, 23. September 2019
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Gemeinschaftliche Visionen für die Ruckhalde

In der Ruckhalde in St.Gallen soll ein genossenschaftliches Wohnquartier mit Raum für neue Wohnformen entstehen. So will es eine neu gegründete Interessengemeinschaft. Die Stadt signalisiert zumindest Gesprächsbereitschaft.

Die Ruckhalde soll als gemeinschaftliches Wohnquartier genossenschaftlich überbaut werden. (Bilder: pd)

Der Ruckhalden-Hang, auf dem sich früher die Appenzellerbahn hinauf schlängelte, soll zum gemeinschaftlichen Wohnquartier werden. So will es ein vierköpfiges Gremium, das vor kurzem den Verein IG Ruckhalde ins Leben gerufen hat. Lichtgestalter Marc Dietrich, Architektin Christine Egli, Interaktionsfachmann und SP-Stadtparlamentarier Peter Olibet sowie Saiten-Co-Verlagsleiter und Innovationsentwickler Philip Stuber bilden das Kernteam, das am Montag sein Konzept im «Lattich» vorgestellt hat.

Die Grundidee: Für einmal sollen nicht die Grundbesitzer (grösstenteils die Stadt sowie die Risalit AG) oder Investoren die treibende Kraft sein hinter einem grossen Neubauprojekt, sondern die Zivilgesellschaft, als deren Vertreter sich die IG Ruckhalde sieht. Die Zivilgesellschaft soll im ganzen Entwicklungs-, Planungs- und Bauprozess für das neu entstehende Quartier Ruckhalde-Tschudiwies eine tragende Rolle übernehmen. Man grenzt sich bewusst von der Begrifflichkeit der «partizipativen Prozesse» ab, bei denen die Stadt bisher jeweils im stillen Kämmerlein geplant und die Leute erst danach nach ihrer Meinung gefragt hat.

Öffentlicher Infoanlass des Vereins «IG Ruckhalde» am 4. November 2019, 19 Uhr, Schulhaus St.Leonhard.

Anmeldung online.

In der Ruckhalde soll der Spiess umgedreht werden: Zuerst werden die Bedürfnisse der künftigen Quartierbewohner und der heutigen Anwohner im Tschudiwies erfragt. Erst dann beginnt eine noch zu gründende Dachorganisation, bestehend aus Mitgliedern der IG, Stadtbehörden und verschiedener Bauträger mit der Planung. In sogenannten «Echoräumen» soll der jeweilige Projektstand gespiegelt und so breit abgestützt werden. Je nach Thema wird offen oder gezielt dazu eingeladen.

Günstige Wohnungen, wenig Autos, viel Natur

«Wir wollen nicht zusehen, dass irgend ein grosser Investor kommt und hier eine Siedlung hinknallt, die dann einfach möglichst viel Gewinn abwerfen soll», sagt Christine Egli. Philip Stuber ergänzt, man solle sich einmal das tötelige Neubauquartier hinter dem Bundesverwaltungsgericht vergegenwärtigen. So etwas dürfe in St.Gallen nicht noch einmal gebaut werden.

Der Wohnungsmarkt sei in der Stadt St.Gallen zwar nicht so überhitzt wie in anderen Schweizer Städten, dennoch stagniere die Bevölkerungszahl. Ein Grund dafür sei fehlender attraktiver Wohnraum für Familien, schreibt die IG Ruckhalde in ihrem Konzeptpapier. Mit genossenschaftlichem Wohnungsbau würden die Wohnungen der Spekulation entzogen. Der vierköpfige Vereinsvorstand betont denn auch, keinerlei wirtschaftliche Eigentinteressen am Projekt zu haben.

Quartiervereine und der Familiengartenverein sollen früh mit ins Boot genommen werden.

Ein solidarisches Quartier soll es werden, erklärt Christine Egli die Vision der IG. Das Gebiet soll gemeinschaftlich entwickelt, der Wohnraum bezahlbar, die Nachbarschaft stark, die Bewohner und Gebäude und ebenso die Wohnformen vielfältig werden. Die Natur soll dabei sichtbar bleiben und es sollen auch Räume frei gelassen werden, um sich die Möglichkeit zur späteren Weiterentwicklung des Quartiers offen zu halten. Es soll ein autoarmes Quartier mit guter ÖV-Erschliessung und einem Sharing-Netzwerk entstehen.

