, 12. Mai 2019
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Bäume, Sissi und die Klimajugend

Im März hat auch eine Delegation der Kantonsschule Trogen am Jugenparlament zur Alpenkonvention (YPAC) in Meran teilgenommen. Der Kantilehrer und Ausserrhoder Kantonsrat Jens Weber über das Südtirol im Klimawandel.

Die Delegations der Kanti Trogen mit Leiter Jens Weber im Südtirol. (Bilder: pd)

Meran ist eine aussergewöhnliche Destination. Für mich ein Buch mit sieben Siegeln, da ich mich – und das schreibe ich retrospektiv – viel zu wenig mit dem Tirol und im Speziellen, dem Südtirol auseinandergesetzt hatte. Mit der Klimajugend im Schulbus fuhren wir Ende März über Vorarlberg, Tirol und Reschenpass ins Südtirol.

Auf dem Reschenpass schon die erste Überraschung – da ragt ein Kirchturm aus dem Stausee. Das meist fotografierte Sujet ganz Südtirols, aber wenn man es unvorbereitet und unvermittelt sieht, ein ziemlicher Schock. Im Hirn rattern die Synapsen und vage erinnert man sich an die Geschichte eines Dorfes, dessen Bevölkerung mit eiserner Hand vertrieben wurde, um den Hunger nach Energie und Fortschritt zu stillen. Gemäss den Worten des Meraner Bürgermeisters war dies für das Südtirol die erste Begegnung mit Energie- sprich Klimaflüchtlingen.

Greta war nicht dabei, dafür aber Alina, Mathilda, Sarah, Xenia, David, Dominic und Fabio. Das Ziel unserer Reise hätte die Initiantin der Klimabewegung aber sicher interessiert: Als Delegation der Kantonsschule Trogen und Vertreter der Schweiz nahmen wir am Jugendparlament zur Alpenkonvention (YPAC) in Meran teil. Und ja, es heisst tatsächlich «zur» und nicht «der», da dieses Jugendparlament nicht die offizielle Vertretung der Signatarstaaten der Alpenkonvention, sondern eine Stichprobe der jungen Menschen ist, die im Alpenraum leben. Am Jugendparlament sind Schulen aus Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, Slowenien und der Schweiz beteiligt. Dieses Jahr fand das YPAC in Meran statt, nächstes Jahr sind wir in Rosenheim und übernächstes in Trogen.

Ein Gesetz für die Bäume

Vom Reschenpass über das Vinschgau – übrigens die Heimat der störrischsten Pferderasse, die mir je begegnet ist, aber darauf sind die Vinschgauer aufgrund der Informationstafeln am Strassenrand sichtlich stolz – kommt man nach Meran. Das erste, was einem auffällt, sind die Bäume. Über 7000 Hochstammbäume stehen in den öffentlichen Anlagen. Ein Baumkataster und eine interaktive Karte (gemeinde.meran.bz.it/de/Baeume) zeugen von der unglaublichen Baum-Vielfalt. Es gibt sogar einen Baumartikel im Baugesetz von Meran. «Diese Gesetzgebung verpflichtet jeden Bauherrn, beim Bau eines Hauses einen Baum zu pflanzen», erläutert uns Stadträtin Madeleine Rohrer in der Eröffnungsrede. Dies tat sie aber nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch, der offiziellem Sprache des YPAC.

Stadträtin Rohrer hatte uns schon im letzten November in Sonthofen beim Vorbereitungstreffen begrüsst, wo wir das Thema und die Unterthemen des Jugendparlaments diskutierten: «How to cope with climate change?». Die Schülerinnen und Schüler der Delegation des Fachoberschule Marie Curie in Meran hatten mit ihr dieses Thema vorbereitet, um direkt Einfluss auf die Klimapolitik der Stadt Meran nehmen zu können.

