, 3. März 2019
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Wunsch und Wirklichkeit


Um den Klimawandel vertragskonform zu begrenzen, muss der CO2-Ausstoss sinken – je später, desto stärker. Doch das Gegenteil geschieht. Hauptgrund: Der Klimapolitik fehlt ein ökonomischer Hebel.
 von Hanspeter Guggenbühl

Geht es darum, die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Fordern und Handeln zu beschreiben, gibt es kaum ein dankbareres Thema als den Klimawandel: Hier Zehntausende von Schülerinnen, die für «Null CO2 ab 2030» demonstrieren. Dort die Mehrheit der abstimmenden erwachsenen Berner, die ihr kantonales Energiegesetz, das eine sanfte Reduktion des fossilen Energieeinsatzes in Gebäuden anstrebte, im Februar begruben. Hier die nationale Gletscher-Initiative und das internationale Wissenschafts-Gremium IPCC, die spätestens 2050 den Ausstieg aus der fossilen Energie verlangen, um den Klimavertrag von Paris umzusetzen. Dort die Internationale Energieagentur (IEA), die bis 2040 einen weiteren Anstieg des CO2-Ausstosses um 10 bis 30 Prozent prognostiziert.

Zuweilen vereint sich der Widerspruch in einer Person: Als Umweltministerin kämpfte Bundesrätin Doris Leuthard für das Pariser Klimaabkommen, als Verkehrsministerin plädierte sie in einem ganzseitigen NZZ-Artikel kurz vor ihrem Rücktritt für zusätzliche Flugplatzkapazitäten, damit der ölabhängige Flugverkehr in der Schweiz jährlich um drei Prozent weiter wachsen kann. In den nächsten Jahren werden wir beobachten, wie akrobatisch Leuthards Nachfolgerin, SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, den Spagat zwischen Klimaschutz und Verkehrsförderung auf dem politischen Parkett vorturnen wird.

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Klimaziele – einst und jetzt

Dass klimapolitische Ziele und Wirklichkeit auseinanderklaffen, ist nicht neu. Das dokumentiert unsere Grafik oben. Die 30-jährige Geschichte, die dahinter steckt, fassen wir hier gerafft zusammen:

  • 1988 an der ersten Weltklimakonferenz in Toronto setzen die dort versammelten Wissenschaftler das Ziel, den CO2-Ausstoss schon bis 2005 um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent unter den Stand von 1990 zu senken. (Linie 1 in der Grafik)
  • Das ebenfalls 1988 gegründete Wissenschafts-Gremium IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) erarbeitet in den folgenden Jahren unzählige Studien, um den Zusammenhang von CO2, Treibhauseffekt und Klimawandel zu belegen. Auf dieser Wissensbasis beschliessen die Regierungen, nach zahlreichen früheren Klimakonferenzen, 2010 in Cancun und 2015 in Paris: Die globale Klimaerwärmung sei zu begrenzen, auf «maximal zwei Grad Celsius» (Cancun) respektive auf «weniger als zwei Grad, möglichst 1,5 Grad» (Paris).
  • Um diese Ziele zu erreichen, bleibt der Menschheit heute noch ein Emissions-Budget von 420 Milliarden (1,5-Grad-Ziel) bis 1070 Milliarden Tonnen CO2 (2-Grad- Ziel). Zu diesem Ergebnis kommen die jüngsten, 2018 veröffentlichten IPCC-Berichte; diese Zahlen können je nach Annahmen Abweichungen nach oben oder unten enthalten.
  • Bei einem stabil bleibenden CO2-Ausstoss von weltweit 42 Milliarden Tonnen pro Jahr (Stand 2018), davon 37 Milliarden Tonnen aus fossiler Energie plus industriellen Prozessen, dauert es noch 10 bis 25 Jahre, bis die Menschheit ihr verbleibendes CO2-Budget aufgebraucht hätte. Auf diesen groben Zahlen basiert die globale Forderung, der CO2-Ausstoss und damit der Verbrauch von fossiler Energie sei bis 2050 auf Null zu senken – ein Anspruch, den die Gletscher-Initiative in der Schweiz umsetzen will. Den dazu notwendigen Absenkpfad markiert in unserer Grafik die Linie 2.

