, 13. Juli 2016
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«Kleinbrauereien beleben die Szene»

Aus unserem Sommerheft: Schützengarten-CEO Reto Preisig über den bewegten Biermarkt, Grossanlässe und das Geschäft mit den Bierverträgen.

Reto Preisig wählt sein Bier «je nach Umfeld und Stimmung» (Bild: pd)

Saiten: Seit Wochen giesst es in Strömen. Nix mit Bierschwemme, oder?

Reto Preisig: Die Monate Mai und Juni sind tatsächlich nicht so gelaufen wie erwartet, aber Schwankungen gibt es immer auf dem Markt. Wir hoffen, das bald kompensieren zu können, zum Beispiel mit der Fussball-EM. Grundsätzlich sind wir mit der Geschäftsentwicklung aber sehr zufrieden. Finanziell stehen wir gut da, und in den letzten zehn Jahren konnten wir Marktanteile gewinnen.

Schützengarten hat als einzige Schweizer Brauerei ein Slow-Brewing-Zertifikat. Was hat es damit auf sich?

Im Zentrum steht eine ganzheitliche und verantwortungsvolle Geschäftspolitik, angefangen bei den Rohstoffen, die wir möglichst aus der Schweiz und umliegenden Ländern beziehen, bis zu den Erträgen, die wir ebenfalls in der Region investieren. Diese Philosophie spiegelt sich auch in der Wahl unserer Geschäftspartner, den Arbeitsbedingungen und unserem Engagement im sozialen und kulturellen Bereich wider. Dementsprechend produzieren wir ausschliesslich mit erneuerbarer Energie, betreiben ein eigenes Wasserkraftwerk im Sittertobel und seit einigen Wochen eine Photovoltaikanlage auf dem Dach unseres Bierlagers. Zudem garantiert das Label, dass wir auf sogenannt beschleunigte Brauverfahren verzichten und nur mit traditionellen Rezepten arbeiten.

Reicht es nicht, ein gesellschaftliches Schmiermittel zu sein, oder wieso setzt sich ein Bierproduzent für soziale und kulturelle Anliegen ein?

Es ist einfach Teil unserer Philosophie. Nicht zuletzt auch, weil wir der Region etwas zurückgeben wollen. Schützengarten beschäftigt rund 220 Mitarbeitende, viele davon wohnen in der Stadt. Das Unternehmen ist fest hier verankert; schon als Schützengarten 1779 gegründet wurde, hat man versucht, einen übergeordneten Auftrag in der Region wahrzunehmen – nicht nur wirtschaftlich, auch sozial und kulturell. So stellen wir regelmässig Mittel bereit, um das gesellschaftliche Leben in der Ostschweiz zu unterstützen.

Damit ist weniger der Inseratebeitrag an die Saiten-Agenda gemeint, sondern die Zusammenarbeit mit den Vereinen und Organisationen in der Region, den Festspielen, dem Stadtfest, dem FC St.Gallen oder dem Openair. Im Zusammenhang mit letzterem sind Sie Mitte Juni unter Beschuss gekommen. Vom Schüga-Monopol war die Rede.

Selbstverständlich möchten wir am Openair St.Gallen, einer der schweizweit bedeutendsten Musikveranstaltungen, präsent sein. Es gehört zu St.Gallen wie Schützengarten auch. Und wenn wir als kleine, einheimische Brauerei nicht dabei sind, ist es eine internationale Grossbrauerei.

Heineken, Carlsberg, Miller, Anheuser-Busch InBev – könnten es nicht auch kleinere Mitbewerber sein?

Viele Aussenstehende können sich gar nicht vorstellen, wie enorm der personelle und finanzielle Aufwand für einen solchen Grossanlass ist. Die ganze Infrastruktur muss bereitgestellt werden: Zapfhähne, Kühlschränke, Buffets, Ausschankzelte, Lagerund Kühlräume und so weiter. Rund 40 Mitarbeitende tragen jedes Jahr zum Gelingen des Openairs bei. Diese Dienstleistung könnten in der Schweiz nur die zwei Grossbrauereien anbieten, umso mehr schätzen es die Veranstalter, dass hier eine regionale Brauerei mittun kann. Wir sind Openair-Partner, weil wir ein konkurrenzfähiges Angebot machen und die hohen Anforderungen erfüllen können.

