, 8. Juli 2022
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Ausgebremst: St.Gallens Oerlikon

Möglich – aber nur zum Teil: Das ist das Fazit der zweiten Machbarkeitsstudie zur Gleisüberdeckung St.Fiden. St.Gallens grösste Brache im Osten käme zwar ohne Steuergelder zu ihrem Deckel, doch die SBB bremsen.

Noch unüberdeckt: das Entwicklunggebiet rund um den Bahnhof St.Fiden. (Bilder: pd)

Es könnte dereinst ein Song von Stahlberger werden: das Lied vom unaufhaltsamen Aufstieg von dirty St.Fiden zum Oerlikon von St.Gallen.

Und es klingt auch ein bisschen Dürrenmatt an, sein Besuch der alten Dame: Eine private Gruppe von Initianten will St.Fiden zum urbanen Stadtteil machen. Sie zahlt eine halbe Million Franken an eine vertiefte Machbarkeitsstudie, garantiert die Planungskosten von rund 26 Millionen Franken und verspricht auch, den Deckel über den Gleisen (gegen 300 Millionen Franken) vorzufinanzieren.

Hoffnung auf Standort-Dynamik

«Investorengruppe» will sie ihr Leiter, Klauspeter Nüesch, nicht nennen. Hinter dem Engagement steckten weniger Renditedenken als vielmehr Idealismus und die Überzeugung, St.Gallen mit einem neuen Stadtteil in eine «dynamische Zukunft» zu führen. Zu dem Zweck haben sich die drei Immobilienplaner Nüesch Development AG, Fortimo AG und Mettler2Invest AG mit der St.Galler Kantonalbank, der Helvetia und weiteren Interessierten zur Einfachen Gesellschaft «Gesamtüberdeckung und Entwicklung des Areals Bahnhof St.Fiden» zusammengetan.

St.Gallens Osten mit dem Bahnhof St.Fiden in der Mitte.

St.Fiden könnte zum «Oerlikon von St.Gallen» werden, sagt Nüesch an der Medienkonferenz zur Machbarkeitsstudie am Donnerstagmorgen im St.Galler Rathaus. Und Stadtrat Markus Buschor spricht von einer «grossen Idee» mit dem Potential, zwei Quartiere, Heiligkreuz und St.Fiden mit breiten gemischten Nutzungen zu beleben und zusammenzuführen.

Der Plan: ein neuer Stadtteil über den Gleisen und dem Bahnhof St.Fiden. Damit würden rund 70’000 Quadratmeter Land mitten in der Stadt gewonnen, das «Niemandsland» im Talboden samt dem zwischen Autobahn und Gleisen verbarrikadierten Bahnhof könnte aufblühen, die «Narbe» zwischen den beiden Stadthälften geheilt werden.

Die Deckelvision mit Wohnbauten, Bildungscampus, Alleen und Bachfreilegung.

Wunschdenken? Nein, sagt die zweite, vertiefte Machbarkeitsstudie, und dies entgegen den Empfehlungen von Experten nach einer ersten Grobstudie: Die Gesamtüberbauung sei technisch, städtebaulich und wirtschaftlich möglich. Für die Analyse wurden insgesamt acht Bereiche untersucht, jeweils mit den «schweizweit besten Teams», wie Nüesch sagt: Konstruktion, Wirtschaftlichkeit, SBB und Verkehr, städtebauliche Situation und gesellschaftliche Auswirkungen, Trägerschaft und Kommunikation.

Die Studie kalkuliert mit einer hohen Baudichte von 2,7 und geht, so Nüesch, von heutigen Kosten und nicht von einem fiktiven Irgendwann aus. Gedacht wurde an alles, vom zusätzlichen Winterdienst im neuen Stadtteil bis zu Kosten für neue Weichen und neue Buslinien. Die Konstruktion wäre gemäss Nüesch einfacher zu bewerkstelligen als jene des Olmadeckels. Am Ende resultierte ein Betrag von 250 bis 300 Millionen Franken für die Gesamtüberdeckung – Geld, das die Einfache Gesellschaft zu investieren bereit wäre.

St.Gallen käme so ohne öffentliche Gelder zu einem neuen und, wovon Nüesch wie Buschor überzeugt sind, höchst attraktiven «Subzentrum». Für die spätere Bebauung würde eine städtebauliche Studie und anschliessend Wettbewerbe zu einzelnen Baufeldern durchgeführt und dafür Investoren gesucht.

SBB ziehen die Notbremse

Einbezogen in die Planung waren die vier Grundeigentümerinnen: Stadt, Migros, SBB und Bundesamt für Strassen (für den Autobahnteil). Doch die SBB zogen jetzt die Notbremse: Für weitere Planungen einer Gesamtüberdeckung stünden sie nicht mehr zur Verfügung. Grund seien die zu grossen Einschränkungen, die der Bau des Deckels für den Bahnbetrieb mit sich bringen würde, und das nicht so rasch ersetzbare Stellwerk im Bahnhof St.Fiden.

Für eine Teilüberdeckung allerdings böten die SBB weiterhin Hand – im September finden dazu Gespräche statt. Damit sei die «ganz grosse Vision» vom Tisch, aber die Stadt stehe dennoch nicht mit leeren Händen da, sagt Buschor. Die Ergebnisse der früheren Testplanung und der jetzigen Studie könnten weiter genutzt werden.

Konkret: Bis 2035 wollen die SBB in St.Fiden eine Reihe zusätzlicher Abstellgleise bauen, zwischen der heute als Areal Bach belebten Fläche, die der Stadt gehört, und den bisherigen Gleisen. Diese neuen Abstellgleise könnten weiterhin überdeckt werden, und auch eine kleinere Verbindung zwischen den beiden Quartieren soll möglich bleiben.

Enger Zeitplan

Damit ist ein grösserer Teil des Gesamtplans weiter denkbar. Allerdings unter dem gleichen Zeitdruck, unter dem das ganze Verfahren steht: Auch der verkleinerte Deckel muss bis 2035 gebaut sein. Nach Nüeschs Zeitplan könnte dies hinkommen; rund sechs Jahre brauchten die diversen Planungen, circa 2029 könnte so das Stadtparlament seine Entscheide (Baurechtsverträge, Quartierpläne etc.) treffen.

Klauspeter Nüesch (links) und Markus Buschor nach der Medienkonferenz. (Bild: Su.)

Bereits von Beginn weg soll aber die Bevölkerung mit einbezogen sein. Buschor machte auf Nachfrage klar: Das Quartier, das sich heute im Areal Bach eine lebendige Zwischennutzung geschaffen hat, soll mitreden, und solche niederschwelligen Angebote müsse es auch in einem künftigen Neu-St.Fiden weiterhin geben. Ein gentrifiziertes Oerlikon-Ost wäre nicht im Sinn der Stadt und der Quartiere.

Klauspeter Nüesch, der selber im Heiligkreuz aufgewachsen ist und seit vielen Jahren für St.Fiden «brennt», gab im Namen der privaten Initianten bekannt: «Wir bleiben dabei – unter der Voraussetzung, dass die Entwicklung visionär bleibt und sich nicht auf ein paar Wohnungen beschränkt.» Güllen kann also weiterhin, wie bei Dürrenmatt, auf privaten Geldsegen hoffen.

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