, 24. April 2016
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Ohren träufeln, Kröten schlucken.

Die unerspriesslichste Wahl des Jahres ist entschieden. Mächler? Friedli? Wir enthüllen: Charles Pfahlbauer jr. kann nichts dafür. Hier der exklusive Vorabdruck seiner Kolumne aus dem nächste Woche erscheinenden Maiheft von Saiten.

Obwohl ich mich wie geheissen rechtwinklig verkrümmt und die rechte Kopfhälfte flach gen Himmel gedreht hatte, lief mir die grauschleimige Flüssigkeit immer wieder mal aus dem Ohr über die Wange bis zum Kinn, manche Tropfen schafften es bis zu den Lippen, eine wahrlich bittere Erfahrung. Ciproxin, Ohrensuspension, klägliches Träufeln gegen eine bösartige bakterielle Entzündung, die Folgen eines gewaltigen Ohrenpfropfens. Vielleicht hätte unsereiner besser hingehört, damals, als das Hinhören langsam zum Problem wurde. Aber natürlich passten verstopfte Ohren und trübe Augen bestens zu Apriltagen, in denen der Frühling einfach nicht kommen wollte, und stattdessen der Schneeregen ein grimmiges Comeback feierte. Nulltage mit Nullresultaten, auf Tvaunull verhandelten sie das Nulldrei und und Nullvier und das Nullsieben von Joe’s  Nullenelf, das war so gar nicht wie auf der dauerhoppigen Zeitungsseite «Hopp KMU Tippspiel Sanktgallen»; noch nicht mal nullnull, aber das dafür auf den Strassen: null Leute, und wenn aus dem Nichts doch noch einer aufkreuzte, hatte er null Lust auf irgendwelchen Austausch.

Rundum nur Sachzwangsjackenbefehle

Kopf hoch, die alte Losung musste helfen, aber nur zum Ohrenträufeln. Und dann, ein wenig hirnen, weil Politik. Auch die: ein Nullsummenspiel, wie man so sagt. Nullnullnullnull. Zum Haarölsaufen. Sumpfbiber hatte mich gewarnt: Auch du, Charlie, wirst noch einige Kröten schlucken müssen, um diesen freisinnigen Frosch zu wählen. Okay, das Bild war schief, aber ich wusste, was er meinte. Diese Qualwahl! Aussichten für die Ostrandzone, die einer gallenstädtischen Parkgarageneinfahrt an einem ortstypischen Matschschneetag entsprachen. Gar nichts von Sanders-Bewegung und Feelthebern, sondern rundum nur Sachzwangsjackenbefehle von wegen Machmächlerjetzteinfach gegen das Tonischnüggeli – Augen zu und durch.

Ich tat mein Bestes: Küchentisch, Grüntee, Wahlzettel ausgepackt, Kugelschreiber hinterm Ohr, die Elster auf der Tanne vor dem Fenster grinste nur blöd. Kröten schlucken? Frosch fressen? Ist doch ein Lieber, flöteten alle. Bei allem Würgen – es wollte einfach nicht gehen. Ich tigerte vom Kühlschrank zum Vorratskämmerchen, ich stemmte die verstaubten Hanteln, ich schattenboxte gegen das Kleinere Übel und sortierte trübe Tassen. Ich kam nicht weiter, jede Ablenkung war willkommen, ich zappte durch die Kanäle und landete wieder nur auf Tvaunull, sein Personal fesselt immer ungemein, und erst recht die Gäste: dieses Mal wars ein Tübacher Elvis-Imitator, ein Held aus Disneyland im 3000fränkigen 70er-Elvisanzug, der in einer schummrigen Konzertbeiz in unserer Siedlung am Grossen Pfahlbauersee einen Marathon singen wollte. So weit sind wir gekommen. Love me tender, I wanna be your Teddybär.

I wanna be your vacuum cleaner

Ich stellte ab und legte John Cooper Clarke auf: I wanna be your vacuum cleaner, I wanna be yours. Wollte ich, konnte ich aber nicht, bei dieser Qualwahl. Ich liess Zündhölzer abbrennen, warf Dartpfeile auf die visierten Köpfe und ging sogar in den Hanggarten, um Rossschneckenkandidaten entscheiden zu lassen. Schliesslich legte ich mich aufs Nagelbrett, schluckte viermal leer und – ächz, ähm – wählte dann doch den grundehrlichen Chancenlosen, der mir nach all den Anläufen irgendwie leid tat. Sorry, Sumpfbiber, sorry Braunauge, sorry all die Pfahlgenossen, die mir das Krötenschlucken so innig ans Herz gelegt hatten. Es könnte mir noch leid tun, ich müsste damit leben.

Kein Wunder suchten mich nachts höllische Träume heim, in der schlimmsten Sequenz war ich eingesperrt in der Bad Ragazer Babyfabrik, «HW Baby Center, das grösste Babycenter der Schweiz direkt an der Autobahn mit über 70000 Artikeln für Mutter, Vater, Kind und Baby», ich kroch unter Tausenden schreiender Babies, die meisten davon fett und feucht, kein Entkommen, ein schweisstreibender Alptraum, die Fernsehwerbung hatte offenbar ihre Wirkung getan. Oh je. Vermutlich ist jetzt, da Sie das lesen, doch noch alles gut geworden. Muss ja, wie die Oma sagt. Die Elster auf meiner Tanne grinst nur.

 

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