, 4. Mai 2013
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Der Prozess (II)

Ein Resümee zum ersten Verhandlungstag der Zürcher Prozesse. An der Eröffnungssitzung haben Anklage und Verteidigung ihre ersten Argumente vorgebracht.

Der ägyptische Islamexperte Hamed Abdel-Samad, der geladen ist, am ersten Abend für die Pressefreiheit und gegen die von der Anklage geforderte Selbstkontrolle der Medien einzutreten, wartet mit einem jungen Mann aus Marokko auf dem Vorplatz des Kunstmuseums. Man habe ihm gesagt, er müsse vom Hotel aus links gehen und nun sei er hier. Abdel-Samad tritt in seinen Schriften dafür ein, die aggressiven Tendenzen in den Religionen ernst zu nehmen und sie nicht den Ängsten und Ressentiments der Leute zu überlassen, sondern sie als Symptome einer religiösen Krise zu lesen, die eine säkulare Gesellschaft interessieren muss. Wir gehen zusammen zum Neumarkttheater, wo die Verhandlung in wenigen Minuten beginnt.

Das Publikum ist auffällig gemischt. Valentin Landmann, der Anwalt der Verteidigung, hat seine Freunde von den Hells Angels mitgebracht; die sieben Geschworenen, ein zumindest optisch gelungener Mix aus der Deutschschweizer Bevölkerung, sind mit Freunden und Verwandten da.

Die Richterin Anne Rüffer, ehemalige Journalistin bei der Weltwoche, stellt das Gerichtspersonal vor. Unter den Geschworenen hat es einen Mann mit Brille und Glatze, der Sitznachtwache macht und Lokaljournalist ist, eine junge Studentin mit Kopftuch, eine Gymnasiastin, die betont, in Zürich-Seefeld zu wohnen, und einen pensionierten Volkswirt mit gezwirntem Schnauz.

Giusep Nay, Alt-Bundesrichter, zitiert zum Anfang den Staatsrechtler Ernst Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Solche Voraussetzungen sind zum Beispiel der Schutz der Würde jedes einzelnen Menschen oder die Selbstverpflichtung der Journalistinnen und Journalisten, den eigenen oder den vermeintlichen Ressentiments einer imaginären Leserschaft in der Öffentlichkeit nicht freien Auslauf zu gewähren, sondern diese mit den Standards der aufgeklärten Vernunft, hier insbesondere dem Schutz der Minderheiten und Schwachen, abzugleichen. Die Frage, die an diesem Prozess verhandelt wird ist die, ob Medien wie die Weltwoche, mit ihrer Art des Journalismus, diese nicht zu garantierenden Voraussetzungen auf Dauer untergraben.

Die Artikel des Strafgesetzbuches, die in diesem Prozess gegen die Weltwoche in Anschlag gebracht werden, sind der Versuch, dieser Debatte eine konkrete Basis zu verleihen. Ein zugegeben etwas hilfloser Versuch, wie das Strafgesetzbuch allgemein immer etwas Hilfloses an sich hat. Und die Gefahr der Lächerlichkeit ist dabei offensichtlich. Kurt Imhof beispielsweise spielte in seiner Ansprache den republikanischen Citoyen und wurde prompt von Valentin Landmann in seiner Replik lächerlich gemacht. Das heisst, wer hier mitmacht, kann dies nicht ohne persönliches Pathos tun, und ist insofern im Theater am richtigen Ort. Entsprechend lang ist die Liste der Absagen.

Der Rest des Abends ist Rhetorik. Marc Spescha, der Klägeranwalt, spricht ruhig, betont und souverän, aber von der Wirkung her zu abstrakt. Valentin Landmann steht ihm in Sachen Souveränität in nichts nach, spricht frei, fast wie ein Geschichtenerzähler, wirft Spescha argumentative Schwächen vor, geht aber selber nicht in die Tiefe. Sein Hauptargument ist die lebendige Pressevielfalt in der Schweiz. Naja. Robert Misik, der Co-Ankläger setzt brillant an, ist aber etwas nervös und kurz. Michel Friedmann setzt den Schlusspunkt. Er gewinnt mit einer fantastischen Rede über die Mechanismen der geistigen Brandstiftung  an die Geschworenen. Küzin Kar, die Gerichtsschreiberin notiert für den Zuschauerraum: „Auch Landmann und Zanetti hören gebannt zu.“

Trotzdem bleibt das Gefühl, dass es schwierig werden könnte, die Sache der Anklage dingfest auf den Punkt zu bringen. In einer Rede, wie sie Friedmann hält, ist es einfach. In einem Prozess ist es unendlich viel schwieriger, etwa genauso schwierig wie es in einem persönlichen Gespräch ist, dem Gegenüber mit konkreten Fakten und Beispielen plausibel machen, weshalb man eine bestimmte Haltung im Namen von allgemeinen Werten für gefährlich hält. Was ich selber einmal mehr in einem Gespräch mit einem Journalisten der Weltwoche im Foyer nach der Vorstellung erfahren muss. Gerne flüchte ich mich irgendwann in den Backstage-Bereich und gratuliere Friedmann.

Das heisst, man scheitert zweifellos. Aber soll mans deswegen nicht versuchen? Was gewinnt man, wenn mans nicht macht? Mit welchem Recht glaube ich, dass die liberale Grundhaltung, dass die einen halt das Minarett und die anderen die Kampagnen der Weltoche ertragen müssen, nicht ausreicht?

Übrigens: alle an diesem Abend sprechen Hochdeutsch, ausser Co-Verteidiger Claudio Zanetti von der Zürcher SVP, der auf Schweizerdeutsch votiert. Ihn übersetzt für die Nicht-Schweizer Gäste lustigerweise die aus Deutschland stammende Dramaturgin Julia Reichert.

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