, 11. April 2015
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Blocher und die Regionalmedien

Ein viel zu langer Text über den zu kurz geratenen Kinok-Abend zu Blochers BaZ-Übernahme und den Perspektiven der Ostschweizer Printmedien. Er hört mit Fragen auf.

NZZ-Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod wurde an der Generalversammlung vom Samstag deutlich wiedergewählt. Das ist insofern brisant, als dass er im vergangenen Dezember versucht hat, Markus Somm, den Blocher-nahen Chefredaktor der Basler Zeitung (BaZ), auf den NZZ-Chefredaktorensessel zu lupfen. Zum Glück erfolglos. Übrig bleibt ein Verdacht: Wenn es mit Blocher und der «alten Tante» nicht geklappt hat, liebäugelt er nun stattdessen mit ihren zwei Nichten, dem St.Galler Tagblatt und der Neuen Luzerner Zeitung, die ebenfalls zur NZZ-Mediengruppe gehören?

Zumindest diese Frage wurde am Donnerstagabend im Kinok beantwortet. Eröffnet wurde er mit Edgar Hagens BaZ-kritischem Film Die Übernahme. Anschliessend diskutierten Philipp Landmark (Tagblatt-Chefredaktor), Nina Scheu (Journalistin und Syndicom-Mediensprecherin), Markus Schär (Weltwoche-Redaktor) und Etrit Hasler (Politiker und freier Autor) über das Gesehene, und für die Ostschweiz relevanter: über etwaige Parallelen zur hiesigen Medienlandschaft. Moderiert wurde das Podium von Hanspeter Spörri, langjähriger Journalist und Saiten-Vereinspräsident.

Protestfilm mit emotionalen Statements

Das Interesse war gross, der Saal gut gefüllt. Hagens Film – ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Netzwerk «Kunst+Politik» und dessen Aktion «Rettet Basel» – startet mit Tagesschau-Schnipseln. Sie bilden eine Chronologie der Ereignisse, die ab 2010 zur «schleichenden Blocherisierung» der BaZ geführt haben. Der Rest besteht aus einem Zusammenschnitt von Statements verschiedener Personen zu einzelnen BaZ-Artikeln, aufgenommen im Juni 2014 an einem mehrstündigen Heraring im Theater Basel, wo die besagten Texte vorgelesen und diskutiert wurden.

Das Resultat: Empörung, Betroffenheit und jede Menge Vorwürfe an die Adresse der BaZ-Redaktion. Dazu gehören unter anderem: Gesinnungs- und Thesenjournalismus, Befangenheit (Journalisten, die über ihre eigenen Vorstösse schreiben), Intransparenz (Berufung auf Hörensagen oder «Insiderkreise»), einseitige, tendenziöse, manipulative Berichterstattung (gerne auch übers Asylwesen), Personalisierungen, Sexismus und Diskriminierung, Hetzkampagnen (etwa gegen die baselstädtische Finanzchefin Eva Herzog).

Solche Methoden sind auch im Rest des Politspektrums zu finden, doch die Vorwürfe sind berechtigt – nicht umsonst hält die BaZ den Rügen-Rekord beim Presserat. Diese sollten jedoch fachlicher Natur sein, nicht politisch motiviert. Denn das kann schonmal zu Werteverschiebungen in der eigenen Weltanschauung führen, was man im Film ruhig auch hätte thematisieren dürfen. Zum Beispiel an der Frage, ob man bei den Manipulationsversuchen eines gesinnungskompatiblen Blatts die gleichen Massstäbe ansetzt wie bei der BaZ und ihren medienethischen Verstössen.

Bewusst einseitige Intervention

Von den Beschuldigten kommt im Film niemand zu Wort. Die gegnerischen Statements hingegen sind eng zusammengeschnitten, prägnant, emotional. Jemand aus dem Publikum beschrieb das Projekt als 40-minütige «Collage ähnlicher Meinungen». Ein legitimes Konzept, zumal auch die Filmemacher von einer «bewussten filmischen und parteilichen Intervention» sprechen. Aus journalistischer Sicht jedoch fehlt es der Übernahme dadurch an Transparenz und Ausgewogenheit.

Die Filmidee entwickelte Hagen zusammen mit dem Autor und «Rettet Basel»-Gründer Guy Krneta. Ziel sei es, die Auswirkungen manipulativer Berichterstattung aufzuzeigen, erklärte dieser vor der Aufführung im Kinok. Zum Teil ist das durchaus gelungen. Der Film entlarvt das rechtspolitische Programm, zeichnet ein böses Bild von «Blochusconi» und seinen Schergen. Und reiht sich damit ein in eine ganze Reihe von Artikeln und Dossiers, die sich mit den sogenannten Blochermedien befassen. Manche etwas polemischer, andere ganz sachlich. Die Übernahme bewegt sich wohl irgendwo dazwischen.

