, 17. November 2023
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Mit 30 Papierarbeiten durch Werk und Leben von Uwe Lausen

Uwe Lausens Werk ist eine Wucht, entstanden in weniger als zehn Jahren. Im Jahr vor seinem Tod 1970 hielt sich der damals 28-jährige Westdeutsche wegen einer Bühneninszenierung für Peter Stein in St.Gallen auf. Nun ist er zurück – mit Arbeiten auf Papier im «Chambre directe – Schubiger». von Ursula Badrutt

Blick in die Ausstellung im «Chambre directe – Schubiger». Im Vordergrund Arbeiten aus dem Mappenwerk «Stoffwechsel» (Siebdruck auf Astralit). Die Mappe selber (rechts) zeigt ein Porträt von Uwe Lausen nach einer Fotografie seiner Frau Heide Stolz. (Bild: pd)

Es hat viel Leere in der Zeichnung von 1968. Die wenigen Motive genügen, um sich ein Bild von der künstlerischen Qualität, aber auch von der Dramatik der Lage zu machen – des Künstlers wie auch der in den Generationen gespaltenen Nachkriegsgesellschaft. Ein fettes Seil schwappt ins Bild, dynamisch, wie ein Lasso, das auf die Figur in der Bildmitte zielt. Das Seilende läuft direkt auf die Betrachtenden zu. Die verschärft perspektivische Ansicht macht uns als Vertretung von Spektakel-  und Kunstpublikum zu Täter:innen. Oder zumindest kommt uns eine aktive Rolle zuteil.

 

«Suche nach Lebentranlebentran», Farbstiftzeichnung 1968. Eines von rund 30 eindrücklichen Werken aus der gesamten Schaffensphase von Uwe Lausen, zu sehen im «Chambre directe – Schubiger». (Bild: pd)

Suche nach Lebentranlebentran, Farbstiftzeichnung 1968. Eines von rund 30 eindrücklichen Werken aus der gesamten Schaffensphase von Uwe Lausen, zu sehen im «Chambre directe – Schubiger». (Bild: pd)

 

Die zentral platzierte Rückenfigur, ein Mann mit weichen Körperkonturen, kauert sessellos im Raum. Sein Körper ist transparent, eine rote Fadenwindung verbindet Kopf und Zehen. Eine Wegskizze mit Anfang und Ende, Start und Ziel und unterschiedlicher Wegbeschaffenheit tanzt vor seinem Kopf. Sein Lebensweg? Ein Plan? Daneben ein  Labyrinth, wie das Lasso ausserhalb der Aufmerksamkeit der Figur. Hier ist der Weg normiert und vorgegeben. Wie eine dicke Nabelschnur führt von der Körpermitte ein Schlauch aus dem rechten Bildrand hinaus. Ein Doppelfenster gibt die Sicht frei auf amorphe Formen – Flügel, Wolken, Zungen, blaues Band. «SUCHE NACH LEBENTRANLEBENLETRANLEBENLETRANLEBENLETRAN
LEBENLETRANLEBENNLE TRAHN LEBENLETRAUN LAU IUNI 68» steht gut lesbar, aber assoziativ kalauernd als Titel, Signatur und Datierung am unteren Rand der Zeichnung.

 Exzellent, erfolgreich, exzentrisch

So künstlerisch und kompositorisch exzellent, so visionär beunruhigend, ja bedrohlich ist die Situation. Seit 1962 stellten namhafte Galerien in Berlin, Stuttgart, München das Werk von Uwe Lausen (1941–1970) aus. Dazu kamen ab 1964 Beteiligungen an wegweisenden Gruppenausstellungen mit bis heute bekannten Künstlern derselben Generation wie Sigmar Polke, Georg Baselitz, Gerhard Richter in musealen Institutionen in Paris, München, Berlin, Essen, Braunschweig, Stuttgart. Das sieht nach einem erfolgreichen Jungkünstlerleben aus. War es auch. Geendet hat es mit Selbsttötung im Haus der Eltern in Beilstein. Der Strick ist zugezogen, der Lebensweg abgebrochen.

