, 13. Februar 2020
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Theaterprovisorium: «Unbedingt weiternutzen»

Zwei Jahre lang wird das Theater St.Gallen in einem Provisorium vor der Tonhalle spielen. Danach wäre das Ersatz-Gebäude zu haben – und Interessierte gäbe es genug. Fehlt bloss (noch) der Platz.

Das Provisorium auf dem Unteren Brühl vor der Tonhalle im Modell. (Bild: pd)

Im Sommer 2020 geht es mit dem Umbau des Theaters St.Gallen los, die laufende Spielzeit ist die letzte vor der Renovation. Zwei Jahre lang wird in einem Provisorium gespielt. Noch ist das genaue Aussehen des Gebäudes nicht klar – die aktualisierten Pläne oder Visualisierungen stellt das Baudepartement des Kantons auf Anfrage erst auf Ende März in Aussicht.

Ein guter Moment, um über die Zeit danach nachzudenken: Was soll mit dem gemäss Baukredit 4,5 Millionen Franken teuren Bau nach den zwei Spielzeiten geschehen? Die Idee, ihn danach kulturell weiter zu verwenden und für veränderte Nutzer umzubauen, hat Saiten bereits vor zwei Jahren aufgebracht, im Theaterheft vom Februar 2018. Und dort auch an frühere Provisoriumsträume rund um das Mummenschanz-Expo-Theater erinnert, mehr dazu hier.

Fest steht: Das Gebäude soll rund 500 Plätze haben und für grosse Musiktheater-Aufführungen geeignet sein. Es kommt auf den Unteren Brühl vor der Tonhalle zu stehen, nachdem vorerst ein Standort zwischen den beiden Museen im Stadtpark favorisiert worden war. Fest steht auch: Gebaut wird das Provisorium von der Holzbaufirma Blumer-Lehmann AG in Gossau, die auch den Modulbau auf dem Lattich-Areal entwickelt hat.

Das Theater: «keine Eintagsfliege»

Nachstehend die Situation mit der Tonhalle und den Visieren für das Provisorium, oben im Titelbild eine frühere Visualisierung des Theaterprovisoriums (im Modell ganz rechts das Theater, links das Brühltor).

Geplant werde ein «hochwertiger Holzbau», sagt Werner Signer, der geschäftsführende Direktor des Theaters St.Gallen – vergleichbar den Provisoriumsbauten anderer Schweizer Theater, wie sie in den letzten Jahren in Bern, Genf oder Zürich realisiert worden sind. Damit bestehe grundsätzlich auch die Chance, das Material nach dem zweijährigen Provisorium weiter zu verwenden. Zuständig dafür sei jedoch der Kanton; er selber würde es positiv finden, wenn der Bau «keine Eintagsfliege» bleiben würde, sagt Signer ausdrücklich.

Der Kubus von Konzert und Theater Bern während des Umbaus 2016. (Bild: Felix Brodmann)

Der Kanton: «interessiert»

Frage an den Besitzer des Baus, den Kanton: ob sich das Theaterprovisorium weiterverwenden lasse, welche Absichten er damit habe und ob es vorstellbar sei, dass es dereinst als Haus der freien Theaterszene dienen könnte. Das Baudepartement antwortet: «Der vordere Brühl liegt in der Grünzone und ist im Besitz der Stadt St.Gallen. Für die Nutzung eines Teils der Grünanlage hat das Baudepartement mit der Stadt St.Gallen eine Vereinbarung getroffen und eine Ausnahmebewilligung erhalten. Das Baudepartement kann auf dem Gelände vor der Tonhalle ein Theaterprovisorium erstellen und für zwei Spielsaisons nutzen. Das Provisorium muss, so steht es in der Vereinbarung, bis am 15. März 2023 wieder rückgebaut werden. Den ursprünglichen Zustand des Geländes gilt es bis zu diesem Zeitpunkt wiederherzustellen.»

Und weiter: «Die Qualität des Theaterprovisoriums lässt eine weitere Nutzung durchaus zu. Es bestünde die Möglichkeit, das Theaterprovisorium abzubauen und an anderer Stelle wiederaufzubauen. Dafür bräuchte es ein geeignetes Areal und erneut eine Baubewilligung. Grundsätzlich wäre das Baudepartement daran interessiert, das Theaterprovisorium nach der zweijährigen Nutzung zu verkaufen.»

Ein provisorisches Haus für die Freien?

