, , 27. August 2023
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Gegen die Systemschulen

Zwischen Staatsablehnung, braun-esoterischem Gedankengut und dem Bedürfnis nach neuen Lernformen – problematische Pädagogik und Pop-up-Privatschulen in der Ostschweiz. Von Lotta Maier, Roman Hertler und Corinne Riedener

(Illustrationen: Bastian Riesen)

Mit der Einführung von Coronatests und Masken an den Schulen wurde der Samen gepflanzt, dann gewässert vom Glauben an pilzverseuchte Masken, tödliche Tests, Zwangsimpfungen und Genspritzen, gedüngt mit weiteren Verschwörungsmythen. Ein kaum zu überschauender Wildwuchs in der Bildungslandschaft entstand. Telegramgruppen wurden gegründet, YouTube-Kanäle bespielt und Vernetzungstreffen organisiert. Alles, um die Kinder aus dem öffentlichen Bildungssystem, den «Systemschulen», herauszuholen und Parallelstrukturen aufzubauen. Ein schweizweites Problem, das auch vor der Ostschweiz nicht haltmacht. Mindestens fünf Schulen in der Region können problematischen Kreisen zugeordnet werden.

Das Angebot ist schier grenzenlos, der Markt boomt. Jeden Tag ploppen neue sogenannte Lernorte, Homeschooling-Gruppen und Vernetzungstreffpunkte auf. Selbst für rechtliche Hilfe ist gesorgt, sollte es Ärger mit Behörden geben. Am Eingang des Lernorts Campus- Vivere etwa, einer Privatschule in Rikon bei Winterthur, die offen mit Staatsverweigerern und der Anastasia-Bewegung (siehe Glossar) zusammenspannt, hängt gar ein Schutzbrief der Reichsbürger:innen-Organisation Institut Trivium United. Trivium bereitet entsprechende Schreiben für die Eltern vor und unterstützt sie notfalls auch bei einer Klage gegen die Behörden.

Vernetzung und Hilfestellung in der Szene funktionieren. Konzepte von bereits bewilligten Lernorten werden ausgetauscht und so von Kanton zu Kanton weitergereicht. Man gibt weiter, wie behördliche Inspektionen an den Schulen geschickt abgewickelt werden können und wie sich der Lehrplan 21 «alternativ» umsetzen lässt. Die Eltern und Menschen dahinter sind ein Potpourri aus New-Age-Hippies, Anastasia-Anhänger:innen, Reichsbürger:innen, Sektenanhänger:innen und Evangelikalen. Eine Grundhaltung wird geteilt: die Ablehnung der Coronapolitik. Die Ausmasse der Radikalisierung gewisser Kreise in der Post-Corona-Ära zeigen sich erst jetzt allmählich. Leidtragende sind besonders die Kinder.

Schetinin: Bildung made in Russia

Im Lernraum zum Eintauchen in Uznach arbeitet als sogenannte Lernbegleiterin Iris Autenrieth, das It-Girl der Schetinin-Pädagogik (Natürliches Lernen). Sie selber war einige Monate in der Tekos-Schule in Russland, jener Schetinin-Waldschule, die als Vorbild für die hiesige Abwandlung dieses pädagogischen Konzepts gilt. Inmitten der Pandemie verliess Autenrieth, eine studierte Pädagogin, Deutschland und zog in den Kanton Zürich. Kein Wunder, denn ihre hochumstrittenen pädagogischen Ansätze stossen in Deutschland auf Widerstand, in der Schweiz jedoch, insbesondere in der Ostschweiz, fallen sie auf fruchtbaren Boden.

«Offenes und freies Lernen entsteht durch den Kontakt des bioenergetischen Feldes. Wenn hier das Treffen gelingt, dann kann in 10 Tagen der Mathematikstoff der ganzen Mittelschule erfasst werden. Also auf 11 Jahre geteilte Mathematik in 10 Tagen. Das liegt am offenen, freien Miteinander. Wenn die polaren Strukturen (Kräfte) sich berühren, dann wird Wissen weitergegeben.» So wirbt der Lernraum zum Eintauchen in Uznach in einer Broschüre.

