, 7. Mai 2013
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Ein System für Ezequiel Oscar Scarione

Der Argentinier Scarione führt das Torschützenklassement an. Es gibt Wechselgerüchte.

Seit 1933 wurden genau zwei Spieler des FC St.Gallen Torschützenkönig:

1990 Ivan Zamorano mit 23 Treffern.

2000 Charles Amoah mit 25 Toren.

In der aktuellen Spielzeit liegt Oscar Scarione mit 17 Treffern auf dem ersten Platz. Zu spielen sind noch sechs Runden. Wird der Argentinier der Nachfolger von Amoah und Zamorano?

Was mit Torschützenkönigen passiert, die das Dress des FC St.Gallen tragen, ist bekannt: Sie wechseln den Klub. Zamorano zu Sevilla, später zu Real Madrid, dann zu Inter Mailand. Amoah blieb noch eine halbe Saison, dann folgte der Transfer zu Sturm Graz. Dort wurde er nicht glücklich und beendete seine Karriere wegen Arthrose im Knie vorzeitig.

Wie geht es weiter mit Ezequiel Oscar Scarione?

Dazu gibt es nur Spekulationen. Sein Vertrag läuft noch bis 2014.

Die Ausgangslage ist klar: Wenn es um das Geld geht, hat jeder Klub der zweiten Bundesliga mehr zu bieten als der FC St.Gallen. Es müssten also andere Argumente den Ausschlag geben. Man könnte sie so zusammenfassen: Es gibt Gründe, wieso Scarione  für den FC St.Gallen spielt. Und nicht für Basel. Oder den HSV.

Einen Anhaltspunkt liefert der Blick auf die bisherige Karriere des bald 28jährigen Spielers. Ausgebildet von den Boca Juniors, spielte er in Equador (Deportivo Cuenca) und wechselte 2006 nach Europa – zum FC Thun. Dort blieb er drei Saisons. Scarione war der Spielmacher und schoss um die sechs Tore pro Saison. Es folgte der Transfer zum FC Luzern. Das hätte der Durchbruch sein können. Nur gab es dort starke Konkurrenz: Beispielsweise Hakan Yakin. Beispielsweise Davide Chiumiento. Scarione konnte sich nicht durchsetzen. Er schoss kein einziges Tor und wechselte zurück zu Thun in die Challenge League. Dort blieb er zwei weitere Jahre und stieg mit den Berner Oberländern auf.  Und 2011 mit dem FC St.Gallen wieder ab.

In der Aufstiegssaison erzielte er zwar 15 Tore, spielte aber oft nicht gut. Er hielt den Ball zu lange. Ihm unterliefen unerklärliche Fehlpässe. Er überforderte sich. Scarione wollte das Spiel machen, Tore schiessen und gleich auch noch verteidigen. Und Jeff Saibene brauchte offensichtlich Zeit um herauszufinden: Scarione ist kein Spielmacher. Der filigrane Techniker ist ein Stürmer.

Seither ist alles anders.

Auch wenn in dieser Saison einer der beiden zentralen Mittelfeldspieler ausfiel – Scarione wurde nicht mehr ins Mittelfeld versetzt. Saibene sagt dazu: «Oscar spielt das nicht gerne». Er weiss natürlich, dass der pflichtbewusste Argentinier jede Position einnehmen würde, für die ihn der Trainer nominiert. Aber er stellt er ihn lieber dort auf, wo er am besten ist: Als sogenannt hängender Stürmer (im  4-4-1-1), mit allen Freiheiten, um nach links oder rechts auszuweichen.

Man kann die Entwicklung so zusammenfassen: Scarione hat bisher 17 Tore erzielt, weil Saibenes System exakt auf seine Stärken (und Schwächen) zugeschnitten ist. Wer den FC St.Gallen zehn Minuten lang spielen gesehen hat, weiss, wer in dieser Mannschaft auf dem Platz den Ton angibt: Es ist Stéphane Nater, assistiert von Dejan Janjatovic. Danach braucht es vielleicht eine weitere halbe Stunde, bis man sozusagen im Schatten Scarione wahrnimmt. Man denkt: Eigentlich ist er zu schmächtig für einen Stürmer. Wirklich schnell ist er auch nicht. Doch dann nimmt er einen Ball im Strafraum auf engstem Raum an, obwohl zwei Gegenspieler genau dies verhindern wollen. Oder er spielt einen Kurzpass, den der plötzlich frei stehende Etoundi leider nicht verwerten kann. Irgendwann wird klar: Scarione ist als Stürmer erfolgreich, weil er genau zwei Stärken hat: Torinstinkt und eine herausragende Ballbehandlung. Und mit der Zeit bemerkt man, dass einige Mannschaften reagieren, indem sie einen freien Defensivspieler vor der eigenen Abwehr postieren. Sein Auftrag: Die Kreise von Scarione zu stören. So spielten beispielsweise Basel (mit Cabral) oder am Samstag die Young Boys.

Die Preisfrage ist natürlich: Kann Scarione die Leistungen auch unter anderen Umständen zeigen? Wenn er sich gegen Konkurrenten im Sturm durchsetzen muss, die bulliger sind, aber trotzdem technisch gut? Was geschieht, wenn er keinen zweiten Stürmer neben sich hat, der vor allem die Abwehrspieler beschäftigt? Oder einen, der selber Tore schiesst?  Und vor allem: Was passiert, wenn er nicht das gleiche Vertrauen geniesst, wie es ihm  Saibene entgegenbringt?

In St.Gallen ist er ein König.

Anderswo verdient er (noch) mehr.

Kein leichter Entscheid für Ezequiel Oscar Scarione.

1 Kommentar zu Ein System für Ezequiel Oscar Scarione

  • Daniel Wirth sagt:

    Scarione kann sich auch in einer besseren Liga durchsetzen. Seine Technik ist brillant. Seine Übersicht ist auf Schweizer Fussballplätzen im Moment einzigartig gut. Und Scarione schiesst nicht nur regelmässig Tore; er bereitet auch viele vor. Mit seiner Spielintelligenz und seiner Laufbereitschaft kompensiert er fehlende Zentimeter und Kilogramme sowie seine durchschnittliche Schnelligkeit. Klar: Das System des FC St. Gallen ist auf Scarione zugeschnitten. Als hängende Spitze in einer Mannschaft mit starken defensiven Mittelfeldspielern kann der Argentinier aber auch in der Bundesliga oder in der Primera Division bestehen – nicht bei Bayern, Dortmund, Real oder Barca, aber vielleicht bei Mallorca, Sevilla, Freiburg oder Hannover. Verliesse Scarione St. Gallen, wäre das ein herber Verlust, ihn adäquat zu ersetzen ist schwierig.

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