, 23. März 2015
1 Kommentar

Opiumrausch am Bodensee

Vor 5000 Jahren wurde am Bodensee Schlafmohn in grossen Mengen angebaut. Ob sich schon die hiesigen Pfahlbauer damit berauschten?

Die kürzlich im Museum der Kulturen in Basel eröffnete Ausstellung «Opium» erwähnt den Mittelmeerraum und namentlich die Bodenseeregion als uraltes Anbaugebiet des Schlafmohns (Papaver somniferum). Der Leiter des Museums für Archäologie des Kantons Thurgau in Frauenfeld, Urs Leuzinger, kann das bestätigen. «Schlafmohn wird in den Pfahlbausiedlungen des Bodensees in Unmengen angebaut», sagt der Jungsteinzeit-Spezialist. «Vermutlich war man vor allem scharf auf die ölhaltigen Samen. Wir finden sie bei den Ausgrabungen als Pflanzenreste der reifen Frucht. Diese eignen sich aber nicht mehr für die Opiumgewinnung.»

Schmerzmittel oder kultische Pflanze

Laut Leuzinger gibt es «keinen absoluten archäologischen Beweis», dass man die bewustseinserweiternden Substanzen in der Jungsteinzeit nutzte. Die Milch sei nur aus den unreifen Kapseln zu gewinnen, und diese hätten sich nicht erhalten. «Aber die Pfahlbauer kannten die Natur in- und auswendig», sagt der Leiter des Museums für Archäologie. «Man hat sicher auch die Wirkung der Mohnpflanze gekannt und vermutlich genutzt. Als Schmerzmittel wurde sie mit höchster Wahrscheinlichkeit konsumiert.»

Aus der Bronzezeit gebe es zudem Schmucknadeln aus Bronze mit Mohnkapseln als Nadelkopf. «Dies ist ein weiterer Hinweis, dass dieser Pflanze in der Ur- und Frühgeschichte eine grosse Bedeutung zugemessen worden ist. Allenfalls sogar in kultischem Zusammenhang», sagt Leuzinger.

Mohnkopfnadel Schlatt TG

Eine Schmucknadel mit Mohnkapsel als Verzierung, gefunden im thurgauischen Schlatt.

Auch Doris Buddenberg, die Kuratorin der Basler Ausstellung, sagt, dass es keine Beweise für Opiumräusche der Pfahlbauer gibt. «Es gibt keine Funde, die darauf hinweisen», sagt sie. «Insofern sind wir auf Spekulationen angewiesen. Sicher ist, dass das Rauchen von Opium sich erst sehr spät entwickelte. Falls also die Pfahlbauer Rauscherlebnisse mit Mohn hatten, konsumierten sie ihn als Getränk oder als Speise, beides ist möglich.»

Der wahrsagende Drache

In der Antike war der Mohn wegen seiner berauschenden Effekte als «Nahrung wahrsagender Drachen» bekannt. Er diente als Traum- und Schlafmittel. Die Römer führten den Opiumgebrauch in grossen Teilen Europas ein. Später breitete sich das Rauschmittel auch in Persien, Indien und China aus.

Zur Gewinnung von Opium werden die schon dick angeschwollenen, aber noch grünen Mohnkapseln in den Abendstunden stellenweise angeritzt. In den folgenden Morgenstunden wird der getrocknete, braun verfärbte Milchsaft der gegliederten Milchröhren − das Rohopium − durch Abkratzen gewonnen. Dieser Vorgang wird mehrmals wiederholt, bis die Fruchtkapsel gleichmäßig vernarbt ist. Eine Kapsel liefert etwa 20 bis 50 Milligramm Rohopium, das drei bis 23 Prozent Morphin enthält.

Heroin wiederum wird halbsynthetisch hergestellt. Die Ausgangssubstanz ist das Morphin. Gewonnen wird Morphin als Extraktion aus Rohopium, dem getrockneten Milchsaft des Schlafmohns. Durch chemische Derivatisierung des Morphins entsteht schliesslich das Heroin.

Mohnsamen Arbon Bleich

Mohnsamen, gefunden in Arbon.

Mohn als Medizin

Der Mohn spielt in der Geschichte der Pharmazie als Heilpflanze eine wichtige Rolle. Opium wird im frühen 16. Jahrhundert durch den Arzt und Naturforscher Paracelsus erstmals für medizinische Zwecke, vor allem zur Behandlung von Schmerzen, Durchfallerkrankungen sowie als Schlafmittel, eingesetzt. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich Opium zu einem der wichtigsten Handelsprodukte. 1805 isolierte der deutsche Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner aus Opium Morphin oder Morphium, das in der Medizin bis heute anstelle des Rohopiums als wichtiges Schmerzmittel Verwendung findet.

Die steigende medizinische und ökonomische Bedeutung des Opiums und die Verwendung von Opium als Rauschdroge führte 1839 zum sogenannten Opiumkrieg zwischen China und England. Der Krieg war ein Vorwand zur Eroberung und Kolonialisierung des Kaiserreichs.

 

Museum der Kulturen, Basel: Ausstellung «Opium» bis 24. Januar 2016. Öffnungszeiten Di bis So, 10 bis 17 Uhr, jeden ersten Mittwoch im Monat bis 20 Uhr.

 

Titelbild: Der Schlafmohn (Papaver somniferum) hat wunderschöne Blüten. Diese haben es aber nicht nur optisch in sich.

1 Kommentar zu Opiumrausch am Bodensee

  • […] The wild version of the plant can grow up to a northern latitude of 56° – which is the line roughly connecting Glasgow, Copenhagen and Moscow. But where the cultivated, morphine-containing plant was initially cultivated is not fully clear. In older sources, it is often described as “a native of Persia.” One of the earliest UNODC reports, published in 1949, said its “original home” was “probably the Mediterranean region.” (3) But the plant’s cultivation seems to have started further west. The most ancient poppy seeds ever found, dated to 7000 BC, and were discovered in Cologne in modern-day Germany. As the Rhine river was an old trade route, it is likely that the poppy seeds came travelling down the river, perhaps from areas around Lake Konstanz, that are now on German, Swiss or French territory. Urs Leuzinger, a Swiss specialist on the late Neolithic period and director of the Archaeology Museum of the Kanton of Thurgau, has said: […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!