, 16. April 2018
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Backt ein Nazi einen Kuchen

Am Theater St.Gallen wird die bitterschwarze Komödie «Adams Äpfel» dem dänischen Filmklassiker nachempfunden. Mit bizarr schillernden Figuren geht es in die Abgründe der Menschheit, die sich in einer heruntergekommenen Kirche vereinen und gegenseitig zum jeweils Schlechtesten und auch Besten bringen. Letzteres ist in diesem Fall ein Apfelkuchen.

Adam (Christian Hettkamp) und Pater Ivan (Oliver Losehand). Bilder: Jos Schmid, Theater St.Gallen.

Pädophilie, Äthylismus, Faschismus, Kleptomanie – Pfarrer Ivan (Oliver Losehand) kennt sie alle, die Abgründe der Menschheit, und dem nicht genug, er vereint sie auch noch um sich. In einer skurrilen Wohngemeinschaft befinden sich der Alkoholiker und Triebtäter Gunnar (Matthias Albold) und Tankstellenräuber Khalid (Kay Kysela) zusammen mit dem ehemaligen KZ-Aufseher Paul (Hans-Jürg Müller) zur Resozialisierung.

Ivan gibt sein Bestes. Sein Glaube an das Gute im Menschen und seine Nächstenliebe sind unerschütterlich und nahezu grenzenlos. Nur wenn jemand den Gottesdienst stört und – ganz profan – scheissen muss, hat die Güte des Pastors ein Ende.

Zu dieser illustren Runde gesellen sich Adam (Christian Hettkamp), seines Zeichens Neo-Nazi, es ist ihm auf die Stirn geschrieben, und später die ungewollt schwangere Sarah (Anna Blumer). Adam kommt auf die Freundlichkeit des Gutmenschen Ivan mal so überhaupt nicht klar und stösst diesen mit brachialer Gewalt auf die Wahrheit, die der Pastor vehement verdrängt. Denn die Biografie Ivans ist wahrlich nicht auf der Sonnenseite geschrieben: Seine Mutter starb bei der Geburt, der Vater ein Kinderschänder, die Ehefrau ein Suizidfall, der Sohn behindert, die Schwester Opfer eines Autounfalls und on top hat Ivan noch einen Tumor im Gehirn, der den behandelnden Arzt (Marcus Schäfer) vor ein Rätsel stellt.

Der Nazi wird zum Moralapostel

«Gott ist auf meiner Seite, vergiss das nie» erwidert Ivan auf derartige Prüfungen des Teufels. Er blendet die Abgründe seines persönlichen Schicksals aus, um überleben zu können. Seine Weltsicht ist ein «ausgiebiges Flirten mit der Wahrheit». Dies treibt Neonazi Adam fast in den Wahnsinn, er erträgt die Schönmalerei keine Minute und begegnet ihr mit radikaler Vehemenz. Mit der gleichen Härte konfrontiert er auch seine neuen Mitbewohner mit der Wahrheit – ein jeden auf seine Art und akzeptiert dabei weder die Leidenschaften Gunnars noch die heimlichen Überfälle Khalids.

Adam und Khalid (Kay Kysela).

So tauschen die beiden Hauptfiguren im Laufe der Geschichte ihre Einstellungen. Adam wird zum Verteidiger von Recht und Ordnung, während Ivan irgendwann nur noch so vor sich hin misantropelt. Das zu Anfang gesetzte Ziel der Bewährungshilfe aber wird trotz aller Hürden und Wirrungen eingehalten, es gibt ein Happy End: Adam backt einen Apfelkuchen.

Die gleichnamige Verfilmung des Dänen Anders Thomas Jensen aus dem Jahr 2005 wird von Cinema als «gewagt gegen den Strich gebürstet, makaber bis an die Schmerzgrenze, saukomisch und zugleich von grosser Intelligenz und unerwarteter Warmherzigkeit» beschrieben. Wer sich über den tiefschwarzen Humor amüsieren möchte, darf weder zart besaitet noch empfindsam politisch korrekt sein. Doch was passiert nun auf der Bühne mit dem Sarkasmusklassiker?

Wenig kreative Eigenleistung

Das Stück beginnt vielversprechend mit einer Predigt von Ivan, ganz im Stil moderner Gottesdienste. Der Pastor begrüsst das Publikum und lädt ein in das Haus und die Gemeinschaft. Wunderbar zweideutig werden Kirche und Theater gleichgesetzt sowie der Glaube als Grundbedürfnis menschlicher Existenz aufgezeigt. Das Publikum schnippt und summt, die Stimmung ist so locker wie des Pfarrers Outfit.

Pater Ivan und die schwangere Sara (Anna Blumer).

Musikalisch hält das Stück das Niveau des Anfangs. Es bleibt abwechslungsreich und gibt der Vorlage des Films eine neue Note – besonders wenn Khalid so wunderbar Gitarre spielt. Anders verhält es sich hingegen mit der fortlaufenden Inszenierung. Diese verfällt nach dem kreativen Anfang immer mehr in die Fussstapfen der Filmvorlage – wie auch der Text im beiliegenden Programmheft von Dramaturg Armin Breidenbach weitestgehend von Wikipedia übernommen wurde.

Adams Äpfel:
noch bis 17. Mai, Theater St.Gallen

theatersg.ch

Das Bühnenbild zeigt eine Kirchenruine, die sich im Handumdrehen in Gotteshaus, Wohnzimmer, Krankenhaus und Garten verwandelt. Ein wenig unklar ist dabei, was dieses Auge und John Lennons Dreamerzitat darin zu suchen haben (Ausstattung: Vanessa Hiltmann). Der liebe Gott sieht alles? Und sind wir nicht alle ein bisschen Ivan? Zwei Punkte, die zum Nachdenken einladen, ansonsten gibt es wenig Spielraum für Interpretationen.

Der Kater Lambert hingegen bröckelt unwahrscheinlich gekonnt vom Baum! Wer sich noch genau an diese Szene erinnern kann («Er hat meinen Kater erschossen.» – «Nein, wir dürfen uns nicht immer wegen jeder Kleinigkeit gegenseitig beschuldigen. Er war des Lebens überdrüssig und da war unsere kleine Schiesserei eine gute Gelegenheit für ihn Abschied zu nehmen!»), weil er den Film erst kürzlich gesehen hat, kann sich die Eintrittskarte sparen. Für alle anderen ist Adams Äpfel ein unterhaltsamer und lustiger Abend, wenn der Humor stimmt. Kleiner Test: «Was ist rosa und behindert? Ein Flamongo!» Geschmunzelt? Dann nichts wie hin!

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