Innerhalb von neun Jahren hat der autodidaktische Maler, Zeichner, Autor und Musiker ein ebenso vielfältiges und innovatives wie irritierendes Werk geschaffen, das heutige Techniken und Sehgewohnheiten vorwegzunehmen scheint. Schon früh vernetzt mit der künstlerischen und literarischen Avantgarde, war Lausen Mitglied der Münchner Künstlergruppe SPUR und aktiv im Kreis, ja gar im Zentralrat der linkradikalen Situationistischen Internationale (S.I.) rund um Guy Debord.

 

«Doppelleben», 1967. Zwischen 1965 und 1967 gelangt Uwe Lausen über die Rezeption der Pop Art zu oft aggressiven, gesellschaftskritischen Werken. (Bild: pd)

Doppelleben, 1967. Zwischen 1965 und 1967 gelangt Uwe Lausen über die Rezeption der Pop Art zu oft aggressiven, gesellschaftskritischen Werken. (Bild: pd)

 

Sensibel wie ein Seismograf erkannte der Autodidakt Lausen die aktuellsten Strömungen und Stile der Zeit, saugte sie auf, nicht epigonenhaft, sondern mehr wie ein Sampler. Er mischte neu und nutzte sie für die eigenen Setzungen, trotzig, provozierend, revoltierend gegen bestehende Strukturen und Moralvorstellungen. Ganz im Sog der 1960er-Jahre. Aber auch seltsam distanziert und in sich selbst gefangen.

Zürich, St.Gallen, unterwegs, Schluss

Bevor Uwe Lausen die letzten Wochen seines Lebens rastlos und ohne Wohnsitz, aber mit zunehmenden paranoiden Angstzuständen unterwegs war, lebte er im Sommer 1969 in St.Gallen, untergekommen bei Hans Poppel (*1941) an der Metzgergasse 14. Der Bühnenbildner und Jazzmusiker hatte gerade eine Anstellung am damaligen Stadttheater (zehn Jahre später illustrierte er Hexe Lakritze der St.Galler Schriftstellerin Eveline Hasler).

In die Schweiz gekommen ist Uwe Lausen wegen eines eigenen Auftrags für Bühnen- und Kostümentwürfen zu Peter Steins Inszenierung Early Morning von Edward Bond. Peter Stein (*1937) und Uwe Lausen hatten sich in München im Zusammenhang mit Protestkundgebungen wegen eines abgesetzten Stücks von Stein an den Münchner Kammerspielen kennengelernt. Der progressive Regisseur Peter Stein war begeistert von Lausens Mappenwerk Stoffwechsel von 1968 und engagierte ihn. Elemente in Stoffwechsel benutzte Uwe Lausen dann auch für seine Zürcher Bühnenentwürfe.

Das Umfeld von Uwe Lausen erhoffte sich aus dem Auftrag als Bühnenbildner eine Stabilisierung von dessen Lebensumständen, die sich in ziemlicher Schieflage befanden. Dies erfüllte sich leider nicht.

Bühnenbilder für Peter Steins Inszenierung

Ab 1966 tauchen in Lausens Schaffen zunehmend Elemente von Gewalt auf: Schiesswaffen, Messer, blutrote Spritzer, durchgeschnittene Kehlen, Gefesselte, Drangsalierte, Geköpfte. Aber auch Weinende, Ratlose, sich auflösende, verflüchtigende Körper. Aus den Waffen kommen keine scharfen Geschosse, sondern lasche Wolken, wie leere lange Sprechblasen oder gelber Ausfluss. Die Interieurs der Szenerien sind nicht angesichts der dargestellten Tötungsdelikte, sondern vor Spiessigkeit erstarrt. Die als unerträglich empfundene Gesellschaft der Nachkriegszeit und die pessimistische Weltsicht, die Uwe Lausen mit Edward Bond und Peter Stein verband, findet ihren visuellen Niederschlag in seinen Bildern, wobei selten unmittelbar politische Stellungnahmen auftauchen.