Die vom Kanton St.Gallen bewilligte Privatschule bezieht sich offen auf die Schetinin-Pädagogik und die sogenannte Wissensosmose. Iris Autenrieths Einfluss reicht jedoch weit über den Lernraum zum Eintauchen hinaus. Als gefragte Referentin schult sie andere Interessierte in der Schetinin-Pädagogik. Ausserdem betreibt sie in Thalwil ZH einen eigenen Homeschooling-Lernort namens Lernparadies im Verein Wohlleben, welchen sie gemeinsam mit ihrer Mutter führt. Ihren Vornamen schreibt Iris klein und mit Doppelpunkt davor – ein typisches Branding der Staatsverweigerungsszene, das sie als Mensch und nicht als Person kennzeichnen soll.

Der wohl bekannteste Protagonist der Schetinin- bzw. Lais-Pädagogik und damit des sogenannten «natürlichen Lernens» ist Ricardo Leppe. Im gesamten deutschsprachigen Raum ist er eine Szeneprominenz. Seine Onlineplattform und die dazugehörigen Telegramkanäle laufen unter dem Namen «WissenSchafftFreiheit». Sie dienen der Vernetzung und dem Aufbau neuer Lernorte. Leppe und Autenrieth veröffentlichten mehrere Lernvideos gemeinsam, unter anderem zu den Themen «Lernen geht über Beziehung» und «Schulen des Lebens».

Ricardo Leppe, 1990, ursprünglich Zauberkünstler und Gedächtnistrainer aus dem österreichischen Burgenland, bekennt sich zur Anastasia-Bewegung, zur Germanischen Neuen Medizin und zur Schetinin-Pädagogik, weshalb er von Fachleuten als höchst problematisch eingestuft wird. Im Sommer 2023 wurde er sogar vom grossen Esoterik-Kongress im Volkshaus Zürich als Gastredner wieder ausgeladen, nachdem Proteste gegen den Anlass angekündigt worden waren. Leppes wichtigste Botschafterin in der Schweiz heisst Anita respektive :anita – auch hier wieder die Schreibweise der Staatsverweigerungsszene.

«Happy Anita», mit bürgerlichem Namen Anita Gossow, tingelt missionarisch durchs ganze Land und hält Vorträge und Seminare ab, um den Aufbau neuer Lernorte zu unterstützen. Sie war auch schon auf dem Modelhof im thurgauischen Müllheim, dem zentralen Szenetreffpunkt im Fantasiestaat Avalon. Gegründet wurde er von Daniel Model, einem Unternehmer, der kürzlich wegen Unterstützung einer als staatsfeindlich eingestuften Reichsbürgergruppierung in Österreich verurteilt wurde. Der Modelhof diente ebenfalls als Seminarort für Riccardo Leppe.

Graswurzle: Schulen für die Parallelgesellschaft

Graswurzle ist ein Schweizer Verein, der eine Parallelgesellschaft aufbauen will. Sein Ziel ist nicht die Bekämpfung oder Überwindung des vorherrschenden Systems, sondern dass dieses irgendwann einfach obsolet wird. «Gemeinschaft von unten» nennen die Mitglieder ihr Unterfangen. Neben teils fragwürdigen und gefährlichen medizinischen Vernetzungsangeboten und landwirtschaftlicher Selbstversorgung gehören Schulen bzw. sogenannte Lernorte zu den wichtigsten Säulen dieser Bewegung. Auch die eingangs erwähnte Schule in Rikon gehört dazu.

In der Region St.Gallen listet die Website drei Bildungseinrichtungen auf: Romantisch gelegen, zwischen Hügeln und Wiesen in Ennetbühl im Toggeburg, befindet sich die Schule Ennet – ein Graswurzle-Projekt. Der Verein Freie Schulen Toggenburg hat die Liegenschaft gemäss CH Media im Frühling 2022 für 438‘000 Franken gekauft. Auch die Schule am Steinlibach in Thal, ein Lernangebot von Kindergarten bis Oberstufe, wird auf der Website als Partner der Graswurzle-Bewegung angegeben. Ausserdem gibt es ebenfalls in Thal den schweizweit tätigen Verein Time4, eine Graswurzle-Alternative fürs Berufs- und Mittelschulalter. Er wirbt mit dem Slogan «Lerne was, wann, wo und wie du willst». Time4 verkauft sich als Anschlusslösung für Jugendliche nach der obligatorischen Schulzeit, als «dritter Bildungsweg». Es bildet damit eine Art Schlussstein für solche parasystemischen Bildungswege. Beworben werden all diese Bildungseinrichtungen in den Szenekanälen des Messengerdiensts Telegram, nicht selten zwischen Einträgen über antisemitische Verschwörungsmythen, Chemtrails und allerlei esoterischen Auswüchsen.