Kontakte mit möglichen Partnern hergestellt

Man orientiere sich an Referenzprojekten, wie etwa dem Hunziker Areal in Zürich, dem Erlenmatt Ost in Basel oder dem Viererfeld in Bern. Vor allem letzteres könnte für St.Gallen Modellcharakter haben, führt Peter Olibet aus. Die Bauträgerschaft soll möglichst breit aufgestellt sein und nicht aus einem einzig Grossinvestor bestehen.

Man sei in engem Kontakt mit den ansässigen Baugenossenschaften, bei denen man mit der Vision für die Ruckhalde offene Türen eingerannt habe. Es herrscht das Bewusstsein vor, dass die Wohnbaugenossenschaften für ein solches Vorhaben ihre Kräfte bündeln müssen, wie aus einer Mitteilung des ostschweizerischen Regionalverbands der Wohnbaugenossenschaften Schweiz hervorgeht.

Die Quartiervereine und auch der Familiengartenverein, der seinen Standort gefährdet sieht, sollen eingebunden werden. Erste Gespräche haben bereits stattgefunden. Es gehe um ein Miteinander, betont die IG, die Gärten sollen nicht einfach weichen müssen. Aber vielleicht könne man sich von der Parzellierungsidee loslösen.

Die Stadt signalisierte immerhin Gesprächsbereitschaft, hält sich aber noch zurück mit konkreten Stellungnahmen. Der Stadtrat hat die Idee des Vereins besprochen. Gegenüber der IG schrieb er, er begrüsse die Grundidee und das Engagement des Vereins für eine breit abgestützte und partizipative Quartierentwicklung. Das vom Verein vorgeschlagene Verfahren erachtet der Stadtrat aber als komplex und aufwendig. Die Stadt sieht vor, den eigenen Planungsprozess für die Arealentwicklung Ruckhalde 2020 zu starten.

Die IG Ruckhalde will eine nachhaltige Quartierentwicklung.

Es bestehen Kontakte zu verschiedenen kantonalen Stellen, die ihr Fachwissen einbringen könnten. Und beim Bund hat die IG ein Antrag auf ein «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung 2020–2024» eingereicht. Von dort erhofft man sich zusätzliche Finanzen und zusätzliches Fachwissen für den Planungsprozess.

Ehrgeiziger Zeitplan

Konkret heisst das, der Verein IG Ruckhalde verfügt aktuell weder über Boden noch über Geld. Er zieht seine Legitimation für ein gemeinschaftliches Überbauungskonzept aus seiner Position als Interessenvertreter der Zivilbevölkerung.

Es wurde schon einiges an Vorarbeit geleistet. Das Konzeptpapier umfasst 36 Seiten und enthält einen ehrgeizigen Zeitplan, nach dem die rund 400 Wohnungen bereits im dritten Quartal 2025 bezogen werden könnten.

Ob es wirklich so schnell geht und ob das Vorhaben überhaupt realisiert werden kann, bleibt vorerst fraglich. Für die gesamte Prozessbegleitung und Planungsphase bis Bezug der Gebäude rechnet die IG mit Kosten von rund 800’000 Franken. Gesprochen ist bisher noch kein Rappen.

Im nächsten Schritt wird es für die IG vor allem darum gehen, möglichst viele Vereinsmitglieder zu gewinnen. Damit die abstrakte «Zivilgesellschaft» auch breit abgestützt ihre Interessen in die Überbauung der Ruckhalde einbringen kann. Der Verein steht allen Interessierten offen.

ruckhalde.ch

3 Kommentare zu Gemeinschaftliche Visionen für die Ruckhalde

  • Carlo sagt:

    Wir brauchen keine linke Baulobby, sondern bessere Nutzung der bereits im Übermass vorhandenen Wohnfläche in der Stadt.
    Die Ruckhalde muss grün bleiben.

  • Hanspeter Egli sagt:

    Wenn sich in dieser Stadt ein Team aktiv und auf freiwilliger Basis engagiert, mit dem Ziel für St. Gallen eine zukunftstaugliche Lösung vorzuschlagen wird das Team entweder in die Schublade inkompetent oder links geschoben. Die Stadt braucht aber Lösungen für qualitativ wertvollen und trotzdem bezahlbaren Wohnraum. Der Slogan „die Ruckhalde muss grün bleiben“ darf nicht dazu dienen, sich mit einer zukunftsgerichteten Entwicklung für die Stadt auseinander zu setzen!

  • Dragana sagt:

    Warum kein Stadtwäldchen, auch als Maßnahme gegen den Klimawandel?

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