, 13. Mai 2014
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Ego(n)zentrisch unterwegs

Ein groteskes Spiel zwischen Realität, Fantasie und Irrsinn: Die St.Galler Cie Buffpapier spielt «Egon» in der Grabenhalle. Ein Probenbesuch mit Fragen zur Geld-Realität.

Der Mai ist der Monat der freien Theater. In der Lokremise zeigen Jonas Knecht und Beatrice Fleischlin vom Theater Konstellationen «Mein Herz ist ein Dealer» – Teil zwei des Langzeitprojekts «Mensch! – Ein Showbusiness» (24., 28. und 29. Mai). In der Offenen Kirche gastiert am 17. Mai das interkulturelle Theater Maxim aus Zürich mit «Kisskill» – und bringt damit laut Kritik «Frauenpower und Frauenleid, Sehnsucht und Aufruhr auf die Bühne». Sollte man alles nicht verpassen – ebenso wenig wie Egon. Ihn und die Cie Buffpapier haben wir beim Proben besucht.

Regie im Kollektiv

Die Spielfläche im Proberaum der Cie Buffpapier im obersten Stock der St.Galler Hauptpost ist leer bis auf ein Velo. Es ist dreirädrig, vorn über der Lenkstange ist ein Helm montiert, in den der Kopf von Stéphane Fratini haarscharf hineinpasst – und hinten fahren zwei alte Fernsehbildschirme mit. Auf dem Velo wird Egon unterwegs sein, Livekameras werden seine Mimik auf die Bildschirme übertragen. Egon, der suchende, ratlose, gelangweilte, ego(n)zentrische Zeitgenosse.

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Nein nein, das sei nicht er selber, das sei eine Theaterfigur, lacht Stéphane Fratini – aber durchaus «die Vergrösserung einer Emotion, die ich selber auch ab und zu habe». Egon sei eine Figur, die in unsere Zeit hineinpasse, ergänzt Franziska Hoby. Aber ohne Moralzeigefinger, wirft Manuel Gmür ein, der dritte im Buffpapier-Bunde. «Ridicule» nennt Fratini diesen Egon und übersetzt das Wort nicht mit «lächerlich», sondern mit «lustig oder sinnlos». Sicher ist: Man wird wie stets bei Buffpapier-Produktionen allerhand zu lachen haben, aber auch nachzuhirnen über die aus dem Leben gegriffenen und zugleich an den Engnissen der Realität lustvoll vorbeischrammenden Geschichten.

Buffpapier gibt es seit 2001 beziehungsweise seit 2003, als Manuel Gmür zum Duo Fratini/Hoby hinzustiess. Die beiden hatten an der legendären Pariser Lecoq-Schule zusammengefunden und sich nach ihrem ersten Stück benannt, das von einem Papierfresser handelte. Über die Jahre entwickelte sich ihre unverwechselbare clowneske Theatersprache – zuletzt zu sehen in der «Helvetia Mystik Show» und im «Petit Cabaret Grotesque».

Mehr als ein Dutzend Jahre gemeinsamer Arbeit: Das ist für freie Theaterprojekte eine bemerkenswert lange Zeit. Denn die Herausforderungen sind beträchtlich, finanziell wie zwischenmenschlich. Im Gespräch wird rasch spürbar: Da sind drei Leute, die einen intensiven gemeinsamen Weg gegangen sind. Ideensammlung, Stückentwicklung, Detailarbeit, Bühnengestaltung, all das passiert im Kollektiv. «Das gibt Konflikte», sagt Manuel, «aber wir haben gelernt, sie für die Arbeit fruchtbar zu machen. Und irgendwann kommt der Punkt, wo wir vom Gleichen reden». «Wir verzweifeln zu dritt», sagt Stéphane. «Irgendwann läuft es», sagt Franziska.

Mindestlohn? Eine Utopie!

Das tönt gelassen – auch in materieller Hinsicht. Buffpapier muss jede Produktion neu finanzieren und hat dafür auch verlässliche Partner in Stadt und Kanton St.Gallen und bei Stiftungen gefunden, wie Stéphane Fratini hervorhebt. Dazu gehört auch der Proberaum in der Hauptpost, den die Stadt vor zwei Jahren vermittelt hat. Projekt-Finanzierung: Das bedeutet andrerseits, ohne Jahressubventionen oder eine Leistungsvereinbarung über die Runden kommen zu müssen, wie dies andere Kantone für freie Theater- oder Tanzgruppen kennen.

«Eine Dauersubvention, das wäre grossartig», sagt Franziska. «Die Freude am schöpferischen Tun steht im Vordergrund», sagt Manuel – Abstriche in Sachen Sicherheit und Geld nehme man dafür in Kauf. Arbeitsstunden zählen? Mindestlohn? «C’est utopique», sagt Stéphane. Das wisse jeder, der sich für eine freischaffende Tätigkeit entscheide.

Ob das Publikum auch weiss, wie knapp solche Theaterproduktionen finanziert sind, ist allerdings eine andere Frage – fünf Tage nach der «Egon»-Premiere ist Mindestlohn-Abstimmung.

Bei «Egon» kommen zum bisherigen Buffpapier-Stil erst noch neue, aufwendige Elemente hinzu. Zum einen die Live-Musik mit drei Musikern. Zum andern eine Installation mit Videoprojektionen, entwickelt vom Basler Künstler Tom Senn. Und natürlich das Velo, Egons «Prothese», das auf der 17 Meter langen Spielfläche mitten im Publikum seine eigene Geschichte erzählen wird.

Dieser Text erschien in der Mai-Ausgabe von Saiten.

buffpapier.ch
Dienstag, 13. Mai (Premiere) bis Samstag, 17. Mai, 20.30 Uhr, Grabenhalle St.Gallen

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