 

Aus den vielen Zahlen resultiert eine einfache Folgerung: Je später die Menschheit beginnt, den Ausstoss von CO2 und weiteren Treibhausgasen zu senken, um die Klimaerwärmung auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, desto steiler wird der Absenkpfad und desto radikaler der Abschied von der fossilen Energie.

…im Konflikt mit dem Energiekonsum

Die klimapolitischen Absichten sind gut – und bewegen, wie die aktuellen Demonstrationen illustrieren, die breite Öffentlichkeit. Doch sie stehen im Konflikt mit der realen Entwicklung sowie den Prognosen der Energiewirtschaft: Von 1990 bis 2018 stieg der fossile Energieverbrauch (Summe aus Kohle, Erdöl und Erdgas) sowie der energiebedingte CO2-Ausstoss weltweit um nahezu 70 Prozent; das zeigt die Linie 3 in der Grafik. Dieser Zuwachs entspricht ziemlich genau der Prognose, welche die Internationale Energieagentur (IEA) schon 1992 erstellt hatte.

Auch im Zeitraum bis 2040 werde der globale Energieverbrauch und CO2-Ausstoss weiter wachsen, rechnet die IEA in ihrem neusten Weltenergie-Ausblick vom November 2018. Dabei unterscheidet sie zwischen zwei Szenarien: Das Szenario «Weiter wie bisher» (Linie 4 in der Grafik) basiert auf den bisher beschlossenen energiepolitischen Massnahmen. Demnach steigt der CO2-Ausstoss aus Kohle, Erdöl und Erdgas bis 2040 um weitere 30 Prozent. Das Szenario «Neue Politik» setzt auf zusätzliche klimapolitische Massnahmen, welche viele Staaten angekündigt, aber noch nicht gesetzlich verankert haben. In diesem optimistischeren Szenario wird der energiebedingte CO2-Ausstoss ebenfalls weiter zunehmen, bis 2040 aber «nur» noch um zehn Prozent (Linie 5 in der Grafik).

Zu viel Öl, Gas und Kohle im Boden

Die Schere, die sich zwischen den verschiedenen Linien in unserer Grafik öffnet, markiert den Konflikt zwischen dem wachsenden Energiehunger von Wirtschaft und Bevölkerung, dem weiteren Expansionsinteresse der Energielobby und dem Kampf gegen den von der Menschheit verursachten Klimawandel. Damit fragt sich: Weshalb liess und lässt sich der globale CO2-Ausstoss nicht senken, warum bleibt das Engagement gegen den Klimawandel wirkungslos? Dafür gibt es mindestens vier Gründe.

Erstens sind die Reserven an fossiler Energie, die heute noch im Boden stecken, viel grösser als die Menge an CO2, die das Treibhaus Erde verkraften kann, ohne das Klima aufzuheizen. Zudem ist dieses Angebot leicht verfügbar und für Energiehungrige attraktiv. Das lässt sich am Erdöl als dem meist konsumierten Energieträger illustrieren: Erdöl ist flüssig, hat eine viel höhere Energiedichte als etwa Sonnen- oder Windenergie und lässt sich – im Unterschied etwa zu Elektrizität – problemlos transportieren, lagern und einsetzen.

Neue Fördertechniken wie das Fracking überwanden die bis 2008 bestehende Angst – oder Hoffnung –, die Ölförderung habe den Höhepunkt (Peak Oil) erreicht und werde damit bald knapp und sehr teuer. Seit 2008 hat sich der Ölpreis wieder halbiert. Beim Erdgas und besonders bei der Kohle können die grossen Reserven und Förderkapazitäten die Nachfrage ebenfalls noch jahrzehntelang problemlos decken – und damit das Klima zusätzlich erwärmen.

