, 5. Juli 2021
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«Es ist nicht rosa. Aber es ist gut hier»

Am 6. Juli ist Schluss, nach 16 Jahren tritt er aus dem St.Galler Stadtparlament zurück – Etrit Hasler über das veränderte Politklima, die Realpolitik und sein grösstes Trauma: das fehlende Verständnis für Kulturförderung.

«In 100 Jahren steht in dieser Stadt eine Statue für Maria Pappa»: Etrit Hasler.

Saiten: Die jüngste Schlagzeile im St.Galler Stadtparlament lieferten an der Junisitzung die Grünliberalen mit ihrem Auszug aus dem Rat, aus Protest gegen eine kritische Interpellation zur St.Galler Spitex. Was war da los? Ein Stilwandel?

Etrit Hasler: Solche «Demonstrationen» kann man schon machen, aber im konkreten Fall fand ich es nicht nachvollziehbar. Mit der Interpellation wurde ja nicht GLP-Stadträtin Sonja Lüthi persönlich angegriffen. Der Gesamtstadtrat muss sich zu dem Thema Fragen gefallen lassen.

Ist der Politstil in den 16 Jahren seit deiner Wahl rauer geworden?

Im Gegenteil: viel konstruktiver. Als ich ins Parlament kam, war es viel stärker von einzelnen Alphatieren geprägt – und wir als SP in einer klaren Oppositionsrolle, nachdem wir gerade den zweiten Stadtratssitz verloren hatten. Wie sich damals die politischen Gegner teils angegiftet haben, war fernab von Sachlichkeit.

Woran liegt es, dass der Umgang konstruktiver geworden ist?

Ich glaube, es gibt heute einen Grundkonsens, was die Flughöhe der Debatten betrifft: Wir müssen im Stadtparlament viel seltener nationale Themen ausdiskutieren – Kontroversen um Einbürgerungen etwa, wie sie früher dazugehörten. Es geht im Waaghaus um Lichtsignale, Parkplätze, Kindergärten, Schulhäuser.

Ist das nicht langweilig?

Das bedeutet weniger Action, sicher. Aber es geht um Greifbareres. Wir erleben die Resultate unserer Arbeit. Und die gibt es: In dieser Stadt hat sich in den letzten Jahren vieles geändert.

Auch in der Kultur?

Ja. Die Förderung ist professioneller geworden. Heute ist es selbstverständlich, dass sich Veranstalterinnen und Gesuchsteller an Mindesthonorare halten müssen, damit ihre Projekte unterstützt werden. Das ist eine sehr reale Veränderung, die sich fernab von politischen Debatten durchgesetzt hat.

Alles gut in der Kulturstadt St.Gallen?

Natürlich nicht. Es fehlt weiter ein Konzertsaal. Die Reithalle sollte seit den 80er-Jahren bekanntlich gleichermassen für Reitsport und Kultur zur Verfügung stehen. Das klappte jedoch von Anfang an nicht. Die Saalfrage blieb akut, bis zum Sparprogramm fit13plus: Da wollte von Sälen niemand mehr etwas wissen. Die Reaktion darauf war die Reithallen-Initiative.

Diese ging bachab, und der Saal fehlt noch immer. Ein Trauerspiel…

Dabei wäre das nicht einmal ein linkes Anliegen, sondern eher ein bürgerliches: kommerziellen Kulturanbietern eine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. In einer Stadt von der Grösse St.Gallens braucht es ein Angebot für mittelgrosse Anlässe. Slam oder Cabaret für 300 Leute kann man auch auf dem Land machen. Kommerziell spannende Acts brauchen eine Kapazität von tausend Personen. Dafür gibt es keinen Ort.

Wo klemmts?

Unter anderem daran, dass wir in dieser Stadt eine extrem ausgeprägte, absurde Feindschaft zwischen Kultur und Sport haben. Andernorts gibt es Infrastrukturen, die sportlich und kulturell zugleich genutzt werden können. Kommt hinzu, Stichwort Lokremise, dass die Beziehung zwischen Stadt und Kanton schwierig ist. Und die Topografie der Stadt erlaubt es nicht, einfach auf der grünen Wiese neu zu bauen – so wie es in Solothurn beim Kulturzentrum Kofmehl der Fall war. Allerdings sehe ich es auch nicht als Aufgabe von Privaten an, für Kultur-Infrastruktur zu sorgen. Das ist eine klassische Staatsaufgabe.

Was ist das grösste Trauma im Blick zurück auf deine Parlamentszeit?

Das immer noch verbreitete Unverständnis für die Notwendigkeit von Kulturförderung. Ich höre noch bürgerliche Stimmen damals bei Fit13 plus, die den Kulturschaffenden «fehlende Initiative» vorwarfen. Oder die Kürzung der Förderpreise: Immer wieder bricht die Geringschätzung für künstlerische Arbeit hervor, das Misstrauen, man wolle seine eigene «Klientel bewirtschaften».

