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Von unten neu anfangen
Das zweite deutliche Volks-Nein zu einem neuen Marktplatz in der Stadt St.Gallen ist ein Auftrag: Planungen für zentrale Orte in einer Stadt müssen heute partizipativ aufgegleist werden. Gute Beispiele gibt es – anderswo.
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Als das Stadtparlament die jetzt abgelehnte zweite Marktplatzvorlage debattierte, war kurz von einer partizipativen Planung die Rede. (Bild oben: die «Diorama Map» von Bern, ein begehbares Stadtbild von Sohei Nishino). Doch die Partizipation war eng beschränkt. Politikerinnen und Politiker meinten, sie redeten im Namen der Bevölkerung.
Dass sie unterschiedliche Meinungen zu wenig berücksichtigten, zeigte sich bald. Es waren nicht zuletzt die Marktleute, die mithalfen, das Projekt zu bodigen. Niemand habe ernsthaft mit ihnen über Anforderungen an einen künftigen Markt geredet. Dazu kamen die Sparapostel, denen das Projekt reichlich Argumente für ein Nein lieferte: ein Ausbau des Taubenlochs für zu ungenau definierte Zwecke und eine WC-Anlage für geschätzte 2 Millionen.
Den Platz «vorhalten»?
Nach dem Nein redet der Stadtrat jetzt von einem «Marschhalt» und Baustadträtin Patrizia Adam will prüfen, was es kostet, den Platz solange «vorzuhalten», bis ein nächster Anlauf genommen werden könne. Ist das wirklich der richtige Weg? Nichts machen, flicken, abwarten, bis sich von allen Seiten wieder so viele Ansprüche aufstauen, dass es erneut unmöglich wird, es allen recht zu machen?
Die Stadtregierung hat einen Denkzettel verpasst bekommen, den sie auch als Auftrag für eine kluge Planung interpretieren könnte. Prominente und zentrale Orte lassen sich bei den heutigen Ansprüchen der Bevölkerung nicht mehr einfach «top-down» beplanen. Zu unterschiedlich sind die ökonomischen und (verkehrs-)politischen Ansprüche. Es braucht auch einen «bottom-up» Prozess, in dem die verschiedenen Gruppen aus der Gesellschaft ihre Anliegen einbringen können. Und es braucht – so sagen die Fachleute – offene Verhandlungsstrukturen, in denen Allianzen geschmiedet werden. Nur so gelingen komplexe Projekte.
Zum Beispiel Schaffhausen, Cham, Bern
Doch unmöglich sind neue Lösungen deshalb nicht. Es gibt viele Beispiele, in denen so moderierte Prozesse zum Erfolg geführt haben. Das muss nicht dreissig Jahre dauern, wie auf dem Herrenacker in Schaffhausen, der nach mehrmaligem Nein der Bevölkerung erst neu gestaltet werden konnte, als ein professionelles, partizipatives Verfahren durchgeführt wurde. Der Zuger Stadttunnel, die Umfahrung Cham-Hünenberg oder die Berner Schützenmatte sind weitere Beispiele, die sich der St.Galler Stadtrat anschauen könnte, um herauszufinden, wie man es besser machen könnte.
Eine solche Planung – von erfahrenen Fachleuten aufgegleist und begleitet – braucht es in St.Gallen aber nicht nur für den Marktplatz sondern auch für das Areal Bahnhof Nord. Auch dort gibt es unterschiedlichste, sich gegenseitig blockierende Ansprüche. Dort ist ein erster Wettbewerb bereits am Widerstand von Jury und eingeladenen Büros gescheitert, und es droht ein weiteres Debakel, wenn nicht jene Vorarbeit geleistet wird, in der alle Anspruchsgruppen ernst genommen werden. Der spontan entstandene «Tisch hinter den Gleisen» ist dazu ein Ansatz.
Die angeblich hohen Kosten einer solchen Planung und eines seriös vorbereiteten Wettbewerbs, der möglichst viele Ideen hervorbringt, können kein Argument sein, solche Prozesse abzuklemmen. In Abstimmungen Denkzettel einzufahren, wie das zweite Martplatz-Nein einer ist, ist letztlich teurer.