, 9. Mai 2020
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Antifeminismus macht rechte Positionen gesellschaftsfähig

Antifeminismus und Anti-Gender-Rhetorik spielen bei der «Einmittung» rechter Weltanschauungen eine zentrale Rolle. Sie ermöglichen es Teilen der Gesellschaft, nach rechts zu rücken, ohne dass sie «rechts» wirken. Der Gastbeitrag von Franziska Schutzbach aus unserem Maiheft.

In den vergangenen Jahren haben die Anfeindungen gegen Gender, Gleichstellung und Feminismus stark zugenommen. Diese Entwicklung hängt, wie vielfach gezeigt wurde, eng mit dem Aufstieg rechtsextremer und rechtspopulistischer Kräfte zusammen. Misogynie (Frauenhass), die Verteidigung traditioneller und hierarchischer Geschlechtermodelle und die Ablehnung von Homosexualität sind historisch und bis heute Elemente völkischen und nationalistischen Denkens. So ist zum Beispiel die Idee eines homogenen Volkes inhärent mit Konzepten einer traditionellen und «heilen» Familie verbunden, in denen «Vater und Mutter» das Volk reproduzieren. Damit einher gehen auch Geschlechternormen wie das Bild der aufopferungsvollen Mutter und des überlegenen Mannes.

Es ist also wenig überraschend, dass feministische und queere Perspektiven, die egalitäre Lebensmodelle anstreben und eine Vielfalt von geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen ermöglichen wollen, angefeindet werden. Ebenso wenig überraschend ist es, dass die Gender Studies, die die Vielfalt von Lebensweisen auch wissenschaftlich aufzeigen, bekämpft werden.

Antifeminismus und Anti-Gender-Diskurse haben jedoch bei weitem nicht nur bei den Rechten Konjunktur. Sie finden seit einigen Jahren Anklang in allen gesellschaftlichen und politischen Milieus. Antifeminismus und Anti-Gender haben offensichtlich eine Scharnierfunktion und bilden eine Art gemeinsamer Nenner für sehr unterschiedliche Lager. Von Rechtsextremen, Christlich-Fundamentalen, «besorgten Eltern» bis hin zu Konservativen, Feuilletonisten, Liberalen und sogar Linken.

Wie es die Journalistin Lea Susemichel jüngst überspitzt formulierte: «Darauf, dass die Feministinnen den Bogen überspannen, können sich Männer unterschiedlichster Lager und Milieus immer noch einigen.» So verschieden die Haltungen sein mögen, beim Feindbild Feminismus oder Gender kann man sich offenbar verständigen. Antifeminismus schafft Verbindungen und gemeinsame politische Ziele unter Akteuren, die ansonsten extrem unterschiedlichen ticken.

Ferner ist Antifeminismus eine Chiffre, mit der reaktionäre Positionen in verschiedenen politischen Milieus gesellschaftsfähig gemacht werden. Denn die Ablehnung von Feminismus oder Gender erscheint auf Anhieb nicht eindeutig rechts – anders als plumpe Ausländer-raus-Parolen. Zum Beispiel wird – und das macht den reaktionären Charakter antifeministischer Positionen oft unsichtbar – die formale Gleichstellung meist durchaus akzeptiert und sogar als wichtige Errungenschaft des Abendlandes bezeichnet.

Franziska Schutzbach, 1978, ist Soziologin und Geschlechterforscherin. (Bild: pd)

Rechte Politikerinnen wie Alice Weidel, aber auch liberale Feuilletonisten oder Maskulisten im Internet befürworten dezidiert die gesetzlich festgehaltene Gleichheit, benutzen aber genau diese positive Bezugnahme, um zu sagen: Mehr braucht es nicht. Bis hierher und nicht weiter. Sie sagen: Wenn es heute noch fortbestehende Ungleichheiten gibt, dann ist das wegen der Biologie. Und muss so bleiben.

Die Logik des neuen Antifeminismus lautet: Wir erkennen bürgerliche Gleichheitsprämissen ein Stück an, im Gegenzug dürfen wir umso unverhohlener biologistisch argumentieren. Die Berufung auf die Natur ist eines der ältesten antifeministischen Argumente. Die Natur ist auch der wichtigste Ansatzpunkt jeglicher völkischer und reaktionärer Ideologie, die im Kern immer darauf zielt, Hierarchien, Ungleichheit und Ausschlüsse zu legitimieren und eine vermeintlich natürliche «Macht des Stärkeren» zu idealisieren.

