, 28. Februar 2020
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Asbest-Alarm im Museumsdepot

Die Ähnlichkeit ist frappant: Menschen von Kopf bis Fuss in Schutzkleidung, mit Spezialbrillen und Atemmasken. Ihre Aufgabe könnte aber unterschiedlicher nicht sein. Die einen stehen aktuell im Einsatz gegen das Coronavirus, die anderen haben im Thurgau Tausende von Museumsobjekten von Asbestbefall gereinigt.

Reinigungsteam im asbestverseuchten Museumsdepot an der Arbeit.

Eine Hiobsbotschaft macht den Anfang. Bei Unterhaltsarbeiten entdeckt ein Elektriker Asbestspuren im Geschäfts- und Bürohaus an der Bahnhofsstrasse 55 in Frauenfeld. Eine umfassende Sanierung der Liegenschaft ist unumgänglich. Im Untergeschoss befindet sich das Depot des thurgauischen Geschichtsmuseums mit rund 30’000 Objekten.

Der Befund ist niederschmetternd. Die gesamte Sammlung muss akribisch von den feinen Asbestfasern gereinigt werden. Sie haben sich nicht nur auf den Oberflächen, sondern auch im Innern der Objekte über Hohlräume und Ritzen festgesetzt. Die Fasern sind durch das Einatmen für den Menschen hochgefährlich. Sie führen in den Atemwegen zu Entzündungen und können Krebs auslösen.

Karin von Lerber, Textilkonservatorin und Konservatorin-Restauratorin, erzählte am Donnerstag in der Reihe «Museumshäppli» auf Schloss Frauenfeld den Kulturkrimi.

30’000 Objekte kontaminiert

Sie betreibt mit ihrem Mann in Winterthur die Firma Prevart, die sich unter anderem in der Museumsarbeit mit Konservierungen und Restaurierungen befasst und darin grosse Erfahrung hat. Für das Frauenfelder Problem jedoch gibt es auf der Welt kaum Präzedenzfälle, geschweige denn Fachliteratur. Um den monströsen Kulturkrimi zu lösen, ist Pionierarbeit gefragt.

Zuerst muss recherchiert werden, wie Asbestfasern von Gemälden, Skulpturen, Möbeln und anderen fragilen Objekten gelöst werden können. Welche Fachkräfte kommen für diese Arbeit in Frage, unter welchen Bedingungen kann die Reinigung durchgeführt werden, und welche speziellen Geräte stehen für den Einsatz zur Verfügung?

Kulturgüter sind hochsensibel. Die Reinigung muss demzufolge fachgerecht und zum Schutz von Mensch und Umwelt auch mit grösster Sorgfalt durchgeführt werden. Ein interdisziplinäres Team aus Restauratoren und Schadstoff-Expertinnen bildet die Task Force. Sie erarbeitet gemeinsam mit dem Museum, dem kantonalen Hochbauamt und der Besitzerin der Liegenschaft ein Reinigungs- und Umlagerungskonzept.

Mit dem Worst Case konfrontiert

Die schrittweise Auflösung des Kulturkrimis, wo es darum geht, die kontaminierten Objekte vom Asbestbefall zu befreien, ohne dass sie Schaden nehmen, erzählt Karin von Lerber in spannender, informativer Unterhaltsamkeit. Sie fügt ihren Schilderungen mit kurzen Videoclips auch eine gewisse Dramatik bei.

Das Geschichtsmuseum ist mit dem Worst Case konfrontiert, denn die kontaminierten Objekte sind nicht mehr zugänglich für Ausstellungen und für Forschungszwecke. «Mein Anteil an der Arbeit war, die korrekte Reinigung der Objekte zu gewährleisten und die korrekte Umlagerung ins neue Magazin im Allmendcenter in Frauenfeld sicherzustellen», sagt die Spezialistin in breitem Berndeutsch. Ihr stand ein Team von 30 Frauen und Männern aus verschiedenen Berufen zur Verfügung, die per Ausschreibung gesucht wurden, unter dem Vermerk, dass bei der Arbeit Schutzkleidung getragen werden muss.

Arbeit unter Über- und Unterdruck

Im Arbeitsbereich des kontaminierten Depots sei eine Überdruck- und eine Unterdruckzone eingerichtet worden, damit keine neue Kontamination habe stattfinden können, sagt Karin von Lerber. Das Untergeschoss und der Lift für den Transport der Objekte nach oben seien sogenannte schwarze Zonen gewesen. Dazwischen sei ein Lüftungsschleusensystem eingerichtet worden. Es habe jeweils ein starker Luftstrom geherrscht, damit die gereinigten Objekte nicht wieder hätten verunreinigt werden können.

Im eigentlichen Reinigungsbereich ist laut Karin von Lerber geblasen, gepinselt und gesaugt worden. Die einzelnen Objekte sind sowohl an der Oberfläche wie auch im Innern sorgfältig behandelt worden. Die Sauggeräte und Messverfahren für die Reinheit wurden teilweise vom Team selbst entwickelt. Schliesslich gab es eine Labor- und eine Endkontrolle, bevor die Verpackung und der Abtransport der nun unbedenklichen Objekte ins neue Depot erfolgen konnte.

Ein Zettelsystem für die Kommunikation. Damit es kein Durcheinander gegeben hat, ist jedes Objekt nummeriert und einer entsprechenden Labor-Gruppe zugeteilt worden. Das Team kommunizierte über ein Zettelsystem, weil bei der Arbeit das Sprechen wegen der Schutzkleidung nicht möglich war. Möbel mussten teilweise für den Lifttransport auseinandergenommen und nachträglich wieder in den ursprünglichen Zustand gebracht werden. Schwere Objekte wurden für den Transport auf Paletten gestellt.

In die Kosten geteilt

Die Dekontamination der Objekte aus dem verseuchten Depot und die Umlagerung ins neue Depot im Allmendcenter erfolgte im vergangenen Jahr. In die Kosten von mehreren Millionen Franken teilen sich die Besitzerin der Liegenschaft an der Bahnhofstrasse 55 in Frauenfeld und der Kanton Thurgau.

Das Team von Karin von Lerber hat 7673 Arbeitsstunden geleistet. Im Durchschnitt sind pro Objekt von der Entnahme im alten Depot bis zur Einordnung im neuen 24 Minuten aufgewendet worden. Neben der Pionier- auch eine Herkulesarbeit.

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