, 6. Juni 2014
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Mit den Elementen per Du

Seit fünfzehn Jahren wünscht er sich und der Stadt einen unterirdischen Zugang zur Steinach. Trotzdem findet Roman Signer St.Gallen und die Ostschweiz einen guten Ort für die Kunst. Heute eröffnet die grosse Signer-Schau im Kunstmuseum. von Ursula Badrutt

«Wäre ich reich und hätte das nötige Geld, würde ich die Idee heute noch umsetzen und der Stadt St.Gallen schenken.» Die Rede ist von einer Arbeit, die Roman Signer 2002 als Teil des Kantonsjubiläums vorgeschlagen hatte. Aber die 25 Millionen Franken, die für die Festivitäten zur Verfügung standen, waren bereits anderweitig verplant, als er mit der Idee vorstellig wurde. Gekostet hätte der Eingriff rund 200‘000 Franken, auf sein Honorar hätte er damals verzichtet.

Es sei keine künstlerische Arbeit im eigentlichen Sinne, sondern einfach ein Zugang zur unterirdischen Steinach, den er gerne realisiert hätte und noch immer gerne realisiert sähe. Präzis in dieser Erweiterung herkömmlicher Vorstellungen von Bildhauerei besteht eine der herausragenden Leistungen von Roman Signer. Er dematerialisiert Kunst und lenkt den Blick auf die der Natur und ihren Elementen innewohnenden Kräfte und Energien.

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Roman Signer: Larghetto moderato allegretto allegro allegro vivace vivace presto 2008 (Videostill Aleksandra Signer)

Viamala vor der Haustüre

Die Planskizze aus dem Jahr 2002, die der Künstler sofort zur Hand hat, zeigt einen etwa 12 Meter langen Zugangsstollen unter einem einfachen gedeckten Eingang gegenüber der Talstation der Mühleggbahn sowie ein Podest in rund 12 Meter Tiefe; heute liesse sich der Zugang auch direkt vom ehemaligen Kiosk her bewerkstelligen, wo eine Ausstellung zum Gallus-Jubiläums 2012 untergebracht ist. Die Leiter im bestehenden Schacht müsste durch eine Wendeltreppe ersetzt werden, auf dem unterirdischen Steg würden Scheinwerfer den Fall und Fluss der Steinach in gutes Licht rücken – ein Spektakel von Naturgegebenem in einer Kunstbaute, das die Gesetzmässigkeiten des Elements Wasser sicht- und hörbar macht.

Dieses Erlebnis wäre eine grosse, auch touristische Attraktion für St.Gallen, davon ist Roman Signer überzeugt. Eine Art Viamala, Rofflaschlucht, Niagara und Victoria Falls vor der Haustür. Eine seiner früheren Projektideen sah die Installation einer Videokamera an dieser Stelle vor, die das Bild an die Oberfläche geholt hätte. Die Idee eines direkten und physischen Zugangs als ausserordentliches Erlebnis für alle kam Roman Signer, als er mit dem Kajak die Steinach herunter fuhr. Das war (nach seiner ersten Fahrt 1984 mit noch anderer Wegführung) im Jahr 1999. Zuvor, 1998, entstand die Installation «Schacht», die den Blick von der Strasse her in die Tiefe freigibt.

Das erste kantonale Kunst-am-Bau-Projekt

Bis heute existiert kein Projekt von Roman Signer, das vom Kanton St.Gallen als Kunst am Bau oder Kunst im öffentlichen Raum realisiert worden ist. Der Brunnen vor der Kaufmännischen Schule auf der St.Galler Kreuzbleiche war ein Geschenk der UBS. Auch zu Wettbewerben im Kanton sei er nie eingeladen worden, sagt Roman Signer im Gespräch, und noch immer merkt man ihm die Enttäuschung an.

Immerhin kommt in den kommenden Monaten eine Arbeit im neu zu erbauenden Forschungszentrum der Hochschule für Technik Rapperswil zur Ausführung, eine Säule von acht übereinander liegenden Fässern. Das freut den inzwischen 76-jährigen Künstler umso mehr. Die Plastik erinnert an die endlose Säule von Constantin Brancusi genauso wie an klassische Obelisken. Im Zentrum aber stehen Anleihen an die Nutzung des Gebäudes als Forschungszentrum in Bereichen der Energie-, Elektro-, Sicherheitstechnik, des Produktedesigns und der Solartechnik. Die Voltasäule als Vorläuferin der heutigen Batterie und als Grundlage für die Erforschung der Elektrizität ist formal ebenso Pate gestanden wie inhaltlich. Der Vielzahl an Referenzen stehen die klare Positionierung im Raum und die Einfachheit des Vokabulars gegenüber.

