, 23. Juli 2018
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Monsieur von und zu Rucola

Das «Herbarium» aus unserem Sommerheft, Teil 3: Diplotaxis Tenuifolia oder warum mir dieses verhipsterte Grünkraut gestohlen bleiben kann.

Rucola. Wenn ich dieses fitzlige, aufdringlich grüne Kraut nur schon sehe, vergeht mir schlagartig der Appetit. Dabei hätte es eigentlich eine ganz passable Form, so hübsch unregelmässig und franslig ist seine Silhouette, in der Mitte eine deutlich sichtbare Ader, die sich durchs ganze Blatt nach oben zieht. Auch der Geschmack ist mehr als nur erträglich. Bisschen bitter, fast schärflich, manchmal ins Fade kippend, je nach dem, aus welchem Garten es kommt und wie alt es ist.

Und offenbar werden dem Rucola, der eigentlich Rauke heisst, was viel amächeliger, weil weniger vornehm klingt, auch lebens- und gesundheitsförderliche Eigenschaften nachgesagt: Die seit dem Altertum bekannte, sogenannte Senfrauke soll aphrodisierend wirken, aufgrund ihres hohen Jod-Gehalts bei Schilddrüsenunterfunktion helfen, und sie strotzt ausserdem vor Glucosinolaten, Beta-Carotin und Folsäure.

Diplotaxis tenuifolia.

Alles schön und fein und gut. Doch verhält sich die Sache mit dem Rucola ähnlich wie mit vielen anderen freudigen, gesunden oder auch weniger heilsamen Bekömmlichkeiten: Allzu viel davon kann schädlich sein. Oder zumindest lästig. Das ist auch hier der Fall, nicht weil der Rucola bei exzessivem Genuss schädlich wäre, sondern weil irgendwelche Überhipster vor einigen Jahren auf die fatale Idee gekommen sind, jede halbwegs erdenkliche Speise mit Madame Rauke und Monsieur von und zu Rucola zu adeln. Und das nicht zu knapp, nein, am besten gleich haufenweise.

In jedem Salat. Auf gefühlt jeder Pizza. In jedem noch so gammligen Sandwich oder Burger. (Überhaupt ist dieses Alibi-Grünzeugs im Iklemmte eine Saumode, auch das kommune Salatblatt.) Und ist das Kraut nicht drin, ists drumherum, auf dem Tellerrand oder anderswo dekotauglich drapiert.

Fehlt nur noch, dass mir irgendwer ein Rucolabier oder ein Glacé mit Raukenaroma andrehen will. Und auf die Idee, die sperrigen, oft zähen Blätter mundgerecht zu schneiden, kommt grad auch kein Mensch. Offenbar gehört es mittlerweile zum hippen Ton, dass einem bei jedem zweiten Bissen ein grüner Stängel zum Mundwinkel rauslampt. Es soll sogar Leute geben, die meinen, sie betreiben Urban Gardening, sobald sie einen Topf Rucola auf dem Fenstersims stehen haben.

Nein danke. Nehmt Löwenzahn, nehmt Thymian, nehmt Peterli, Salbei, Basilikum, Bärlauch, Koriander, Kresse oder irgendwas, aber verschont mich mit diesem allgegenwärtigen Rucola, der zwar gut schmeckt, aber langweilt. Vielfalt ist die Devise – auch auf dem Teller.

Dieser Beitrag erschien im Sommerheft von Saiten.

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