, 17. Januar 2017
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Sag einfach Ja, Hm, Ja.

Dem grossen Neinsager Charles Pfahlbauer jr. ist etwas bewusst geworden: Er kannst so nicht weitermachen, nicht in der Welt, wie sie geworden ist.

Zack, eins auf den Hinterkopf, verbunden mit der Frage: Heute schon genickt? Ei war das lustig an unserer Schule, und manchmal auch weniger. Ob die schlagende Frage auf heutigen Pausenplätzen noch der Brauch ist? Wäre allenfalls eine kleine soziologische Studie wert: zu erheben die gesellschaftlich fabrizierten oder eben provozierten Abnicker-Rituale in Relation zum Anteil der notorischen Neinsager. Was für ein Hafenkäse! dachte ich und haute mir eins auf den nassen Hinterkopf, angesäuselte Trübtassenexistenz am Rand einer Jahresend-Vereinsvöllerei in der parfümierten Toilette eines schäbig ambitionierten Lokals.

Es gab in unserer Tischgemeinschaft manche Ausfälle zu beklagen, passend zu den Tiefschlägen einer niederschmetternden Zeit wurden die Nächsten und die Liebsten von Magendarm- und anderen Viren sowie allerhand Seelenleiden niedergestreckt. Doch die, die noch konnten, machen jetzt allen Viechern in ihren Eingeweiden und überdies den sowieso vorherrschenden schwarzen Gedanken mit Quittenschnaps den Garaus.

Nein, nicht schon wieder! Das Getöse des Händetrockners riss mich in Windeseile aus dem intimen Verweilmoment. Welcher Teufel hat nur alle Beizen und Betriebe geritten, darunter sogar sympathische und solche, die man einst alternativ nannte, dass die meisten von ihnen plötzlich einen sogenannten Dyson-Airblade-Apparat installiert haben? Es sei der schnellste und hygienischste und günstigste, heisst es, aber vor allem ist er garantiert der weltweit lauteste. Nichts anderes als ein Hassgenerator am Ort friedlichen Verdauens, und häufiger schon habe ich dem Nebenblödmann, der seine Hände in den Schlitz steckte, gewünscht, dass da statt Heissluft scharfe Messerklingen ihren Dienst täten, oh je, welch schreckliche Fantasie.

Kaum draussen, stolperte ich in die nette Gisela, lange nicht gesehen, ausgerechnet sie, ein Ausbund gutmütiger Besorgtheit; die Giselkröte, wie wir sie fies genannt hatten, damals im Jugendtreff unserer Siedlung am Grossen See, als sie uns als vermutliche Problemjugendliche immer allerliebst überbetreut hatte, Giselkröte, weil sie, also vor allem ihr Hals, an eine Erdkröte erinnerte. Die nette Gisela, im Alter noch genau die gleiche Allmenschenfreundin, sprach mir nach einem kurzen Wortgeplänkel sofort ins Gewissen: Oh Charlie, du bist ja immer noch ein grosser Neinsager, das geht irgendwann auf die Pumpe, du musst häufiger Ja sagen. Oder die Dinge, wie sie meinte, einfach einmal so stehen lassen. Und zwischendurch, wenn immer du kannst, einen Wildfremden umarmen. Sonst bleibst du ein nichtiger Nein-Nichtsnutz … Und so weiter.

Ich war baff. Ja sagen, ja genau, Ja, Ja, Ja, puh, Ja oder wenigstens Hm sagen zum Dyson-Händetrockner und all den sonstigen Sachen, die mir ständig natürlich auf den Nerv gehen, fangen wir gar nicht an, die Liste ist endlos. Ich schnaubte vor Wut und ging mit jeder Pore auf Ablehnung. Die Gisela-Hippietanten und Konsorten können einem noch genau so gestohlen bleiben wie damals. Doch irgendwie hatte ihr Zureden einen Nerv getroffen: Schon in der Nacht kamen mir ihre Worte hoch, wie Schwaden eines grundlegenden Gutgüterumschlags, und am Morgen, im wackligen Rumpelbus in grimmiger Fahrzweckgemeinschaft auf dem Weg durch die verarmte Vorstadt, eingelullt vom gräulichen Gallenwinter vorbei an der Blaukreuz-Brockenstube und dem gebleichten Schweizerkreuz am Balkon in der Kreuzbleiche, da wurde mir schlagartig bewusst: Du kannst so nicht weitermachen, nicht in der Welt, wie sie geworden ist.

Ich blätterte in meinen Notizen und fand einen Satz aus einer Fernsehkrimiserie: Verurteile nie die Last, die ein anderer trägt. Ich nahm mir vor, der netten Gisela eine nette Karte zu schreiben. Danke, der depperte Charliewüterich wird nicht mehr wüten, und schon gar wegen ihresgleichen und gegen seinesgleichen, er wird gute Energien haben und sie nötigenfalls dort einsetzen, wo andere zurecht noch wüten. Natürlich auch mal dagegen. Und schon haute ich mir wieder eine auf den Hinterkopf.

 

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