Der Sektenexperte Georg Schmid von der Beratungs- und Dokumentationsstelle zu Sektenfragen Relinfo hat sich eingehend mit der Graswurzle-Bewegung beschäftigt. Im Gespräch mit Saiten bestätigt Schmid, dass Graswurzle eine grosse Nähe zur Staatsverweigerungsszene zeige. Der Verein veranstalte Seminare über Prepping, Germanische Neue Medizin und den Aufbau von Parallelstrukturen. Besonders die Graswurzle-Schulen seien als problematisch einzustufen. Ein weiteres Problem sei deren steigende Anzahl, da diese Schulen massgeblich eine nächste Generation prägten.

Zwischen Attachment Parenting und Ricardo Leppe

In Speicher hat diesen Sommer der Lernort GWunder, ein schulisches Angebot für natürliches Lernen, seine Pforten geöffnet. Bis im Januar dieses Jahres wurde für den Aufbau der Schule unter anderem auf graswurzle.ch geworben. Dann wurde der Eintrag gelöscht. Man wolle nicht mehr mit der Bewegung in Verbindung gebracht werden, gaben die Vertreter:innen der Schule im Gespräch mit Saiten an.

«Natürlich» und «bindungsbasiert» lernen – klingt flauschig. Klingt nach harmloser Landlieberomantik. Diesen Begriffen liegen jedoch esoterische und in Teilen braun- respektive völkisch-esoterische Erziehungskonzepte zugrunde, vor denen Expert:innen warnen. Der kanadische Erziehungspsychologe Gordon Neufeld etwa, auf den sich der Lernort GWunder (neben Ricardo Leppe und anderen) in seinem Konzept beruft, ist aufgrund seiner Theorien zum «bindungsbasierten Lernen», auch Attachment Parenting genannt, ziemlich umstritten.

Attachement Parenting heisst weit mehr als Tragetücher, Windelfreiheit, Familienbett und Globuli. Neufeld behauptet unter anderem, dass gleichaltrige Kinder in einer Peergroup ihren Altersgenoss:innen schaden und sie sogar zu Amokläufen animieren oder in den Suizid treiben können. Dies führt er zurück auf eine frühkindliche Traumatisierung, nicht bei der Mutter zu sein. Viele Anhänger:innen dieses Erziehungsstils lehnen Einrichtungen wie Kitas darum ab und propagieren «unschooling». Dies macht Neufelds Ansätze auch anschlussfähig für ultrakonservative Gruppen in Nordamerika ebenso wie für die rechtsextreme deutsche Partei AfD, wie unter anderem die Heinrich-Böll-Stiftung in einem 2016 veröffentlichten Bericht schreibt. Neufelds Konzept des bindungsbasierten Lernens wird von vielen Fachleuten im Bereich Entwicklungspsychologie abgelehnt.

Im Schulkonzept von GWunder ist zu lesen: «Das bindungsbasierte Lernen bildet sowohl am Lernort als auch im selbstorganisierten Lernen (SOL) in Begleitung der Eltern eine wichtige Grundlage für das pädagogische Konzept.» Dagmar Neubronner, Übersetzerin der Neufeld-Literatur und Vorkämpferin des bindungsbasierten Lernens im deutschsprachigen Raum, bewegt sich laut Psiram, einem Wiki, das sich gegen Pseudowissenschaften, Esoterik und Verschwörungsmythen stark macht, im braun-esoterischen und verschwörungstheoretischen Umfeld und wirbt offen für die Germanische Neue Medizin. Zudem publizieren Neufeld und Neubronner auch im neurechten Magazin «eigentümlich frei». An Bildungsevents unter dem Motto «Die Zeit ist reif!! Leben ohne Schule?!» traten nebst Referent:innen von bindungsbasiert.ch auch Ricardo Leppe, Dagmar Neubronner und Anastasia-Anhängerin Catharina Roland vom →«Manifest der neuen Erde» auf.

