Nordische No-Names in Hochform
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Kurz nach 20 Uhr sucht man im Pfalzkeller auch auf den steinernen Treppen vergeblich einen Sitzplatz. Doch keine Superstars betreten kurz darauf die Bühne, sondern die dänische Indietruppe Mother Lewinsky. Unbekannte Namen funktionieren eben doch, meint Nordklang-Präsident Felix Van den Berg in seiner Ansprache. Ein weiteres Wachstum des Festivals sei allerdings unmöglich, da das Festival ehrenamtlich organisiert und durchgeführt werde. Die Grenze des Machbaren sei diesbezüglich erreicht.
Standing O für Mutter Lewinsky
Mother Lewinsky lassen sich nicht kategorisieren. Von Paolo Nutini bis The Killers – viele Einflüsse sorgen für einen eigenständigen Mix. Das macht ihren Charme aus. Drei Streicher, Drums, Bass, Orgel, Gesang und Gitarre fabrizieren etwas zwischen Indie, Pop und Folk. Unterstützt werden sie dabei von einem eigens zusammengestellten Jugendorchester unter der Leitung von Bernhard Bichler.
Die Songs funktionieren nicht zuletzt dank Sänger Marc Facchini-Madsen. Er ist ausdrucksstark, treffsicher in sämtlichen Tonlagen und, noch wichtiger, eine Rampensau. Das Publikum dankt’s und geht mit. Von Running Out The Door, einem schnellen Indietrack bis hin zum soulig plätschernden 313: Die Performance der Band beeindruckt. Am Ende gibt’s, nach dem ohne Verstärker oder Mikrofonen performten Some Kind of Fight, eine verdiente Standing Ovation.
Experimentell, produktiv, berührend
Die Nordklang Sessions hatten nach dem fulminanten Auftritt von Mother Lewinsky einen schweren Stand, trotzdem liess der Publikumsandrang kaum nach. Die Sessions sind das Herzstück des Festivals, ein soziales und musikalisches Experiment. Während einer Woche leben elf Musikerinnen und Musiker aus nordischen Ländern und der Schweiz in Teufen in einem «Songwriting Camp». Dort formieren sie sich neu und komponieren in dieser Zeit 20 Songs.
Bedienten sich die Musiker am Abend zuvor in der Lokremise noch ihres jeweils eigenen Repertoirs, stellen sie am Samstag die neu komponierten Stücke vor. If I found a river von Myrra Ros, Roar Admundsen und Esben Svane zum Beispiel. Ein düsterer Akkustiksong in bester nordischer Tradition – die Gesangsharmonien und Gitarrenakkorde der drei sitzen, als wäre das Lied alt und die drei in der selben Band, doch sie kennen sich seit einer Woche. Oder I know you get lost sometimes von Nanna Schelde und Marius Ziska. Der Song hypnotisiert mit repetitivem Refrain und dem Kontrast zwischen Ziskas halbakustischer Gitarre und Scheldes Flügel. Gänsehautfeeling.
Nach 18 Songs, darunter der Spasstrack des Camps, eine bluesige Pianonummer, bei der das Publikum den Refrain – «This is the last time, baby» – mitsingt, gehen im Pfalzkeller die Lichter aus. Man pilgert ins Oya, Palace oder in die Grabenhalle. Und freut sich auf nächstes Jahr und zahlreiche Entdeckungen unbekannter Namen am Nordklang.