, 29. März 2017
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Der Prozessor in St.Gallen

Das Theater St.Gallen beendet den jahrelang mit Konstanz durchgeführten Autorenwettbewerb. Und schliesst sich dem Dramenprozessor an. Schauspieldirektor Jonas Knecht sagt, warum – und was am 1. April in der Lokremise zu sehen ist.

Fünf Stücke, fünf Inszenierungen, 14 Schauspielerinnen und Schauspieler am Start: Am Samstag ist, unglücklicherweise zeitgleich mit dem Literaturfestival Wortlaut, von 16 bis 22.30 Uhr eine geballte Ladung zeitgenössisches Sprechtheater in der St.Galler Lokremise zu sehen. Dahinter steht ein langer Prozess, und dieser ist für den St.Galler Schauspieldirektor Jonas Knecht mindestens so wichtig wie das Ergebnis.

Der Dramenprozessor erlaube es, während eines ganzen Jahres eng mit ausgewählten Autorinnen und Autoren zusammenzuarbeiten und so Bühnentexte zu entwickeln, die auch tatsächlich bühnentauglich sind. «Beide Seiten, Theater wie Autoren, profitieren davon», ist Knecht überzeugt. «Der Schreibprozess wird intensiv begleitet, die Autorinnen und Autoren sind nah am Haus und können Bezug darauf nehmen, was hier läuft.»

Nachhaltiger als ein Wettbewerb

Gegenüber einer Förderung mittels Wettbewerb, wie sie die St.Galler und Konstanzer Autorentage rund ein Dutzend Jahre lang betrieben haben, bleibe der Dramenprozessor nicht bei der Jurierung und Weiterbearbeitung eines einzelnen Stücks stehen, sondern biete einer Reihe von Autoren und Texten intensive Begleitung. Das neue Modell halte er deshalb für ergiebiger und nachhaltiger.

Dramenprozessor: Samstag, 1. April, 16 – 22.30 Uhr, Lokremise St.Gallen

winkelwiese.ch
theatersg.ch

Neu ist es allerdings nur für St.Gallen. Und neu ist, dass mit dem Theater St.Gallen erstmals ein Stadttheater mit im Boot ist. Der Dramenprozessor wurde 2001 durch das Theater Winkelwiese in Zürich ins Leben gerufen. Mittlerweile habe sich diese Schreibwerkstatt zu einem landesweit einzigartigen Instrument entwickelt; beteiligt sind heute neben der Winkelwiese Schlachthaus Theater Bern, Stadttheater Schaffhausen, Theater Chur, die Rampe Stuttgart und die Tuchlaube Aarau.

Dass die anderen grossen Theaterhäuser nicht mittun, hat einen einfachen Grund: Basel, Luzern und Bern unterhalten mit dem «Stücklabor» eine eigene Autorenförder-Schiene.

Die «Freien» zusammen mit den «Festen»

Für Knecht ist diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch eine Chance, «aufzumachen», wie er es nennt, und die freie Szene mit den festen Häusern in Kommunikation zu bringen. Die Frischluft kommt in den Werkstätten mit den Autoren herein, aber auch mit dem Regieteam: Das jetzige Finale inszenieren neben Knecht Patric Baumann vom freien Theater Marie, Sabine Harbeke, die Leiterin der Regieabteilung an der ZHdK, und zwei ihrer Studierenden: Johanna Zielinski und Timon Jansen. Und schliesslich ist auch das Ensemble kooperativ zusammengesetzt: Sieben Mitglieder des Theaters St. Gallen spielen zusammen mit sieben Profis aus der freien Szene.

Der Dramenprozessor hat Erfolg. Das zeigen Absolventen wie Katja Brunner (Gewinnerin Mülheimer Dramatikerpreis 2013), Darja Stocker (Gewinnerin Heidelberger Stückemarkt 2005), Reto Finger (Kleist Förderpreis für junge Dramatik 2005), Daniel Mezger (Einladung zum Ingeborg-Bachmann Wettbewerb 2010, Autorentage Deutsches Theater Berlin 2011) oder Dmitrij Gawrisch (Stadtschreiber der Stadt Jena 2014, Werkstatttage Burgtheater Wien 2011). 2015 wurde der Dramenprozessor mit dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichnet.

«Extrem unterschiedlich»

An der seit 2016 laufenden, jetzt im Finale in der Lokremise zu besichtigenden Arbeit nehmen Esther Becker, Katharina Cromme, Matthias Berger, Julia Haenni und Michel Kessler teil. Das St. Galler Publikum hatte bereits zum Theaterfest letzten Sommer und im Rahmen von Container-Lesungen Gelegenheit, drei der fünf Autorinnen kennenzulernen.

Die Stücke, teils ausgereift, teils noch mit Werkstatt-Charakter, wie Knecht einräumt, seien «extrem unterschiedlich»: sozialpolitisch (wie Adler und Hund von Katharina Cromme), futuristisch und experimentell wie Blumen von Michel Kessler,  handeln von einer Mutter-Tochter-Beziehung (Mimosa von Esther Becker), von einer Art Reise ins Ich (frau im wald von Julia Haenni) oder spielen im Pflegeheim (Matthias Bergers Heimgang).

Regisseur Jonas Knecht (3. von rechts) und das Ensemble des Stücks «Adler und Huhn» bei der Erstaufführung in der Winkelwiese Zürich. (Bild: Hansruedi Kugler)

Gemeinsam in der Stadt der Toten

Die Zusammenarbeit mit Konstanz gehe im übrigen ebenfalls weiter, sagt Knecht: Gerade hat, ebenfalls am 1. April, in Konstanz Nekropolis Premiere, die Weiterentwicklung eines Projekts von Anita Augustin, eine Serie von Live-Hörspielen mit viralem Charakter. Das Sujet: die Ausrottung der Menschheit durch eine globale Seuche in Gestalt von Zombies.

Das Pilotstück (Besprechung hier) war 2016 am Blumenmarkt in St.Gallen zu sehen, jetzt wird sich Nekropolis nach der Konstanzer «Infektion» in St.Gallen (Premiere am 27. April) und Aachen weiter ausbreiten.

 

 

 

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