Es sei hier festgehalten, dass nicht diskutiert wurde, ob, wie und warum der Klimawandel da ist, sondern wie wir mit der Tatsache umgehen, dass er eine Realität im Alpenraum ist. Meran hat nämlich ein Problem damit – das haben wir ja eigentlich alle, aber mit Meran und seinen vielen Bäumen ist es etwas speziell. Das Klima von Meran war von je her mediterran, aber doch so temperiert, dass Kaiserinnen hier ihre Sommerferien verbrachten – davon später mehr.

Wenn man in Meran einer Baumallee entlang flaniert, ist es normal, Palmen und schneebedeckte Berge zu sehen. Wenn man aber weiss, dass Meran sogar seinen bauwilligen Bürgern eine Baumpflicht auferlegt und diese sich als «over-achievers» profilieren – es steht selten ein Baum alleine in einem Garten –, ist es nicht verwunderlich, dass Meran von der zunehmenden Hitze und Trockenheit besonders betroffen ist. Die Bäume leiden unter dem Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius und den ausgedehnten und immer länger werdenden Dürreperioden. Gewisse typische Baumarten werden in Meran verschwinden. Das städtische Baummanagement muss den neuen Bedingungen angepasst werden. Übrigens: Nicht nur die Bäume beschäftigen Meran, auch die Tigermücke hat sich ausgebreitet und dazu geführt, dass ein Notfallprotokoll erarbeitet werden musste.

Aber keine Bange: Meran ist ein sicherer Ort, man läuft als Tourist nicht Gefahr, von geschwächten Bäumen erschlagen zu werden. Erschlagen wird man eher von Sissi. Spazieren kann man auf dem Sissi-Weg, essen kann man im Sissi-Restaurant, und im Schloss Trauttmansdorff hat sie mehrere Male die Sommerfrische genossen. Dies hat ihr so gutgetan, dass die Kunde davon in alle Welt getragen wurde. Es war der Beginn von Meran als Kurort. Der Tourismus ist allgegenwärtig in Meran. Die alten Kurhotels sind in Schulen für das Gastgewerbe und der Hotellerie umgewandelt, neue Hotels sind gebaut worden, und nach kurzen oder langen Wanderungen kann man aus einem breiten Kulturangebot auswählen oder sich in der grosszügigen Therme erholen.

Resolution fordert Taten

Wir haben uns zwar auch an der Schönheit und den Angeboten von Meran erfreut, unsere Aufgabe war es aber, Resolutionen zu erarbeiten. In Kommissionssitzungen, Experteninterviews, World Cafés, Interviews, Pressekonferenzen, einer General Assembly und einer Abschlussveranstaltung inklusive eines Vortrages des Friedenobelpreisträgers und Glaziologen Georg Kaser wurde gearbeitet. Die Lösung im Umgang mit dem Klimawandel haben wir zwar nicht gefunden, die Jugendlichen konnten aber ihre Anliegen priorisieren und formulieren.

Die Erkenntnis ist simpel, sie wurde von den Jugendlichen und von Georg Kaser, der auch Leitautor der IPCC-Klimaberichte ist, übereinstimmend formuliert: Der Klimawandel ist real. Wir machen heute zu wenig, um gravierende Auswirkungen zu verhindern. Wir müssen jetzt und ohne Verzögerung effektive Massnahmen ergreifen. Das YPAC setze dafür ein starkes Zeichen, sagte Kaser – speziell in diesem Jahr, da Vertreter des Jugendparlaments die Resolutionen an der Ministerkonferenz der Alpenkonvention in Innsbruck vorstellen konnten. Genau so wichtig sind die «Fridays for Future», da sie während der Schulzeit ein Stachel im Fleisch derer sind, die sich der Dringlichkeit von Massnahmen für eine lebenswerte Zukunft verweigern.

Wir sind vom Jugendparlament, von Meran und von den Begegnungen mit den Menschen dort beeindruckt heimgekehrt. Menschen, die mit ihrer Herzlichkeit hinter der rauen Sprache, die einen immer an italienische Skirennfahrer denken lässt, eine Willkommenskultur leben, die auch währschaftes Essen und guten Wein mit einschliesst.

Der Beitrag erschien im Mai-Heft.

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