Diese positiven Signale des Theaters und des Kantons dürften Musik in den Ohren insbesondere der Freien Szene sein. Deren Wunsch nach Spiel- und Proberäumen für Theater, Tanz, Performance und andere Künste ist seit Jahren ein Thema – so dringend, dass die Vision eines Hauses für die «Freien» sogar ins neue städtische Kulturkonzept Eingang gefunden hat. Die Einsicht dort: St.Gallen hat nicht nur zu wenig Raum für die hier arbeitenden Ensembles, sondern ist auch von nationalen Gastspielen weitgehend abgeschnitten, weil das Haus dafür fehlt.

Bei der Kulturförderung der Stadt sind allerdings noch keine konkreten Ideen vorhanden. Im Budget 2020 ist ein Beitrag von 20’000 Franken für erste Konzeptarbeiten und Abklärungen eingestellt. Man sei mit dieser Arbeit aber noch am Anfang, sagt die Co-Leiterin der Kulturförderung, Barbara Affolter, auf Anfrage.

«Unbedingt machen!»

Konkreter wird es, wenn man mit Rolf Geiger spricht. Der langjährige Leiter der Regio Appenzell AR-St.Gallen-Bodensee und Mit-Initiant des Lattich-Projekts auf dem Güterbahnhofareal kann sich eine spätere Neunutzung des Provisoriums gut vorstellen. Darüber habe er auch schon mit der Erbauerfirma gesprochen, sagt Geiger. Ihm würde ein Haus für möglichst vielfältige Nutzungen und Zielpublika vorschweben – Knackpunkt sei allerdings der Standort.

Auf dem Güterbahnhof-Areal gibt es zwar denkbare Flächen, aber auch diverse Ansprüche – unter anderem für die Aufkolonnierung der Baufahrzeuge, die an der Sanierung der Stadtautobahn beteiligt sein werden. Umgekehrt würde ein Provisoriumsbau, in wie auch immer abgeänderter Form, perfekt zu den aktuellen Zwischennutzungen auf dem Areal passen: den Lattich-Containern und der künftigen Bespielung der Halle. Allenfalls kämen auch andere Standorte in Frage, sagt Geiger – etwa die Bahnhofareale in St.Fiden oder hinter dem Hauptbahnhof.

Die Lattich-Module auf dem Güterbahnhof-Areal. (Bild: Ladina Bischof)

Der Parkplatz hinter dem St.Galler Hauptbahnhof. (Bild: Dani Fels)

«Unbedingt weiterverfolgen!» Das sagt Peter Olibet, Präsident der SP-Stadtpartei und Mitinitiant der «Stadtstrategie 2024», die soeben an einem offenen Workshop lanciert worden ist. Idealer Standort für eine Weiterverwendung des Provisoriums wäre nach seinen Worten der Güterbahnhof: «Da gibt es Platz genug.» Auch der Parkplatz zwischen Fachhochschule und Lokremise käme für Olibet in Frage.

«Es muss auch um Inhalte gehen»

Interessiert äussert sich auch Ann Katrin Cooper, Co-Leiterin des Panorama Dance Theaters und Präsidentin der IG Kultur Ost. An Zwischennutzungs-Erfahrungen fehlt es ihr und ihrem Partner, dem Tänzer Tobias Spori nicht; das «Panorama» spielte schon in diversen theaterfremden Räumen und hat sich solches Einnisten mit der Reihe «episodes culturels» geradezu zum Programm gemacht. Der Provisoriumsbau könnte den Spielraum für die Freie Szene kräftig erweitern, ist Cooper überzeugt; nötig wären nicht bloss Aufführungs-, sondern insbesondere auch Arbeits- und Probenräume.

Ihre Einschränkung: Solange man in Provisorien denke, sei die Raumfrage immer sehr dominant. Mindestens so wichtig wäre aber die inhaltliche Arbeit, samt grundsätzlichen Fragestellungen: Für wen spielt man? Wer steht auf der Bühne und wie können möglichst alle Bevölkerungsschichten angesprochen und involviert werden? Was sind die Themen, die man künstlerisch anpacken müsste?

«Je länger man von Provisorien spricht, umso mehr drohen diese wichtigen Fragen unterzugehen.» Zwischennutzungen in Ehren, sagt Ann Katrin Cooper – aber nach Jahrzehnten des Wartens hätte die freie Tanz- und Theaterszene auch berechtigten Anspruch auf eine definitive Lösung.

Ein Dauerprovisorium, baulich reduziert und angepasst an die Bedürfnisse der freien Theater- und Musikszene? Vorbilder dafür gäbe es. Das ehemalige Mummenschanz-Expo-Gebäude ist als Espace Nuithonie seit bald zwanzig Jahren in Fribourg in Betrieb.

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