Das Podium: kurz gestreifte und offene Fragen

Die Diskussion im Anschluss war unerwartet langweilig. Es wurde viel herumgeeiert und wenig gesagt. Über vermeintliche Objektivität und Doppelmoral, alternative Berufsbilder, wirtschaftliche, publizistische Realitäten oder Rezepte für journalistische Unabhängigkeit und Qualität wurde, wenn überhaupt, nur halbherzig geredet. Stattdessen verloren sich die Podiumsgäste allzu oft abwechslungsweise in diffusem Pessimismus (Scheu), Relativierungen (Landmark) oder Sticheleien aufgrund schwerwiegender politischer Differenzen (Schär und Hasler).

Wesentliche Punkte kamen nur vereinzelt zur Sprache: Schär etwa kritisierte die dauerkulturpessimstische Zeitungsbranche. Nina Scheu warnte – ebenfalls zu Recht – vor einer «zunehmenden 20Minutisierung» gewisser Redaktionen, die regelmässig «No-News» zu «News» machten und so der «Verblödungsindustrie» zuspielten. Etrit Hasler fragte durchaus konsequent, ob das Modell Tageszeitung heute überhaupt noch zeitgemäss sei. Ausserdem plädierte der SP-Parlamentarier und WoZ-Kolumnist für eine Vereinbarkeit von politisch engagiertem Schreiben und journalistischer Qualität.

Hier hätte es spannend werden können. Etwa bei der Frage, ob sich WoZ-Hasler und Weltwoche-Schär wenigstens im Beruf an gemeinsamen Standards wie Transparenz, Faktentreue, Relevanz oder Ausgewogenheit orientieren. Von Markus Schär, dem Thurgauer Ex-Linken, der den Presserat gern belächelt und die Vorwürfe gegen die BaZ für ungerechtfertigt hält, hätte man ohnehin dringend eine Offenlegung seiner journalistischen Grundsätze fordern müssen. Auch die Frage nach Blochers realem Einfluss an seinem Arbeitsplatz bei der Weltwoche blieb ungestellt. Stattdessen durfte er munter weiter schwurbeln.

Und die Ostschweiz?

Kurz zur Situation des St.Galler Tagblatts: Philipp Landmark, ansonsten eher durch Zurückhaltung aufgefallen, winkt ab in Punkto Blocher. Ein Verkauf des Tagblatts sei derzeit «höchst unwahrscheinlich». Die NZZ-Gruppe hege diesbezüglich kaum Absichten. «Dort interessiert man sich vor allem für unsere Zahlen, weniger für die Buchstaben.» Zusammen mit der Neuen Luzerner Zeitung generierten die Tagblatt Medien fast zwei Drittel des Umsatzes der NZZ-Gruppe. Diese könnte es sich zwar leisten, würde die Regionalen aber kaum zum regulären Preis abzustossen.

Somit ist klar: Solange Blocher nicht massiv über Marktwert offeriert, bleibt das Tagblatt in freisinnigen Händen. Und die Ostschweizer Medienlandschaft vermutlich weiterhin konzentriert. Was diese überregional bedeutende Marktstellung für den Tagblatt-Journalismus konkret bedeutet? Wäre auch eine gute Podiumsfrage.

 

Hier noch ein paar mehr, unsere Kommentarspalte ist ja quasi ein 24/7-Podium:

  • Wie viele Medienprodukte sollte man pro Tag zu sich nehmen, was ist gesund?
  • Bild dir deine Meinung: Lieber eine Forumszeitung oder lieber drei kleinere Blätter mit klarem Profil?
  • Was verbindet die Journalisten der Alten Schule und die Reporter von Watson oder Joiz, und was trennt sie?>
  • Stehen Medienschaffende unter Generalverdacht, wenn sie ihre politische Linie offen vertreten? Macht sie das unglaubwürdiger? Verletzen sie allein damit journalistische Grundsätze?
  • Was können die Printmedien heute beisteuern zur real existierenden Medienvielfalt im Netz?
  • Wie viele Arten von Journalismus gibt es in der Schweiz im Jahr 2015, und welche Funktionen erfüllen sie?

 

 

Die Übernahme» von Edgar Hagen kann für 10 Franken hier bestellt werden.
Weitere Infos: dieuebernahme.ch

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