, 3. Juli 2016
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#Senfgoespublic 4: Militärkantine

Eine EM soll spannend sein, erst recht im Viertelfinal. Das Spiel Wales gegen Belgien war das über weite Strecken. Trotzdem hat die Militärkantine zusätzlich Spannung heraufbeschworen, ob man überhaupt alle Tore mitkriegen würde. Teil 4 des Public Viewing-Tests.

An diesem Freitgabend ist Wales sowas wie Gallien. Umzingelt von Ländern, die sich in den letzten Tagen mal mehr, mal weniger freiwillig aus Europa verabschiedet haben, sind die Waliser als letztes Team von ennet dem Ärmelkanal noch an der EM dabei. Dass das Märchen weitergeht, daran mag kaum einer glauben. Der Gegner ist schliesslich Geheimfavorit Belgien. Einen ungeheimeren Geheimfavoriten gab es noch nie.

Trotzdem verspricht das Spiel interessant zu werden. Beide Mannschaften stehen nicht für Abwehrschlachten, und die bisherigen Auftritte der Waliser garantieren zumindest, dass sie selber keineswegs als Aussenseiter auftreten werden. Nicht zu vergessen: In der Qualifikation zur EM holte Wales gegen Belgien vier von sechs möglichen Punkten.

Auf dem französischen Balkon

Gute Voraussetzungen also für den nächsten Public Viewing-Besuch, dieses Mal bei der Militärkantine in St.Gallen. Los gehts für einmal bereits rund zwei Stunden vor dem Spiel, schliesslich wollen wir auch die Küche der Militärkantine testen und damit in einer der schönsten Gartenwirtschaften der Stadt Platz nehmen.

Wir machens kurz: Kulinarisch gibts wohl nur wenige Public Viewings, die mit der Militärkantine mithalten können. Das Essen schmeckte den anwesenden SENF-Mitgliedern so gut, dass selbst der Anti-Vegetarier unter ihnen im für einmal fleischlos gewählten Hauptgang nichts vermisste.

Das Public Viewing selbst findet auf dem französischen Balkon statt. Ja, auch wir hatten keine Ahnung, was so ein französischer Balkon ist. Nachdem wir gegooglet haben, ist die Verwirrung noch grösser. Ein bodentiefes Fenster mit Geländer davor? Wie soll man denn da Platz finden, um Fussball zu schauen? Das wird doch etwas gar eng? Gemeint ist hier aber der nur über eine Aussentreppe erreichbare Balkon auf der Strassenseite der Militärkantine.

Auch wenns also nicht eng wird, intim scheint der Abend bei unserem Eintreffen trotzdem zu werden. 20 Minuten vor Spielbeginn stehen wir zu zweit auf dem Balkon vor etwa 40 leeren Stühlen. Kein Personal, keine Gäste und vor allem keine Leinwand. Als wir uns schon in Richtung Restaurant aufmachen wollen, um uns zu erkundigen, wird eine Ladung Bier herangetragen und wir sind ansatzweise beruhigt. Wenig später folgen auch ein Fernseher und ein paar Gäste. Knappe 20 werdens am Schluss sein.

Das Barteam übergibt die Fernbedienung kurzerhand dem SENF-Kollektiv. Wir schätzen diese Anerkennung unserer Kompetenz und machen uns daran, über eine App namens Teleboy einen Fernsehsender einzuschalten. Nach bangen Momenten läuft ZDF und wir sind nun vollends beruhigt.

Während wir also den Nationalhymnen der beiden Teams lauschen und vom angebotenen Sleeping Bear Ale der Barfuss Brauerei kosten, ergibt sich aus vorbeifahrenden Autos und Openair-Shuttle-Bussen sowie der Abenddämmerung hinter dem Bundesverwaltungsgericht die passende Stimmung. Nachdem wir erst befürchtet hatten, es werde eng, und danach dachten, es werde intim, wirds jetzt romantisch. Passend dazu zünden die Verantwortlichen die Lichterkette an. Schön.