Die Verbindung von Antifeminismus und Anti-Political-Correctness

Neben einem neu aufkeimenden Biologismus war in den vergangenen Jahren aber vor allem der Aufbau von Feindbildern erfolgreich. Feminismus sei «Umerziehung von oben», «Gleichschaltung» oder der Terror der politisch Korrekten. Antifeminismus funktioniert letztlich wie andere klassische Feindbild- konstruktionen und Verschwörungstheorien, Feminismus und Gender werden zu einem gigantischen Monsterfeind aufgeblasen. Und ja, richtig, das ist paradox: Man positioniert Frauen als biologisch schwächer, unterlegener usw., unterstellt ihnen aber gleichzeitig omnipotente Mächte. In dieser Paradoxie spiegelt sich die immer gleiche Logik des Ressentiments. Diese Logik sagt nichts über Feminismus aus, aber einiges über die Ängste und nicht erreichten Allmachtphantasmen der Antifeministen.

Auch der Anti-Political-Correctness-Diskurs funktioniert so: Die Rede ist von einer mächtigen Sprachpolizei, die aber von sogenannten «Snowflakes» ausgeht, das heisst von angeblich verweichlichten, weinerlichen linken Kids, die mit ihren «Triggerwarnungen» und «Safe Spaces» die Welt terrorisieren. Anders ausgedrückt: Die politisch Korrekten sind zwar schwächlich, aber heimlich mächtig. Die paradoxe Figur der Schwach-Starken ist eine der ältesten, historisch vor allem im Antisemitismus verankerten reaktionären Topoi.

Aktuell wird dieser Topos im Kleid der Anti-Political-Correctness oder wahlweise auch mit Identitätspolitik-Bashing neu aufgelegt. Anti-Political-Correctness wurde in den 1990er-Jahren aus den republikanischen US-Wahlkämpfen in den deutschsprachigen Raum importiert und hier zuerst von rechtsradikalen und antisemitischen Verschwörungstheoretikern verwendet.

In einem Buch des Rechtsextremen Klaus Groth, Die Diktatur der Guten – Political Correctness, aus den 1990er-Jahren heisst es gleich im ersten Satz: «Die Diktatur hat einen neuen Namen, die Political Correctness, sie ist die Herrschaft der Minderheiten über die Mehrheit.»

Heute liest man solche Sätze nicht mehr nur in rechtsextremen Büchern, sondern im Feuilleton. Das Feuilleton sprang auf diesen Zug auf und klatschte in den letzten Jahren beherzt mit, als es Mode wurde zu behaupten, dass Minderheiten, Frauen usw. jetzt übertreiben und doch mal Ruhe geben sollten, dass es langsam reiche mit der Egalität.

Man nickte, als in jedem Gender-Mainstreaming-Programm «Umerziehung von oben», in jeder feministischen Kritik ein «Zensurinstrument» vermutet wurde. Man klatschte so lange, bis liberaldemokratische Prämissen wie Egalität, Minderheitenrechte und Gleichstellung ganz allgemein und grundlegend unter Verdacht gerieten. Bis sogar Grundgesetze und Menschenrechte als extrem oder totalitär galten und es zunehmend als Ausdruck der liberalen Freiheit galt, gar zum «Punk» emporstilisiert wurde, diese abzulehnen und darauf zu beharren, so ein bisschen sexistisch und rassistisch zu sein.

In zahlreichen Zeitungen schrieben konservative Feuilletonisten in den vergangenen Jahren über eine angeblich aus dem Ruder gelaufene Emanzipation, eine «übertriebene Gleichstellungspolitik» oder «totalitäre Genderforschung». Aufgebaut wurde die Vorstellung von einem «zu viel» an Emanzipation, von Meinungsverboten oder gar von einer bevorstehenden «Genderdiktatur».