Den insgesamt zur Verfügung stehenden Betrag für Kunst am Bau des Forschungszentrums, der unter dem empfohlenen, aber bislang gesetzlich nicht vorgeschriebenen Bauprozent liegt, teilt sich Roman Signer mit je einem Beitrag von Peter Kamm und Loredana Sperini, die beide ebenfalls erstmalig an einem Bau des Kantons mit Kunstprojekten beteiligt sind.

Mit der Putzmaschine in den Spiegel

Nein, Millionär sei er bigoscht nicht, werde auch nie einer sein, sagt Roman Signer, auch wenn es ihm finanziell heute bedeutend besser gehe als früher. «Meine Mutter würde sich wundern, wenn sie wüsste, dass ich heute im eigenen Haus wohne und von meiner Kunst leben kann», sagt er. «Sie riet uns drei Buben inständig davon ab, einen Künstlerberuf  zu wählen, so etwas Brotloses wie unser Vater, der Musiker war.»

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Roman Signer: Beim Chef, 2009

In der Tat war die Durststrecke lang, die Künstler Signer samt Familie durchmachte. Seine Frau arbeitete lange Jahre als Putzfrau und Kindermädchen, nachdem die an der Akademie in Warschau ausgebildete Künstlerin 1977 aus Polen in die Schweiz gekommen war. Auch Roman Signer selber hat, nachdem er die Arbeit als gelernter Bauzeichner aufgegeben und sich für die Kunst entschieden hat, alle möglichen Jobs angenommen, war Hilfsarbeiter auf dem Bau, Gabelstapelfahrer, Vermessungsgehilfe, Nachtwächter. Und er erinnert sich, wie ihm einmal fristlos gekündet wurde, als er vor lauter Müdigkeit bei Reinigungsarbeiten in der EPA auf der Putzmaschine eingeschlafen und in einen Spiegel gedonnert sei. Spiegel und Maschine gingen in die Brüche – eine künstlerische Intervention wider alle Absicht.

Dann bekommt er einen Lehrauftrag an der Kunstschule in Luzern. 21 Jahre lang fährt er jede Woche für einen Tag in die Innerschweiz, bis 1995. Das sei gut und wichtig gewesen, aber dann habe er es einfach nicht mehr ausgehalten. Der Entwicklung der Kunstschulen zu Hochschulen steht er skeptisch gegenüber, «es gibt nicht bessere Künstler seither, und die Originalität hat gelitten». Zwar fehlten nur noch acht Jahre bis zu seiner Pensionierung als Staatsbeamter, und heute wäre er ja eigentlich froh um die Pension, die er sich damals habe auszahlen lassen. Noch konnte er nicht leben von der Kunst. Aber er wollte mehr Zeit für die eigene Arbeit haben. Und mehr Freiheit.

«Zu gut für die Schickeria»

«Der Durchbruch kam 1997, als Iwan Wirth im Rahmen von Skulptur Projekte Münster meine Arbeit mit dem Spazierstock sah.» Über einem Teich schwebend zeichnete der Spazierstock mit dem Wasserstrahl, der den Rückstoss gab, Formen in die Wasseroberfläche. Der aufstrebende Galerist aus der Ostschweiz war begeistert und nahm den damals bereits knapp Sechzigjährigen unter seine Fittiche – so weit dieser es zuliess. «Seither kann ich von meiner Kunst leben», sagt Roman Signer. «Das war eine Wende, das meine ich mit Durchbruch.» Noch zehn Jahre zuvor, als Roman Signer 1987 nach Kassel an die documenta 8 eingeladen wurde und dort immerhin 350‘000 Blatt Papier in die Luft sprengte, fand er kaum Beachtung. Nur wenige folgten dem Ereignis live, die nationale und regionale Presse übersah es weitgehend. Das rote Fass im Grabenpark in St.Gallen absorbierte zu dieser Zeit alle negative Aufmerksamkeit.

«Berühmter Künstler» – immerhin figuriert Roman Signer seit einigen Jahren auf nationaler Ebene beständig auf den ersten drei Plätzen des jährlich veröffentlichten «Bilanz»-Künstler-Ratings – ist nicht gleichbedeutend mit «wohlhabender Künstler». Insbesondere nicht, wenn er wie Roman Signer darauf beharrt, keinen Exklusivvertrag mit einer Galerie einzugehen und auch die Preise für seine Kunst möglichst niedrig halten will. «Für gewisse Leute bin ich zu billig, viele können nicht nachvollziehen, weshalb ich meine Arbeiten auch für Leute mit weniger Geld erschwinglich halten will. Mit einem anderen Preisniveau hätte ich eine andere Kundschaft, aber die will ich gar nicht.» «Du bist zu gut für die Schickeria», formuliert es Aleksandra Signer, seine Frau. Ein Hauch Zweideutigkeit schwingt mit. Auf Drängen von Iwan Wirth habe er einmal alle Preise von Franken und Euro umgewandelt, aber dann sei der Euro gesunken – und jetzt seien seine Preise wieder fast gleich tief wie zuvor.