Schützengarten hat in der Schweiz einen Marktanteil von 3,5 Prozent. Wie schlägt sich die Konkurrenz?

Ich kann nicht für andere sprechen, aber generell ist der Bierkonsum in der Schweiz leicht rückläufig. Zudem setzen die oft sehr günstigen Dosen-Importe viele einheimische Brauereien unter Druck. Solche Billigangebote finden sich immer mehr im Detailhandel, und dort ist der Platz in der Regel beschränkt. Wenn ein neues Bier ins Regal kommt, muss ein anderes weichen.

Wie hält man da mit als regionaler Player?


Wir legen den Fokus auf die Produktqualität, ein ausgewogenes Sortiment und umfassende Dienstleistungen. Dazu gehört insbesondere der enge Kontakt zu unseren Partnern in der Gastronomie, im Detailhandel und bei den örtlichen Veranstaltern. Auf Produktebene gilt es abzuwägen, wann der richtige Moment für Sortimentserweiterungen gekommen ist.

Also ist das neue India Pale Ale (IPA) von Schüga eine Reaktion auf die steigenden Absätze bei den Pale Ales?

Ja, wir sehen eine steigende Nachfrage in diesem Bereich. Wenn ein Wirt mit einer gewissen Biervielfalt punkten will, wird er künftig wohl auch ein IPA im Sortiment haben – und schön wäre natürlich, wenn das unseres, aus meiner Sicht hervorragend gelungene Produkt ist. IPAs geniessen momentan eine grosse Medienaufmerksamkeit, getrunken werden sie aber vor allem von Bierkennern und neugierigen Geniessern.

Gerade die kleinen Brauereien schiessen wie Pilze aus dem Boden, mehrere Hundert gibt es allein in der Schweiz. Was heisst das für die Grossen wie Locher, Feldschlösschen oder Schützengarten?

Diese Einschätzung stimmt so nicht ganz: Im Gesamtmarkt sind wir nur kleine Player, auch wenn wir im Vergleich zu den Mikrobrauereien gigantisch wirken mögen. Letztlich gehören alle zur selben Branche und in dieser müssen wir uns gemeinsam behaupten, schliesslich gibt es auch noch jede Menge ausländischer Mitbewerber. Ich persönlich freue mich über die Bewegung auf dem Markt, Kleinstbrauereien sind eine Inspiration. Davon leben können zwar nur die wenigsten, aber dafür beleben sie die Szene.

Im Mai hat Schützengarten Birrificio Ticinese übernommen, eine Tessiner Kleinbrauerei, die Konkurs gegangen ist.

Richtig, Biere der Marken San Martino und Bad Attitude wurden dort gebraut, beides Vorreiter der heutigen Craft-Beer-Szene. Wir haben die Markenrechte und Produktionsanlagen übernommen und brauen dort nun mit einer hervorragenden Braumeisterin und einem von Schützengarten unabhängigen Team für den Tessiner Markt.

Ist es also endlich auch unser Bier, das der Frauen…


Ja, bestimmt. In unserem siebenköpfigen Brauerteam gibt es immerhin drei Braumeisterinnen. Auch in der Administration beschäftigen wir viele Frauen, nur unsere Verkaufs- und Logistikabteilung ist sehr männerlastig. Hier müssen bis zu 50 Kilogramm schwere Bierfässer bewegt werden, was körperlich sehr anspruchsvoll ist.

Richtig etwas zu sagen hat man aber nur als Brauer. Wer gibt in der Craft-Szene den Ton an?

Craft Beer ist eigentlich nichts anderes als handwerklich gebrautes Bier, also das, was auch Schützengarten macht mit dem Slow-Brewing-Prinzip. Der Craft-Trend kam ursprünglich aus den USA. Seit gut 30 Jahren grenzen sich dort regionale Brauereien erfolgreich von den Grossbrauereien ab, indem sie individuelle Biere mit teilweise extremen und ausgefallenen Geschmacksrichtungen anbieten. In Europa sind wohl Belgien und Norditalien Vorreiter, und seit einigen Jahren auch die Schweiz. Hauptvolumenträger ist im Schweizer Markt aber nach wie vor das Lagerbier, dessen Anteil etwa bei 80 Prozent liegt.

Und doch sind gerade im Detailhandel zunehmend Spezial- und Nischenbiere zu finden.

