, 5. April 2017
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Neues Kulturgesetz? Wömmer nöd…

Der Kanton St.Gallen soll ein neues Kulturfördergesetz bekommen. Die vorberatende Kommission des Parlaments will nicht: Sie beantragt mehrheitlich Nichteintreten. Selbstbewusste Kulturpolitik sähe anders aus.

Rund 70 Prozent der Bevölkerung besuchen wenigstens einmal im Jahr Kulturinstitutionen: Museum, Theater, Konzert, Kino. Das sagt die Kulturstatistik 2016 des Bundes und steht in der Botschaft zum neuen Kulturfördergesetz. Knapp die Hälfte geht mindestens einmal im Jahr ins Theater (47 Prozent). Knapp zwei Drittel der Bevölkerung sind in irgendeiner Form selbst kreativ tätig (Zeichnen, Malen, Musizieren, Singen, Tanzen, Laientheater usw.). Schweizweit sind 28 Prozent der Bevölkerung in Vereinen kulturell aktiv.

Bild: lebendige-traditionen.ch

«Aktive Kulturpolitik beschränkt sich daher nicht auf die Förderung des künstlerischen Schaffens und auf die Erhaltung des kulturellen Erbes. Sie zielt auf die Beteiligung möglichst vieler Bevölkerungsgruppen am kulturellen Leben und auf kulturelle Orte des Austauschs und der Begegnung», folgert die Regierung. Ein vielfältiges Kulturleben sei für Gesellschaft und Demokratie zentral. Und ein zeitgemässes Gesetz zur Legitimierung der Kulturförderung deshalb notwendig.

Der vorberatenden Kommission haben diese Zahlen und Argumente keinen Eindruck gemacht: Sie will in ihrer Mehrheit das neue Kulturfördergesetz nicht und beantragt dem Rat Nichteintreten. Ganz überraschend kam der Entscheid, der am 23. März gefallen ist, aber erst heute kommuniziert wurde, nicht: In der vorberatenden Kommission sassen 9 von 15 Mitgliedern, die im Monat zuvor Ja zur Plafonierung der Kulturausgaben gesagt hatten – allesamt aus der CVP und SVP. Wahrscheinlich  ist, dass sich der kulturfeindliche Kurs dieser beiden Parteien auch in der Kommission durchgesetzt hat.

Heilige Gemeindeautonomie

Knackpunkt Nummer eins war gemäss Medienmitteilung von heute «die Erwähnung der Gemeinden im Zusammenhang mit den kulturpolitischen Zielen des Kantons». Diese Ziele sind in Art. 2 zwar sehr allgemein gefasst (Förderung und Pflege der Kultur, Bewahrung des Kulturerbes, kulturelle Teilhabe usw.), zudem legt Art. 3 sicherheitshalber fest, es bestehe kein Rechtsanspruch auf Kulturförderung – dennoch wehrt sich die Kommission dagegen und findet, die Gemeinden müssten «frei sein, ihre kulturpolitischen Ziele selber zu definieren».

Knackpunkt Nummer zwei: die kantonalen Kulturstandorte. In den letzten Jahren hat der Kanton eine quasi-eigene Kulturinfrastruktur aufgebaut, mit der Lokremise St.Gallen, Konzert und Theater St.Gallen, dem Schloss Werdenberg und künftig dem Alten Bad Pfäfers. Das alte Gesetz bietet dafür keine rechtliche Grundlage – im neuen Gesetz sollten die Kulturstandorte deshalb genannt, aber nicht im einzelnen aufgezählt werden. Die Kommission will dagegen eine ausdrückliche Nennung und zusätzlich den Einbezug des finanziell umstrittenen Kunstzeughauses Rapperswil.

Teil- statt Totalrevision?

Ein zentraler Passus im neuen Gesetz betrifft die regionalen Förderplattformen. In ihnen, von Südkultur bis Thurkultur verteilt beinah über den ganzen Kanton, haben sich die Gemeinden zwecks Förderung der regionalen Kultur zusammengeschlossen und lassen sich ihre eigenen Kulturfranken vom Kanton verdoppeln. Das System ist basisnah und solidarisch – aber steht bis jetzt gesetzlich auf wackligen Füssen. Die Kommissionsmehrheit findet aber, dies könne, wie die oben genannte Aufzählung der kantonalen «Leuchttürme», auch mit einer Teilrevision des bestehenden Gesetzes geändert werden.