 

«Lausens Lustprinzip». Eine der Arbeiten auf Papier, die im Zusammenhang mit dem Auftrag für «Early Morning» entstanden sind. (Bild: pd)

Lausens Lustprinzip. Eine der Arbeiten auf Papier, die im Zusammenhang mit dem Auftrag für Early Morning entstanden sind. (Bild: pd)

 

Noch während der Proben trennte sich Peter Stein vom Künstler, der sich im streng getakteten Tagesablauf nicht zurechtfand. Die Gage bekam Lausen trotzdem, oder zumindest einen Teil davon. Er soll sich damit eine Geige und einen VW-Bus gekauft haben. Dass Lausens Theaterarbeit sehr geschätzt wurde, bezeugen nicht nur Aussagen von Peter Stein, sondern auch die Realisierung einiger seiner Ideen wie der in die Länge gezogene Damenschuh, der überdimensionierte Liegestuhl oder der Hochstuhl. In St.Gallen sind mehrere der insgesamt neun erhaltenen Zeichnungen mit Textanweisungen von Lausens Arbeit am Bühnenbild zu Bonds «Early Morning» zu sehen.

Musikalische Expermimente mit Hans Poppel

Lausen blieb nach der Trennung von Stein in St.Gallen. Gemeinsam mit Hans Poppel versuchte er, die früheren fruchtbaren musikalischen Experimente der beiden Freundewieder aufzunehmen. Sie fanden gar ein Probelokal in St.Gallen, «am Stadtrand in einem düsteren, fensterlosen Gebäude, dem sogenannten Turm», wie Hans Poppel im Gespräch 2007 mit Selima Niggl erzählt – möglicherweise handelt es sich um den Tröckneturm im Schönenwegen-Quartier. Es kam aber auch – davon zeugt mindestens eine Ordnungsbusse – zu Anzeigen wegen Nachtruhestörungen. Lausen soll gar einmal Polizisten aufgefordert haben, bei den Proben mitzutun, und bat, ihre Uniformen auszuleihen.

 

«Hommage an Tizian», 1966. Hemmungsloses Sampling in «Hommage an Tizian»: Die aus Tizians «Himmlische und irdische Liebe» von 1515 zitierte irdische Liebe samt Keuschheitsgürtel bewahrt die selbstbewusst überheblichen Jungs nicht vor Auflösung ihrer Körper. (Bild: pd)

Hommage an Tizian, 1966. Die aus Tizians Himmlische und irdische Liebe von 1515 zitierte irdische Liebe samt Keuschheitsgürtel bewahrt die selbstbewusst überheblichen Jungs nicht vor Auflösung ihrer Körper. (Bild: pd)

 

Eine Ausstellung nur mit Arbeiten auf Papier in der Galerie Etta und Otto Stangl in München von 1968, zu der auch ein Katalog erschienen ist, beeinflusste Uwe Lausen produktiv. Einige der in St.Gallen gezeigten Blätter entstanden in diesem Zusammenhang. Damit hätte ein weiterer, wenn auch entfernterer Ostschweizer Bezug ins Spiel kommen können. Margrit Auer-Ibach aus Speicher ist eine Nichte von Etta Stangl-Ibach und verfolgte das Tun der sehr aktiven Galerie stets aufmerksam. Ob es während der Zeit in St.Gallen zu einer Kontaktnahme und einem Austausch gekommen ist? Eugen und Margrit Auer-Ibach ist dazu nichts bekannt.

Zurück im Blickfeld St.Gallens

Rund 30 Arbeiten auf Papier sind aktuell im «Chambre directe – Schubiger» zu entdecken. Den von Felix Boekamp als Künstler und Ausstellungsmacher betriebene Raum versteht sich als «Ort, an dem sich Nebenwege und Liegengelassenes manifestieren». Die Ausstellung «Uwe Lausen – Café Nirwana, Arbeiten auf Papier 1961–69» ist ein langjähriges Desiderat und wurde von Selima Niggl und Axel Heil vorbereitet. Selima Niggl hat sich in ebenso minuziöser wie sachkundiger Recherchearbeit um Wissen und Weiterleben von Uwe Lausen und seinem Werk unter anderem in der umfangreichen Publikation Übermorgen bin ich tot. Uwe Lausen (in der Ausstellung für 50 Franken erhältlich) verdient gemacht.

 

Die Ausstellung von Uwe Lausen im Projektraum «Chambre directe – Schubiger» an der Rorschacherstrasse 112 in St.Gallen dauert bis Sonntag, 26. November 2023. Öffnungszeiten gemäss Info auf der Webseite oder nach telefonischer Vereinbarung unter der Nummer +41 76 748 95 68.

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