Das ist so. Vor zehn Jahren hat bei uns noch kaum jemand danach gefragt, aber mittlerweile konnten wir unser Sortiment erfolgreich erweitern, beispielsweise mit dem Gallus Old Style Ale. Spezialitäten sind heute begehrter, weil es mehr neugierige Konsumenten gibt, die statt Lagerbieren auch mal ein Ale oder ein stärker gehopftes Bier trinken wollen. Wer aber denkt, dass jetzt plötzlich alle nur noch spezielle Biere trinken, täuscht sich.

Ihnen müsste das so oder so gelegen kommen, immerhin verkauft ein Grossteil der Ostschweizer Gastroszene Schüga-Produkte, 
sei es nun Lager- oder Spezialbier.

Wirte wählen ihre Bierpartner und Lieferanten aufgrund ihrer Anforderungen an das Sortiment und die Dienstleistungen. Natürlich liefern wir unsere Produktepalette gerne jedem Kunden aus, allerdings muss der Wirt sein Sortiment auf die Bedürfnisse seiner Gäste ausrichten und beschränkt sich deshalb in der Regel auf eine Handvoll Biersorten.

Nicht zuletzt auch, weil viele an Schützengarten gebunden sind – Stichwort Knebelverträge.

Es heisst immer wieder, die Brauereien würden die Gastronomen auf so lange Zeit binden, dass sie nicht mehr flexibel sind. Das muss man relativieren. Die Gastronomie ist ein risikoreiches Geschäft, das gute Konzepte und Investitionen erfordert. Zapfanlagen und Grundeinrichtungen allein kosten schnell ein paar tausend Franken. Diese Infrastruktur bereitzustellen ist finanziell ein beträchtlicher Aufwand, selbst für eine Brauerei. Wenn zum Beispiel jemand ein Lokal eröffnen will oder ein neues Buffet benötigt, dafür aber keinen Kredit von der Bank erhält, springen oft die Brauereien ein – sofern das Risiko tragbar ist. Dafür verlangen sie aber eine Gegenleistung, sprich der Wirt muss die Vorausleistung möglichst rasch amortisieren. Das geschieht in der Regel über Rabatte auf die Bierbezüge.

So falsch ist es also nicht, wenn man sagt, Schützengarten ist nicht nur eine Brauerei, sondern auch ein Immobilien- und Kreditinstitut.

Die Immobilien gehören uns meist schon seit Jahrzehnten, in einigen Fällen seit über 100 Jahren. Sie dienten seit jeher vor allem der Absicherung der Bierlieferungen. Es gab und gibt aber immer auch die Möglichkeit, bierfreundliche Konzepte zu fördern und gemeinsam zu entwickeln. In die Rolle als Geldgeber kamen die Brauereien ungern, denn die damit verbundenen Risiken sind hoch. Dies zeigt sich auch darin, dass die Gastronomie von den Banken kaum mehr Kredite erhält.

Wie viele sind es denn, die sich bei Schützengarten Startkapital holen?

Schätzungsweise 20 bis 25 Prozent der Gastronomen in der Region. Bei einem Wechsel kann es auch vorkommen, dass die Vereinbarungen dem Nachfolger weitergegeben werden.

Und was springt für die Brauereien dabei heraus?


Geld verdienen sie nicht damit. Für die Brauereien geht es dabei um die Absatzsicherung, vor allem aber um Kundenbindung und langjährige Partnerschaften. Das Geld verdienen sie mit dem Erlös aus den Getränkeverkäufen. Daraus sind wie immer vorerst die Kosten abzudecken, insbesondere für die Löhne der Mitarbeitenden und die Logistik. Zudem stehen auch stets Investitionen in den Betrieb und in neue Produkte an.

 

Reto Preisig ist 1962 in Flawil geboren und wohnt mit seiner Familie in Rehetobel. Seit 2012 ist er bei Schützengarten Vorsitzender der Geschäftsleitung. Sein Schützengartenbier wählt er je nach Umfeld und Stimmung: am Mittag zu Fleischgerichten ein Chlöschti, auf der Terrasse und zu Salaten einen Weissen Engel, zum abendlichen Biergenuss ein Gallus 612 Old Style Ale.

Dieser Beitrag erschien im Saiten-Sommerheft zum Thema Bier.

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