Mirroco: digitale Schnittstelle von bindungsbasiertem und natürlichem Lernen

Um die Lernfortschritte zu dokumentieren, nutzen einige Schulen aus einem potenziell problematischen Umfeld die Plattform «Mirroco». Auch GWunder nutzt gemäss Konzept diese Plattform. Mirroco steht für «mirror of competences» und wurde ursprünglich für das Homeschooling entwickelt, mittlerweile wird es jedoch auch an Privatschulen eingesetzt. Paula Duwan, Initiantin von Mirroco, ist selber am internationalen Neufeld-Institut in Vancouver tätig und ausgebildet in der Neufeld-Pädagogik des bindungsbasierten Lernens. So ist auch das Konzept von Mirroco nach bindungsbasierten Gesichtspunkten aufgebaut und bildet die Grundlage für diese Plattform.

Klick auf die Mirroco-Website: Sie wirkt wissenschaftlich-seriös, ansprechend und klar. Die Initiant:innen dahinter sind es jedoch weniger. Anna-Martina M. ist eng mit dem Projekt Mirroco verbunden. Sie betreut sowohl den Bereich Homeschooling als auch die Privatschulen, die Mirroco nutzen. Anna-Martina M. hat ihre Ausbildung für natürliches Lernen nach dem Lais-Prinzip im österreichischen Klagenfurt absolviert und versucht bereits seit 2015, Lais-Lerngruppen und Lernorte in der Schweiz aufzubauen – seit der Pandemiezeit mit zunehmendem Erfolg.

«Die Motivation dazu kommt aus der Idee, in unserer Nähe ein Umfeld für natürliches Lernen und einen natürlichen Umgang im Leben zu schaffen. Die Anstösse kommen aus Russland und Österreich mit der Schetinin- und Lais-Schule», schreibt Anna-Martina M. schon 2015 in einer Einladung zu einem Vernetzungstreffen auf schulstube.jimdofree.com. Sie ist aktiv in der Szene, schreibt unter anderem für das Reichsbürger:innen- und GNM-Lifestyle-Magazin «ABiomatik». In ihrem Telegramkanal «Begleitung und natürlich Lernen» verbreitet sie nebst Schetinin-Propaganda auch Weiterbildungen für Mirroco. Auch ist sie in der Graswurzle-Bewegung aktiv und vertrat am diesjährigen Graswurzle-Sommerfest in der Gärtnerei Botti im aargauischen Stetten, einem der wichtigsten Treffpunkte der Szene, das Bildungsforum Schweiz mit einem Stand.

Auf der digitalen Lernplattform Mirroco scheinen sich die Fäden von natürlichem und bindungsbasiertem Lernen zu verknüpfen. Mirroco führt auch Listen mit Lehrpersonen, die ihr Diplom für die Bewilligung von Homeschooling zur Verfügung stellen, wo es der Kanton verlangt.

Werner Reisinger, Journalist in Wien und Experte für Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien, publizierte mehrfach zum Thema Lais-Schulen und Anastasia-Bewegung in Österreich. Im Gespräch mit Saiten sagt er, dass die Szene sich seit 2016 gewandelt habe. In diesem Jahr gab es umfangreiche investigative Recherchen und Fernsehberichte über die hochproblematischen Lais-Schulen, was in Österreich zu parlamentarischen Vorstössen und später zur Schliessung der Schulen geführt hat. Auch jene Schule in Klagenfurt, an der Anna-Martina M. von Mirroco einst ihre Ausbildung absolvierte, wurde geschlossen.

Auf die vorbelasteten Begrifflichkeiten wie Schetinin- und Lais-Pädagogik wird seither weitgehend verzichtet und stattdessen nur noch vom unverfänglicher klingenden «natürlichen Lernen» gesprochen. «Das dient vor allem Verharmlosungszwecken», sagt Reisinger. Es führe zu einer grösseren Anschlussfähigkeit über die konservativen und braun-esoterischen Kreise hinaus. «Schule ist der Ort, an dem Privates und Gesellschaft zusammenlaufen. Die ultimative Gefahr liegt in der ideologischen Komponente in diesen Kreisen», sagt Reisinger.

GWunder distanziert sich von Leppe

Mirroco nutzt einschlägige Telegramkanäle aus dem Spektrum der Anastasia- und der Reichsbürger:innen-Bewegung zum Bewerben der Angebote. Auch GWunder hat seine Schule in zwei solchen Kanälen beworben. Will man damit bewusst Eltern aus diesem Spektrum ansprechen? Im Gespräch mit Saiten beteuern GWunder-Vereinsvorstand und -Schulleitung, alle Einträge in diesen Kanälen gelöscht zu haben und nicht mit dieser Bewegung in Verbindung gebracht werden zu wollen. Von einer rechtsgerichteten oder gar braun-esoterischen Gesinnung distanziert sich GWunder explizit und mit Nachdruck. Man wolle keine spezifischen Gruppierungen ansprechen, sondern respektiere «Menschen aller Gesinnungen, Religionen, Hautfarben und Geschlechter».