Markt durchkreuzt politische Ziele

Die globale und nationale Umwelt- und Klimapolitik verfolgt das Ziel, den Einsatz von fossiler Energie zu senken, sei es mittels Steigerung der Energieeffizienz, sei es mit dem Umstieg auf erneuerbare Energie. Doch die Mechanismen des Marktes, und das ist der zweite Grund, durchkreuzen diese Politik. Das liegt am Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.

Beispiel: Wenn es gelingt, die globale Nachfrage nach Erdöl zu vermindern, entsteht auf dem Ölmarkt ein Überangebot. Das Überangebot treibt den Ölpreis in den Keller. Der tiefe Marktpreis erhöht darauf die Nachfrage nach Ölprodukten wieder und lässt politische Massnahmen zur Förderung von Effizienz und erneuerbarem Energieeinsatz verpuffen. Zudem subventionieren viele Staaten fossile Energieträger direkt und indirekt immer noch weit stärker als erneuerbare Energieträger.

Der Politik fehlt es an Konsequenz

Drittens ist die Politik selbst nicht konsequent. 1982 übernahm die Wirtschaft den aus der Holzbranche stammenden Begriff «Nachhaltigkeit», wonach niemand mehr Holz ernten soll als nachwächst, und definierte daraus ein «Gleichgewicht aus Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft». Der Weltenergierat als Dachverband der Energielobby erweiterte diese neue Beliebigkeit später zum «Energy-Trilemma». Dieses besteht aus den Eckpunkten Sichere Energieversorgung, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit.

In der Praxis aber gewichtet der Energierat die kurzfristigen Interessen nach ausreichender und billiger Energieversorgung höher als das langfristige Interesse an einem stabilen Weltklima. Dabei beruft er sich primär auf die Ansprüche der Entwicklungs- und Schwellenländer, die heute pro Kopf noch weniger Energie konsumieren können und weniger CO2 verursachen als die nimmersatten Industriestaaten.

Selbst in der EU, die als Vorreiterin in Sachen Umweltschutz gilt, herrsche in der Klima- und Energiepolitik eine «konstruktive Mehrdeutigkeit», analysierte der deutsche Hochschuldozent Oliver Geden an einer Tagung des Europaforums in Luzern. Dahinter steckten «grosse, aber verdeckte Widersprüche» zwischen unverbindlichen Erklärungen zum langfristigen Klimaschutz und harter Interessenvertretung, wenn es um kurzfristige nationale Energieinteressen geht.

Der Klimapolitik fehlt der ökonomische Hebel

Daraus folgt der vierte und zentrale Grund: Im Unterschied zum – wachstumsorientierten – Energiemarkt fehlt der Klimapolitik, die den Ausstoss der Treibhausgase und damit den fossilen Energiekonsum senken soll, der ökonomische Hebel. Während Öl- und Gaskonzerne, getrieben von Aktionären und Wachstumszwängen, ihren Umsatz und Profit steigern wollen, fehlt ein betriebswirtschaftlicher Anreiz, den Ausstoss an CO2 zu senken.

Ökonomische Anreize zum Klimaschutz liessen sich zwar schaffen, etwa mit einer griffigen globalen Energie- und CO2-Lenkungsabgabe oder einem Emissionshandel mit zielkonform sinkenden CO2-Kontingenten. Linke und Grüne fordern solche ökonomischen Instrumente seit Jahrzehnten, scheiterten bisher aber stets am Widerstand der fossilen Energielobby und ihren Sachwaltern in Regierungen und Parlamenten. Doch solange solche wirksamen Mittel verhindert werden, bleiben Klimaziele unwirksam und alle klimapolitischen Bekenntnisse leeres Geschwätz.

Hanspeter Guggenbühl, 1949, ist freier Journalist mit den Schwerpunkten Umwelt- und Wirtschaftspolitik in Illnau (ZH). Im September 2017 hat er
in Saiten über die Entwicklung der Mobilität und die Velo-Initiative geschrieben.

Dieser Beitrag erschein im Märzheft von Saiten.

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