Insgesamt, so erklärt Kommissionspräsidentin Bettina Surber (SP) auf Anfrage, habe eine Mehrheit der Kommission befunden, für die heutige Kulturförderpraxis genüge das alte Gesetz von 1995 im Grundsatz. Per Kommissionsmotion soll die Regierung deshalb aufgefordert werden, nur eine Teilrevision des Gesetzes vorzulegen, in der die unbestritten notwendigen Ergänzungen aufgenommen werden sollen: die Unterstützung regionaler Förderorganisationen, die Förderung der Unesco-Weltkulturerbestätten und die kantonalen Kulturstandorte.

Und die vielbeschworene kulturelle Teilhabe? Das Anliegen sei in der Kommission unbestritten gewesen, sagt die Präsidentin; bei einer allfälligen Detailberatung würde sogar zusätzlich der Passus eingebracht, dass auch Menschen mit Behinderungen an kulturellen Veranstaltungen teilhaben sollen. Keine Chance hatte hingegen das Anliegen, die soziale Absicherung und Altersvorsorge von Kunstschaffenden solider zu regeln.

Im April soll die Vorlage in den Rat kommen. Eine Minderheit der Kommission will auf sie gegen den Willen der Mehrheit eintreten; sie hält den Entwurf der Regierung für eine angemessene Anpassung an die in den vergangenen Jahren entwickelte Förderpraxis. 

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Kommentar: Kulturpolitik im Rückwärtsgang

Das Kommissionsergebnis ist in mehrfacher Hinsicht befremdlich.

Zum einen ist es ein demokratiepolitischer Affront: Ein zeitgemässes Gesetz für eine der unbestritten zentralen Staatsaufgaben soll zumindest vom Gesamtparlament diskutiert werden. Nichteintreten auf die Vorlage signalisiert: kein Interesse an (oder Angst vor?) einer öffentlichen Debatte. Das kommt einem bekannt vor: Auch das Klanghaus-Projekt im Toggenburg hat das Parlament vor anderthalb Jahren abgeschmettert und damit einem Volksentscheid entzogen.

Zum zweiten finanziell: Das neue Gesetz hätte zwar keine zusätzlichen Ausgaben zur Folge. Die  jetzige Rückweisung und damit notwendige Überarbeitung läuft aber auf eine nochmalige Beschäftigung der Verwaltung hinaus. Viel Aufwand für ein Ergebnis, das sich am Ende wohl nicht existentiell vom jetzt abgelehnten Entwurf unterscheiden wird. Wäre das Gesetz tatsächlich unnötig, hätte man dies in der mehrjährigen, von Hearings begleiteten Erarbeitungszeit und spätestens in der Vernehmlassung einbringen können. Der Berg muss jetzt nochmal eine neue Maus gebären.

Zum dritten grundsätzlich: Die beiden Parteien, die sich in der Kommission mutmasslich durchgesetzt haben, fahren damit ihren kulturfeindlichen Kurs weiter, den sie bereits bei der im Hauruckverfahren eingebrachten Plafonierung der Kulturausgaben bis 2020 praktiziert haben und der jetzt auch wieder bei der Infragestellung der geplanten Renovation des Theatergebäudes zum Vorschein kommt – eine «reflexartige» (wie  das Tagblatt schrieb) Opposition, im Fall des Theaters allerdings bisher erst von der SVP und nicht von der CVP vertreten.

Eine zukunftsgerichtete, standort- und selbstbewusste Kulturpolitik sähe anders aus. Vielleicht überlegt es sich das Parlament also doch nochmal anders – denn immerhin wäre im neuen Gesetz auch festgeschrieben, dass die Regierung mindest in jeder zweiten Amtsperiode dem Rat einen Strategiebericht zur Kulturförderung vorlegen muss, wie dies etwa Bern, beide Basel und der Bund kennen. Das Parlament würde also seine eigene kulturpolitische Position stärken. Und den Kulturkanton St.Gallen sowieso.

Bild: Archäologiesammlung, Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen

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