oder aus bestimmten Gründen mit dem Thema Bahnhof Nord beschäftigen. Und zum Teil nehmen daran als Gäste sicher auch solche teil, die ganz klare Interessen verfolgen.

Hinter dem Bahnhof herrscht seit Jahren planerischer Wildwuchs. Was erhoffst du dir vom «dialogischen Planungsverfahren» der Stadt?

Ich möchte nicht vorgreifen. Es ist heikel, über einen Prozess zu spekulieren, der noch gar nicht stattgefunden hat, da sonst die Gefahr besteht, dass bestimmte Themen automatisch gesetzt werden. Bei meinem Referat bin ich deshalb auf Beispiele bereits abgeschlossener Partizipationsprozesse in anderen Gemeinden eingegangen.

Anders gefragt: Was könnte in unserem Fall herausschauen?

Das Ziel ist ja, dass der öffentliche Raum ansprechender wird und man sich in einem ergebnisoffenen Prozess gemeinsam Gedanken macht, wie man ihn beleben könnte. Aus rein planerischer Perspektive kann man das gar nicht angehen. Auch nicht, wenn man das Gebiet einfach irgendwelchen Investoren überlässt. Weil dabei die Sicht der Direktbetroffenen in der Regel untergeht. Wenn die Rahmendbedingungen stimmen, haben wir am Schluss am Bahnhof Nord eine Planung, die unterschiedlichste Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt. Und wenn sich der Dialog weiterentwickelt, könnte das für St.Gallen ein wichtiges Signal sein – auch für spätere Planungen.

Der partizipative Prozess allein garantiert aber noch kein zufriedenstellendes Ergebnis.

Es wäre sicher vermessen zu behaupten, dass es in jedem Fall gut kommt, das ist klar. Ich glaube aber nicht, dass dieses Projekt im Sinn eines Feigenblatts zu verstehen ist, so gross und offen wie es von der Stadt derzeit geplant ist.

Welche Rolle spielt das Parlament dabei?

Für derartige Partizipationsprozesse ist es entscheidend, dass auch politisch Bekenntnisse gemacht werden, dass es ein politisches Commitment gibt. Nur dann trägt man die Risiken gemeinsam. Es ist Zeit für St.Gallen, schliesslich haben wir seit über zehn Jahren einen Partizipationsartikel in der Gemeindeordnung.

Doch die Erfahrung fehlt noch. Wie geht man als Verwaltung zum Beispiel auf die entsprechenden Gruppen zu?

Das ist ein wichtiger Punkt, da vielfach eine gewisse Grundskepsis herrscht. Man muss also sehr genau überlegen, über welche Kanäle man die betroffenen Gruppen erreichen kann. Wenn man beispielsweise einfach Flyer in die umliegenden Haushalte schickt, fühlen sich erfahrungsgemäss nur die wenigsten angesprochen.

Was wären denn mögliche andere Kanäle?

Man kann auch als Verwaltung direkt auf Leute zugehen, quasi Klinken putzen, um die einzelnen Themen abzuholen. Entscheidend ist, dass sich die Leute wirklich angesprochen fühlen und etwas zur Diskussion beitragen wollen.

Ohne sich verpflichtet zu fühlen.

Genau. Es muss auch das Recht geben, nicht Mitzuwirken. Wichtig ist, dass man jene erreicht, die in irgendeiner Form betroffen sind oder ein Interesse am Thema haben. Dazu muss die Partizipation möglichst früh einsetzen.

Mit sehr klaren oder noch relativ vagen Rahmenbedingungen?

Wenn bereits alle Expertenberichte vorliegen und die wichtigsten Pflöcke schon eingeschlagen sind, kann man natürlich nicht mehr von einem ergebnisoffenen Prozess sprechen. Entscheidend ist, dass man immer das Dreieck im Blick hat, also die Sicht der Betroffenen, die politischen Rahmendbedingungen und jene der Infrastruktur vor Ort.

Beim Bahnhof Nord haben wir eine bunte Mischung aus Eigentümern, Anwohnerinnen, Passanten und Arbeitnehmerinnen. Wie können sie dauerhaft mobilisiert werden?

Zuerst muss das Interesse geweckt werden. Die Partizipationsbereitschaft ist am ehesten gegeben, wenn man die Leute im Leben abholen kann, wenn über Konkretes diskutiert wird und nicht über abstrakte Themen. Wichtig ist aber auch, dass partizipative Prozesse zeitlich begrenzt ablaufen, dass es einen klar definierten Anfang und ein Ende gibt, weil das Engagement für langfristige Projekte vielfach rückläufig ist. Ausserdem müssen auch die Grenzen der Partizipation aufgezeigt werden: Wenn es beispielsweise um Verkehrsfragen oder bestehende Vorgaben geht, auf die man keinen Einfluss nehmen kann, lohnt es sich nicht, darüber zu diskutieren. Besser wäre, wenn man die zuständigen Behörden einlädt, um Verständnis für gewisse Rahmenbedingungen zu schaffen, Abhängigkeiten aufzuzeigen, Zusammenhänge und politische Prozesse zu erklären.

Das ist letztlich auch eine Frage der Transparenz.

Transparenz ist enorm wichtig in partizipativen Prozessen. Dass zum Beispiel von Beginn an offen informiert wird, worüber diskutiert wird und worüber nicht.

Braucht es dazu eine Art Tätschmeister?

Ja, gerade bei so grossen Projekten wie dem Bahnhof Nord braucht es eine Projektleitung, bei der die Fäden zusammenlaufen und, das ist das wichtigste, welche die Ergebnisse transparent dokumentiert und allen zugänglich macht. Das bringt auch eine Wertschätzung mit sich. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass man sich als Bürgerin und Bürger in der Freizeit an derartigen Prozessen beteiligt.

 

Titelbild: Bahnhof Nord, undatiert, Stadt St.Gallen

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