Es fehlt im Parlament ein Grundverständnis für Kultur als Staatsaufgabe?

Ja. In der Verwaltung hingegen hat man in den letzten Jahren verstanden, dass Kultur auch ein Teil der Standortpolitik ist. Dazu hat auch Stadtpräsident Scheitlin beigetragen. Ohne viel Aufhebens wurde etwa ein gemeinsamer Kredit für Standort- und Kulturförderung geschaffen, für Anlässe im Grenzbereich von Kultur und Event. Natürlich darf man Kultur nicht nur aus einer Standortoptik betrachten – aber wo man es kann, ohne sich zu verraten, ist das doch ok.

Er gehe «gerade jetzt, wo es so viel zu tun gäbe und die Stadt, angeführt von ihrer ersten Seconda-Stadtpräsidentin Maria Pappa, daran ist, ihrem Potential als Zentrum der Ostschweiz endlich zu nachzuleben – und zwar nicht einfach nur als Dekoration für die HSG, sondern als aktiver kultureller, diskursiver und sozialer Hotspot».

Etrit Hasler auf Facebook zu seinem Rücktritt

Und was ist die grösste Befriedigung für dich?

Die Art und Weise, wie sich der Umgang der Polizei mit Randgruppen, mit der Nutzung des öffentlichen Raums, insbesondere mit Jugendlichen verbessert hat. Der verstorbene Stadtrat Nino Cozzio hat sehr viel zu diese Klimaveränderung beigetragen. Eindrücklich ist auch, wie sich die Abstimmungsergebnisse zu nationalen Fragen in der Stadt über die Jahre verändert haben. Heute stimmt St.Gallen ähnlich wie Basel, Zürich oder Genf. Zwei Drittel Neinstimmen zur Durchsetzungsinitiative – so etwas wäre vor 16 Jahren noch undenkbar gewesen. Oder der Vaterschaftsurlaub für städtische Angestellte: Das war im Parlament von Anfang an unumstritten, es ging nur noch um die Anzahl Wochen.

Du sprichst wie ein «Botschafter» dieser Stadt.

Ja – wieso auch nicht? Ich habe St.Gallen gern.

Du hast stets als kritische Stimme dieser Stadt gegolten. Auch wenn sich viel zum Guten verändert hat: Ist das Bild so rosa?

Nein, es ist nicht einfach rosa. Aber es ist gut hier. Persönlich gesprochen: Ich bin mir meiner privilegierten Situation bewusst. Ich habe dank meiner Mutter viel von der Welt gesehen – mit 21 hatte ich alle Kontinente einmal bereist, habe in Kairo und in Washington D.C. gelebt. Und ich konnte immer anderswo Geld verdienen und nach St.Gallen, in diese kleinstädtische Idylle zurückkehren – das ist keine Selbstverständlichkeit. Und klar: St.Gallen stand lange Zeit auch für Filz, für eine kleine Elite-Clique, die bestimmt, was in dieser Stadt geht, und die ihre vielleicht letzten Rückzugsgefechte an Niklaus Meienberg ausgetragen hat. Aber heute ist vieles aufgebrochen. Die kurzen Wege der Kleinstadt gibt es immer noch. Aber heute kann man Dinge verändern.

Etrit Hasler, hier am Waaghausweg, demnächst weg vom Waaghaus. (Bild: Su.)

Noch vier letzte Abstimmungen…

Slam oder Politik?

Das eine hat das andere bedingt. Ich bin gewählt worden, weil man mich schon von der Bühne her gekannt hat, und ich bin auf der Bühne politischer geworden, weil das meine Themen waren.

Zürich oder St.Gallen?

St.Gallen ist meine Heimat. Aber in St.Gallen als Kulturschaffender zu überleben, ist nicht einfach. Da muss man in einer Liga spielen, in die es nur wenige schaffen. Zürich bietet mehr Chancen in dem Bereich, und sei es nur, weil die Medien fast alle dort sind.

Heinz Christen oder Maria Pappa?

Keine Frage: Maria Pappa. In 100 Jahren steht in dieser Stadt eine Statue für Maria Pappa.

Und die letzte Frage: Rede oder d’Schnorre halte?

Ist ja klar bei mir. Ich rede meistens zu schnell und zu viel.

Etrit Hasler, 1977, hat nach 16 Jahren auf Anfang Juli seinen Rücktritt aus dem St.Galler Stadtparlament erklärt. Er kandidiert neu an seinem Wohnort Zürich im Kreis 7/8 auf der SP-Liste für den Gemeinderat.

Eine kürzere Fassung dieses Interviews erscheint im Sommerheft von Saiten.

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