, 2. Mai 2013
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AR war Versorgerkanton

Viele Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen wurden in Appenzell Ausserrhoden interniert. Das Staatsarchiv bietet Hilfe bei der Aktensuche. Staatsarchivar Peter Witschi zieht ein Resümee.

Dem Staatsarchiv sind achtzig Dossiers administrativ versorgter Personen sowie 400 administrative Verfügungen von Regierung und Justizdirektion bekannt. Schätzungsweise gab es etwa 500 fremdplatzierte Heimkinder im Kanton.

Saiten: Haben sich bereits Opfer gemeldet?

Peter Witschi: Ja, sie wollten vor allem wissen, ob noch Dokumente zu ihrem Fall vorhanden seien. Teilweise haben wir sie beschaffen können. Dort wo wir nicht fündig wurden, haben wir die Leute an die Vormundschaftsbehörden der zuständigen Kantone weitergeleitet.

Sind die Akten im Staatsarchiv in der Regel vollständig oder gibt es hier auch Lücken?

Es gibt auch Lücken. Ein Beispiel ist die frühere Herisauer Arbeitserziehungsanstalt Kreckelhof. Im Gemeindearchiv sind keine Unterlagen mehr über ehemalige Insassen zu finden. Wahrscheinlich sind sie ohne speziellen Grund entsorgt worden. So wurde zum Teil auch in anderen Gemeinden in Appenzell Ausserrhoden verfahren. Ein kantonales Archivgesetz gibt es erst seit 1986. Bis 1981 hat der Regierungsrat fürsorgerische Zwangsmassnahmen angeordnet.

Aus welchen Gründen wollen die Opfer jetzt ihre Akten einsehen und wer ist für eine allfällige Entschädigung zuständig?

Sie möchten mit der Einsichtnahme in die Akten ihr Schicksal nochmals aufarbeiten, das ist ihnen wichtig. Manchmal sind aber nur sehr wenige Akten angelegt worden. – Für Entschädigungen ist die Opferhilfestelle zuständig.

Welche Kategorien sind unter den Opfern, die ihre Akten einsehen wollen: Administrativ Versorgte, Verdingkinder, Zwangssterilisierte und -kastrierte oder Zwangsadoptierte?

Bis jetzt haben sich Opfer aus zwei Bereichen bei uns gemeldet: Leute, die als junge Erwachsene in Anstalten versorgt worden sind und eine Person, die als Kind in ein Heim eingewiesen wurde.

Appenzell Ausserrhoden hatte lange Zeit keine eigentliche Heimaufsicht. Immer wieder kam es zu Skandalen, weil Heiminsassen und -insassinnen missbraucht oder mit unmenschlichen Strafen belegt worden sind. Gibt die Aktenaufarbeitung neue Einblicke ins frühere Heimwesen?

In Appenzell Ausserrhoden gab es etwa fünfzig private Heime. Eine bedenkliche Einrichtung waren die sogenannten «Kostkinderheime». Dieser Heimtypus war mir persönlich bis jetzt nicht bekannt. Es handelte sich offenbar um Familien, die einige «Kostkinder» aufnahmen. Für diese ist Kostgeld bezahlt worden, sie lebten unter sehr schwierigen Umständen. In der Regel sind sie nicht durch Fachleute betreut worden. Für die Aufnahmefamilien waren die «Kostkinder» einfach ein Zusatzverdienst.

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