Franziska Schutzbach: Die Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick. Edition Xanthippe, 2018

Franziska Schutzbach: Politiken der Generativität. Reproduktive Gesundheit, Bevölkerung und Geschlecht. Das Beispiel der Weltgesundheitsorganisation. Transcript-Verlag, 2020

Diese Feindbildrhetorik hatte den Effekt, dass konservative oder rechte Akteure sich als demokratische Tabubrecher inszenierten, in Wahrheit aber demokratische Mindeststandards wie Antidiskriminierung oder Gleichstellung delegitimierten. Es ist wichtig zu verstehen, dass beim Political-Correctness-Bashing bzw. der Behauptung, wir hätten es mit einer feministischen Diktatur zu tun, nicht irgendwelche tatsächlich radikalen feministischen Ideen angegriffen werden, sondern die Basis demokratischer und im Grundgesetz verankerten Vereinbarungen. Es geht um eine schleichende und grundsätzliche Infragestellung von Egalität.

In der Schweiz setzte sich etwa der ehemalige Chefredakteur der «Basler Zeitung», Markus Somm als Freiheitskämpfer gegen eine angeblich totalitäre Genderforschung in Szene. Er unterstellte, die Genderforschung wolle Männer und Frauen «gleichschalten» und plädierte für das Recht, unterschiedlich sein zu dürfen. Allerdings erweist sich sein Plädoyer für Unterschiedlichkeit genau besehen selbst als dogmatisch. Mädchen würden nun mal, wie er beobachte, lieber mit Puppen spielen als Buben.

Somm leitet, ausgehend von naturalistischen Sein-Sollen-Fehlschlüssen, eine ahistorische Pauschalwahrheit ab: Weil ich sehe, dass Menschen etwas tun (mit Puppen spielen), weiss ich automatisch, was ihre Rolle in der Gesellschaft zu sein hat. Kurzum: Der Vorwurf gegen die Gender Studies, totalitär zu sein, ermöglicht es ihm, seine eigenen normativen und im Kern antiliberale Perspektiven zu vertreten («Mädchen sind so»). In einer absurden Verkehrung wird das Festhalten an Stereotypen und Normen zum Inbegriff von Freiheit erklärt.

Der Mythos der erreichten Gleichstellung

Ferner beruft sich Somm auf eine angeblich längst erreichte Gleichstellung. Formal gesehen gebe es keine Hürden mehr. Frauen können heute tun und lassen was sie wollen, es brauche deshalb keinen Feminismus und auch keine Geschlechterforschung. Die Beseitigung wirklich «schwerwiegender Diskriminierungen wie der Tatsache, dass eine Frau ohne Erlaubnis ihres Mannes keinen Vertrag unterschreiben konnte», sei erfolgt, und aus liberaler Sicht ein «selbstverständliches Anliegen».

Somm bezieht sich affirmativ auf die Gleichstellung, um zu sagen: Jetzt reicht es. Wenn es jetzt noch «Restungleichheiten» gibt, dann sind sie in der Natur begründet und zu akzeptieren.

Was in solchen Argumentationsweisen genau genommen passiert, ist, dass ein wichtiger Teil demokratischer Verfassungen delegitimiert wird, nämlich der Auftrag, Gleichstellung nicht nur formal festzuhalten, sondern auch tatsächlich umzusetzen, also politisch einzugreifen und Dinge gerade nicht «der Natur» zu überlassen.

Es handelt sich um eine zentrale Erkenntnis liberaldemokratischer Gesellschaften, dass Gleichberechtigung nicht nur eine juristische Formel ist, die dann den Individuen überlassen werden kann, sondern dass diese auch politisch und materiell umgesetzt werden muss. Die Schweizer Verfassung hält fest: «Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.»

Eine Haltung wie diejenige von Markus Somm und anderen, die Gleichstellung auf eine rein formale Ebene reduzieren, entlässt Staat und Gesellschaft aus der Verantwortung. Genau hier werden Antifeminismus und Anti-Gender-Positionen zu gefährlichen Einfallstoren für antidemokratische Weltanschauungen. Und zwar – das ist das Verführerische dieser Argumentation – indem sie sich als bürgerlich und liberal inszenieren: Die Delegitimierung der Verfassung erscheint als Inbgriff von Freiheit und Selbstbestimmung.

 Dieser Beitrag erschien im Maiheft von Saiten.

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