, 8. März 2016
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Nationalsozialistische Verstrickungen

«Täter, Helfer, Trittbrettfahrer» heisst eine Bücherreihe, über NS-Belastete in Baden-Württemberg. Der jüngste Band erinnert an 20 Männer aus dem Bodenseeraum; zwei davon, Walther Flaig und Otto Raggenbass, sind aus Schweizer Sicht besonders interessant. von Richard Butz

Die umstrittene Strasse in Konstanz (Bild: Urs-Oskar Keller)

Jürg Frischknecht ist als Journalist und Buchautor ein Experte für Rechtsextremismus, Faschismus, Antifaschismus und Emigration in der Schweiz. Er geht dem Auf- und Abstieg des leidenschaftlichen und umtriebigen Alpinpublizisten und überzeugten Nationalsozialisten Walt(h)er Flaig nach.

Mit Passname Walter kommt er 1893 in Aalen (Baden-Württemberg) zur Welt und tritt 1912 in die Sektion Schwaben des Deutschen Alpenvereins ein. Im Ersten Weltkrieg wird er schwer verwundet und traumatisiert. 1921 erwirbt er das Diplom als Landwirt. Seine Leidenschaft aber, geteilt von seiner Gattin Hermine, gehört den Bergen, die er möglichst «judenfrei» haben möchte.

Tourismus und Spionage

So ist Flaig aktiv mit dabei, als die Hauptversammlung des Alpenvereins 1924 in München die mehrheitlich jüdische Alpenvereinssektion Donauland ausschliesst. Im gleichen Jahr wird er Mitglied der Sektion St.Gallen des SAC und schreibt wiederholt für deren Club-Nachrichten. Bei Kriegsbeginn gibt er den Austritt.

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Walther Flaig (1893 – 1972)

Flaigs Lieblingsberggebiete sind Silvretta, Rätikon, Engadin und Bergell. 1962 erscheint sein heute noch gelesenes und hoch gelobtes Buch Bernina – Festsaal der Alpen. Während mehreren Jahren arbeitet Flaig in der Tourismuswerbung in Graubünden. Nach dem Mord an Wilhelm Gustloff, dem Leiter der NSDAP-Landesgruppe Schweiz, 1936 in Davos verliert er die meisten Aufträge und verlässt mit seiner Familie das Prättigau. Noch schwerer trifft ihn eine 1944 lebenslängliche Einreisesperre in die Schweiz, verhängt als Strafe für den von ihm von Salzburg aus dirigierten Einsatz von Spionageagenten.

Walther Flaig: Ein Nazi im St.Galler Alpenclub – Vortrag von Jürg Frischknecht und Gespräch mit Stefan Keller: 9. März, 19.30 Uhr, Buchhandlung Comedia St.Gallen

Als Flaig 1972 im vorarlbergischen Bludenz stirbt, erscheinen zahlreiche Nachrufe. Diese würdigen rund 50 Erstbegehungen, seine Bergbücher und Dutzende von Gebiets- und Skitourenführer, erwähnen aber – bis auf eine Ausnahme – nicht sein aktives Eintreten für den Nationalsozialismus und seine Spionagetätigkeit. Die Ausnahme schliesst mit der Bitte an «liebe Schweizer Freunde»: «Lasst doch unserem Walt(h)er Flaig Gerechtigkeit widerfahren. Er hat für euer schönes Vaterland mehr getan und mehr an Liebe geopfert als die meisten anderen.»

Raggenbass’ «heilige Pflicht»

Über Otto Raggenbass, 1905 in Sirnach geboren und 1965 in Orselina gestorben, und seine Verwicklungen mit dem Nationalsozialismus berichtet der deutsche Historiker Arnulf Moser. Er weist dem von 1938 bis zu seinem Tode amtierenden Bezirksstatthalter in Kreuzlingen nach, dass er jüdische Flüchtlinge zurückgeschickt, jüdische Schulkinder aus Konstanz zurückgewiesen, Fluchthelfer bestraft und Entlassung von deutschen Grenzgängern empfohlen hat.

Wolfgang Proske (Hg.): Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. Band 5: NS-Belastete aus dem Bodenseeraum. Kugelberg Verlag, Gerstetten 2016. ns-belastete.de

Die harte Linie von Raggenbass entspricht der damaligen offiziellen Haltung des Kantons Thurgau, der keine Flüchtlinge zu- lassen will. Raggenbass schreibt 1938 dazu: «Es ist oft schwer, angesichts der bestehenden Tatsachen Leute auszuweisen und über die Grenze zu stellen, doch ist es die heilige Pflicht der Behörden, Land und Volk vor den ernsthaften Gefahren der Überfremdung und der antisemitischen Bewegung zu schützen.»

Gemeint ist damit, dass jüdische Flüchtlinge den Antisemitismus in der Schweiz schüren könnten. «Oder mit anderen Worten», kommentiert Moser, «die Juden sind selbst schuld am Antisemitismus.»

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Otto Raggenbass (1905 – 1965)

In seinem 1964 erschienenen Erinnerungsbuch Trotz Stacheldraht, 1939–1945 geht Raggenbass nur bezogen auf des Kriegsende auf Flüchtlinge ein. Viel mehr dagegen ist von ihm über seine Beziehungen zur Stadt Konstanz zu dieser Zeit zu erfahren. Er nimmt für sich in Anspruch, die Deutschen zur kampflosen Übergabe von Konstanz und insbesondere der Rheinbrücke bewogen zu haben. 1968 wird er dafür von Konstanz, die ihn bereits 1947 gewürdigt hat, mit der Umbenennung der Schwedenstrasse in Otto-Raggenbass-Strasse direkt an der Grenze geehrt.

Seither sind viele neue Fakten über und zu Raggenbass bekannt geworden, die ein düsteres Bild von seinem damaligen und späteren Wirken zeichnen. «Raggenbass und Haudenschild (ehemaliger Thurgauer Polizeikommandant) sind», schreibt der Historiker Reto Wissmann, «das Kontrastprogramm zum St.Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger.»

Seit einigen Jahren wird in Konstanz über eine erneute Umbenennung der Raggenbass-Strasse diskutiert und gestritten. Bis jetzt ist sie nicht erfolgt.

Mehr zu Otto Raggenbass in unserem aktuellen Heft auf Seite 55 im Interview mit Historiker Arnulf Moser. Dieser Text erschien ebenfalls im Märzeheft von Saiten.

 

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