Trotzdem ist eine der Schulleiterinnen von GWunder immer noch im Telegramchat von Ricardo Leppe. Zudem wirbt GWunder auf «Humanitas net Schweiz». Diese Lernvernetzungsplattform wird von mehreren Reichsbürger:innen und Verschwörungsgläubigen betrieben, unter anderem von Noah Carlino, einem Mitgründer von Aufrecht Schweiz, der auch mehrmals mit der rechtsextremen Jungen Tat auf Demos zu sehen war. Auf humanitasmap.org wird für Speicher unter dem Titel «Eine Schule entsteht» der Lernort GWunder beworben – mit dem Vermerk: «kein Maskenzwang, kein Zertifikatszwang». Verfasst wurde der Eintrag, der bei Redaktionsschluss Mitte August immer noch online war, mit grösster Wahrscheinlichkeit vom Lernort selber. Zumindest legen das die «Wir»-Formulierungen nahe. Im Gespräch mit Saiten gibt GWunder an, sich an staatliche Massnahmen zu halten. Die Diskussion über mögliche in Zukunft definierte Massnahmen oder Pandemien sei ohnehin spekulativ.

Im vom Ausserrhoder Regierungsrat bewilligten Konzept des Lernorts GWunder, das Saiten vorliegt, wird explizit erwähnt, dass die Pädagogik von Ricardo Leppe in den Unterricht einfliessen soll und seine Lernmethoden angewendet werden. Im Gespräch mit Saiten distanziert sich das GWunder-Team von Leppe. Die Schulleitung betont, das Konzept sei «sorgfältig und bedacht über mehrere Jahre und mit fundiertem Fachwissen» erarbeitet worden. Man sei sich der problematischen Personalie Leppe nicht bewusst gewesen. Auch von Schetinin- oder Lais-Pädagogik habe man noch nie etwas gehört. Es bleibt offen, welche Ansätze von Leppe, Neufeld und anderen konkret bei GWunder angewandt werden sollen.

Für den Kanton scheint die Bezugnahme auf Leppe in den Bewilligungsunterlagen kein Problem dargestellt zu haben. Das Konzept sei «fundiert, gut strukturiert und nachvollziehbar», schreibt das Ausserrhoder Amt für Volksschule auf Anfrage von Saiten. So steht es auch in der Bewilligungsverfügung des Kantons, die vorläufig für drei Jahre gilt. Die Namen Leppe und Neufeld seien im Konzept genannt worden, welche pädagogischen Ansätze genau aus diesen verschiedenen Methoden eingesetzt würden, sei aber nicht ausgeführt, räumt das Amt ein.

Im Zuge des Bewilligungsverfahrens sei darauf eingegangen worden, «dass die Lernenden keinen pädagogischen oder weltanschaulichen Einflüssen ausgesetzt werden dürfen, die den Bildungs- und Erziehungszielen der Volksschule zuwiderlaufen». Solche Absichten seien von GWunder im Gespräch mit dem Kanton «klar verneint» worden. Solange dies der Fall sei, gelte die Lehrfreiheit, zudem sei der Lehrplan Appenzell Ausserrhoden verbindlich. Die Aufsicht über den Lernort sei sehr engmaschig eingerichtet, sprich: persönlicher Austausch und Berichterstattung über selbstorganisiertes Lernen jedes Quartal sowie Unterrichtsbesuch und Reporting aus der Schule jedes Semester.

Ideologisierung: Wenn Glaube zur Wahrheit wird

GWunder hat nach den Sommerferien den Betrieb aufgenommen. Im Gegensatz etwa zur Graswurzle-Schule Lernraum zum Eintauchen in Uznach, die schon mehrfach in den Medien war, kann man GWunder nicht zweifelsfrei der Staatverweigerungs- oder rechtsesoterischen Szene zuordnen. Zumindest schwimmt der Lernort aber in deren Fahrwasser, wenn auf deren Kanälen Werbung gemacht wird. Einerseits möchte GWunder nicht mit Staatsverweigerern, Rechtsesoterik, Graswurzle und anderen Bewegungen in Verbindung gebracht werden. Es heisst, man wisse um die Problematik gewisser Lerninhalte und Kreise, in denen sie verwendet werden. Andererseits beruft sich GWunder auf umstrittene Persönlichkeiten, die in ebendiesen Kreisen grosses Ansehen geniessen, und will deren Konzepte nun anwenden. Solche Widersprüche lassen sich nicht wegdiskutieren.

Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, alternative Lernformen und -methoden anzuwenden, solange man sich an die kantonalen Lehrpläne hält und die Kinder keine überdurchschnittlichen Lerndefizite entwickeln. Schwierig wird es dann, wenn radikale, esoterische und unwissenschaftliche Weltbilder vermittelt werden. In einer ideologischen Echokammer lässt sich nur schwerlich ein breites gesellschaftliches Verständnis aufbauen. Auch die Matura in zwei Jahren zu meistern, wie es die Schetinin-Pädagogik und ihr Posterboy Leppe propagieren, ist für Normalsterbliche schlicht unmöglich. Schulen, die solche Konzepte anwenden, sind hochproblematisch, da sind sich die Fachleute einig.

Leider sind solche ideologisch tickenden Schulen oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Was genau hinter den Türen passiert, ist schwer zu sagen und lässt sich auch schwer überprüfen. «Natürlich lernen», «frei lernen», «selbstorganisiert lernen» – die Versprechungen klingen verlockend, das Problem wird flauschig verpackt. Dieses Verschleiern der ideologischen Interessen dient auch als Taktik, um Anschlussfähigkeit zu generieren. Man kann es darum weder Behörden noch Eltern oder Lehrpersonen übelnehmen, wenn sie nicht hinter die Fassade von Schetinin, Leppe und Konsorten blicken. Aber man muss sie kritisieren, wenn sie sich wissentlich mit diesen Konzepten und Kreisen gemein machen.

Sozialwissenschaftler Marko Kovic sieht das ähnlich. Bei Anastasia bzw. der Schetinin-Pädagogik vermutet er nicht nur esoterische, sondern sektenähnliche Züge, was für Kinder hochproblematisch sei. Bei den Graswurzle-Schulen sieht Kovic das grösste Problem darin, dass sie aktiv Teil der Anstrengung sind, parallelgesellschaftliche Strukturen zu bilden. «Der übergeordnete ideologische Rahmen ist die Ablehnung demokratischer gesellschaftlicher Strukturen», erklärt er. «Wenn Eltern ihre Kinder in solche Schulen schicken, dürfte das einerseits also ein Symptom einer Art Systemverdrossenheit sein. Andererseits wird diese Weltanschauung durch den Schulbesuch bei Kindern und Eltern nochmals gefestigt.»

Dieser Artikel und die gesamte Recherche im Septemberheft wurde vom Saiten-Recherchefonds mitfinanziert. Die Redaktion hat sich für die Recherche Verstärkung von LOTTA MAIER geholt. Ihren bürgerlichen Namen gibt sie aus Sicherheitsgründen nicht preis. Lotta recherchiert seit Jahren zu den Themen Rechtsextremismus, Esoterik und Staatsverweigerung. Sie war Teil des Recherche-Kollektivs Die Betonmaler*innen. X (früher Twitter): @maier_lotta

1 Kommentar zu Gegen die Systemschulen

  • Jessica Henner sagt:

    Dieser Artikel ist sehr einseitig geschrieben und meinem Eindruck nach schon stark voreingenommen verfasst. Ich vermisse hier zumindest einen Verweis oder eine anschliessende sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema Alternative Lernformen. Diese gibt es auch jenseits von Esoterik, Verschwörungstheorien und Rechtsausrichtung. Es gibt immer mehr erfahrene PädagogInnen, Psychiater- und TherapeutInnen, WissenschaftlerInnen aus diversen Fachgebieten, die das staatlich-öffentliche Schul- und Lernsystem in Frage stellen. Und dies aus wissenschaftlich belegten Gründen. Stress, Druck und Angst (zb. vor schlechter Bewertung) sind keine guten Lernbegleiter. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass immer mehr Kinder und Jugendliche immer früher psychische Probleme entwickeln und mit massiven Stresssymptomen zu kämpfen haben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich einmal tiefergehend mit Maria Montessoris Werken zu befassen. Nur weil bestimmte Kreise sich mit dieser Thematik befassen, ist das noch lange kein Grund, diese so undifferenziert und unsachlich kategorisch zu verteufeln.

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