Das «Rathaus für Kultur» legt los
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Der Projektraum im zweiten Stockwerk ist dunkel, ungewohnte Klänge und Geräusche aus Gitarre und Saxophon erfüllen das nur mit einem Bildschirm ausgeleuchtete Zimmer. Die Free-Jazz-Formation Schööf zeigt mit ihrem grandiosen Set aus halb improvisierten, halb komponierten Stücken die Grenzen zwischen Lärm und Klang auf – beziehungsweise, dass solche Grenzen schwierig zu ziehen sind, das offene Experiment aber zu unerwartet schönen Ergebnissen führen kann.
Schööfs Auftritt bei der Eröffnung vom letzten Samstag ist das perfekte Sinnbild für jenes Ansinnen, das hinter dem neuen Toggenburger Kulturzentrum steht: Gibt man Ideen und Kreativität Raum, haben alle etwas davon. Auch dann, wenn es vielleicht manchen etwas zu unbequem sein könnte.
Die Vereine Rathaus für Kultur und Dogo Residenz für neue Kunst haben zur Eröffnungsfeier geladen. 300 Neugierige erhalten Einblick in das Projekt, das in den ehemaligen Räumen der Lichtensteiger Stadtverwaltung entstanden ist (siehe auch Saiten 10/2018). Für das leibliche Wohl ist in der «Rathausstube» gesorgt, musikalisch bekommt man neben Schööf mit Acts wie Haubi Songs oder Jessiquoi auch ordentlich etwas auf die Ohren.
Ehemalige Amtsbüros im Brazil-Stil
Wenn Schööf als Illustration der neuen Rathaus-Idee verstanden werden kann, dann stellt die Vernissage der Ausstellung «Büro für absolut Relevantes» so etwas wie den Gegenpart dar. Das Gemeinschaftswerk von zwölf Künstlerinnen und Künstler hätte keinen passenderen Ausstellungsraum finden können als die zur Galerie umgebauten ehemaligen Amtsstuben. An vielen Stationen halten die Kulturschaffenden dem absurden Hamsterrad «Büroarbeit» den Spiegel vor, die Partizipation des Publikums macht die Ausstellung zu einer gelungenen Mischung aus Installation und Performance.
Durch die altertümlichen Gerätschaften, eigenartigen Set-Kombinationen und nicht zuletzt den Schlauch der «Entsorgungsstelle für absolut Irrelevantes» lässt die Ausstellung Assoziationen zu Terry Gilliams Film Brazil hochkommen. Die Vernissage-Besucherinnen und -Besucher jedenfalls haben sichtlich Spass, füllen sinnlose To-Do-Listen aus, kämpfen mit zu kurzen Telefonleitungen, erfassen akribisch ihre «Arbeitszeit» oder lassen sich zum «Mitarbeiter/in des Moments» erklären. Viele verlassen die Ausstellung nachdenklich.
Ungebrochenes Bedürfnis nach einem Kulturzentrum
Der Eröffnungsfeier sind eineinhalb Jahre Planung und Arbeit vorangegangen. Das Team um Sirkka Ammann, Maura Kressig und Maurin Gregorin konnte dabei auf die Mithilfe von gut 80 freiwilligen Helferinnen, Fachleuten und Handwerkern zurückgreifen. Mit dem erfolgreichen Crowdfunding erhielt der Verein einen Grossteil der Mittel, die für den Umbau und die Renovationsarbeiten des denkmalgeschützten Rathauses nötig waren.
Der laufende Betrieb sei mittelfristig gesichert, erklärt Ammann. Das Rathaus für Kultur finanziert sich einerseits durch Mitgliederbeiträge, andererseits durch Gelder, die der Verein vom Kanton und von Stiftungen erhalten hat. Die Politische Gemeinde Lichtensteig, Besitzerin der Liegenschaft, verzichtet als Anschub-Unterstützung die ersten Jahre auf Miete. Ob die Rechnung langfristig aufgeht, wird sich weisen. Der gut besuchte Eröffnungsanlass jedoch belegt bereits letzten Samstag: Das Bedürfnis nach einem regionalen Kulturzentrum mit überregionaler Ausstrahlung ist ungebrochen gross.
Am 16. März findet eine öffentliche Führung durch das Rathaus für Kultur statt. Das Projektteam zeigt in aller Ruhe die verschiedenen Ateliers und Möglichkeiten des Rathauses und ist natürlich auch an direktem Feedback interessiert. «Meinungen und Ideen aus der Bevölkerung aufzunehmen, zu reflektieren und dann zu reagieren ist uns wichtig», betont Sirkka Ammann.