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Roman Signer: Kleine Ereignisse Hotel Castell, Zuoz, 1996. Bild: Kunstmuseum St.Gallen

Zur Verweigerung gegenüber den spekulativen Seiten des Kunstmarkes gehört auch der Entscheid für einen soliden Familienbetrieb anstelle eines Betriebes mit Angestellten und Assistenzen. Die Mini-Factory besteht neben Roman Signer selbst aus Ehefrau Aleksandra, Tochter Barbara, Neffe Tomasz Rogowiec. Gemeinsam bestreiten sie Produktion, Präsentation, Dokumentation, Planung, Kommunikation von Signers Werk.

Anstelle eines Exklusiv-Galeristen müssen sich sechs angesehene Galerien den heute international gefragten St.Galler Künstler teilen. Das sei eigentlich zu viel, meint Roman Signer, es mache vieles kompliziert, erfordere genaue Absprachen und diplomatisches Geschick. Doch dieser Aufwand ist ihm noch lange lieber, als seine Selbständigkeit aufzugeben, ständig neue Werk liefern zu müssen, 70 Prozent des Kaufpreises an die Galerien abzugeben, nichts privat verkaufen, ja nicht einmal Freunden etwas schenken zu dürfen.

Humor und Hingabe

Diesen Sommer wird die Ostschweiz ihrem Künstler wieder in geballter Ladung und museal begegnen können. Ausser im Schaukasten in Herisau, wo er drei Regenschirme in einem Versuch gleichzeitig geöffnet hat, wartet das Kunstmuseum St.Gallen mit einer Fülle bildhauerischer Arbeiten auf. Die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser, Luft sind alle präsent. Die Lust an der Präzision – etwa wenn zehn liegende Stühle wie auf Kommando über Luftzufuhr auf die Beine schnellen – und die Präsenz von Humor und Hingabe machen aus jeder einzelnen Arbeit ein Stück Glück.

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Roman Signers Stühle im Kunstmuseum St.Gallen (Bild: Stefan Rohner)

Über vierzig Jahre sind es her, dass Roman Signer seine erste Ausstellung hatte –1973 in der St.Galler Galerie Wilma Lock. Damals wohnte er noch bei den Eltern in Appenzell, mietete aber erstmals ein Atelier in der Stadt. Schon damals hätten ihn Bauern, die den Rückstoss des Gülleschlauchs oder den Wirbel der Milch im Trichter beim Umschütten in die Tanse beobachteten, besser verstanden als manche Szeneleute der Kunst. 1977 stellt er zum ersten Mal in Zürich aus, in der Galerie Maurer. «Für einen Ostschweizer ist das eigentlich eine recht gute Arbeit», sei der herablassende Kommentar des dortigen Publikums gewesen. Das habe ihn beleidigt. «Heute», so Signer, «würde das niemand mehr zu sagen wagen, denn heute ist der Kunstbetrieb der Ostschweiz angesehen, respektiert und etabliert, die Institutionen genauso wie die Kunstszene funktionieren gut, werden beachtet und aufmerksam verfolgt.» Das Publikum reist für Vernissagen von auswärts hierher, Künstlerinnen und Künstler ziehen gar zum Leben und Arbeiten nach St.Gallen. «Ich wollte beweisen und habe vorgemacht, dass das möglich ist.» Etwas Trotz schwingt mit. Für seine Arbeit fand er hier schon damals die ideale Umgebung und Anregung, das «Ende der Welt» im Weissbad, die Sitter und Urnäsch in unmittelbarer Stadtnähe, aber auch das richtige Mass an Anonymität zur Umsetzung der sprudelnden Ideen.

Nur etwas lässt ihn klagen: «Was fehlt, sind Räume! Es gibt keine günstigen Atelier- und Lagerräume hier.  Zu blöd, wurde die Kaserne auf der Kreuzbleiche abgerissen. Der Zugang zur Autobahn hätte sich auch anders bauen lassen.» Wo sind die Lehren von damals? Wo sind die leeren Räume?

Roman Signer: 6. Juni bis 26. Oktober, Kunstmuseum St.Gallen. Vernissage: 6. Juni 18.30 Uhr

Dieser Beitrag erschien im Juni-Heft von Saiten

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