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Zittern vor dem Penaltyschiessen

Das Spiel scheint die Erwartungen ebenfalls zu erfüllen. Nach einem flotten Beginn, wie es jeder Sportkommentator im deutschsprachigen Raum nennt, geht Belgien dank einem schönen Weitschuss von Nainggolan in Führung. Wir befürchten, dass der frühe Führungstreffer des Favoriten dem Spiel nicht gut tun wird. Danach scheint es erst auch auszusehen. Doch die Waliser geben sich nicht auf und gleichen schon bald aus.

Der Treffer kommt nach einer Eckball-Variante, die im ZDF treffend «die rote Lokomotive» genannt wird. Vier Waliser stehen sich bei einem Eckball praktisch auf den Füssen, um sich dann im letzten Moment zu verteilen. Sie stehen so eng beieinander, dass sie alle auf einem französischen Balkon, wie er uns von Google erklärt wurde, Platz gehabt hätten. Beim Ausgleich – und praktisch bei jedem weiteren Versuch dieser Variante – geht mindestens ein Angreifer vergessen.

Kurzbewertung:

Lage: 4 von 5 Croissants – eigentlich gäbe es für die Lage bloss drei Punkte. Schliesslich sind die Ansprüche hoch und die Bushaltestelle Sporthalle eben doch zu weit weg. Aber die idyllische Abendstimmung hinter dem Bundesverwaltungsgericht gibt einen zusätzlichen Punkt.

Stimmung: 2 von 5 Croissants – leider ist nicht viel los auf dem französischen Balkon. Das mag für viele ganz angenehm sein, aber ein paar Aaahs und Oohs fehlen dann halt doch.

Verpflegung: 5 von 5 Croissants – im Restaurant nebenan gibts sehr gutes Essen. Dass beim Public Viewing Ale serviert wird, lässt die SENF-Herzen höher schlagen.

Kosten: 4 von 5 Croissants – ja, wir sind streng. Aber wenn sonst die Stange meist deutlich unter fünf Franken kostet, ist das Spezli für fünf Franken halt schon teuer. Eintritt kostet hingegen auch dieses Public Viewing nicht.

Bis zur Pause ist das Spiel danach keineswegs schlecht, aber Tore fallen keine. 15 Minuten und ein weiteres Ale später steigt das Bild aus. Die Hoheit über die Fernbedienung, eben noch Anerkennung, wird zur Last. Die Teleboy-App (oder der Fernseher?) findet kein verbundenes Gerät, die Netzwerkverbindung scheint weg. Wildes Drücken auf der Fernbedienung gepaart mit vergeblich vorgegaukelter Kompetenz sind die Folge. Irgendwann scheint ein WLAN «Hotel» auf und die Verbindung ist wieder da. Drei Minuten sind in der zweiten Halbzeit gespielt, passiert ist zum Glück nichts.

Uns beschleicht ob der schlechten Verbindung die Angst, dass das Spiel ins Elfmeterschiessen gehen könnte. Was, wenn beim Stand von 4:4 das Bild wieder weg ist? Was, wenn wir dafür verantwortlich gemacht werden? Zittrig verfolgen wir die zweite Hälfte. Abgesehen von ein paar kurzen Aussetzern bleibt das Bild aber da. Und zum Elfmeterschiessen kommt es sowieso nicht. Während das grosse England am Aussenseiter Island scheiterte, wirft das kleine Wales den belgischen Mitfavoriten mit den Treffern zwei und drei aus dem Turnier. Und das alles andere als unverdient.

Wir übergeben die Fernbedienung dem Barpersonal und hoffen, dass die Verbindungsprobleme behoben werden können. Besonders fürs Finale, wenn – so wir gemunkelt – das OK der Fussballlichtspiele St.Gallen die Bar schmeissen wird.

#Platzverweis:

Seit kurzem können Schiedsrichter schon vor Anpfiff der Partie rote Karten verteilen. Wir haben schon vor Turnierbeginn zehn Herren eruiert, bei denen wir von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden.

Im ersten Test kam Roman Neustädter hinzu, im zweiten Stephan Lichtsteiner und im dritten der Schiri. Wenig überraschend verweisen wir das WLAN der Militärkantine des Feldes. Mit einem Kabel wäre die Verbindung sicher besser gewesen. Deshalb: #Platzverweis!

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