, 15. April 2023
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Nägel

Warum unsere Kolumnistin Anna Rosenwasser trotz Minus auf dem Bankkonto Glitzernägel braucht. Und warum es jeder Person offenstehen soll, sich schön zu fühlen und ihr Geschlecht so zu betonen, wie es ihr passt.

Ich steppe aus dem Haarsalon und fühle mich so schön. Letzte Woche hab ich mir meine jährliche Maniküre gegönnt, und: so pretty?!! Vor etwas weniger als einem Monat war ich bei der Kosmetikerin für eine Gesichtsbehandlung, ich hab jetzt eine schöne Augenbrauenform. Ich bin eine Prinzessin. Das optische Entzücken in Person. Chasch na? Ich nüm. Mein Bankkonto übrigens auch nüm, ich bin im vierstelligen Minusbetrag momentan. Aber: Glitzernägel.

Geld dafür auszugeben, dass Fachpersonen meine Haare schneiden, mein Gesicht pflegen und meine Nägel lackieren, gibt mir ein schönes Gefühl. Ich muss an dieser Stelle zugeben, als rasende Feministin, dass alle diese Dienstleistungen für mich etwas mit meinem persönlichen Frausein zu tun haben. Ich fühle mich in meiner Identität als Frau bestätigt und zudem dekoriert, wenn ich mich frisieren, formen und bepinseln lassen kann. Das geht nicht allen Frauen so, aber vielen. Für Männer gibts ja auch allerlei Dekorationen, von Gentlemen-Frisörsalons wimmelt es ja nur so, überall werden Haartransplantationen beworben und auf den Langhantelbereich von Gyms habe ich schon lange keinen Bock mehr, weil das quasi zum Männer-Beautysalon geworden ist.

Anna Rosenwasser, 1990, wohnt in Zürich und ist freischaffende Journalistin. Sie schreibt seit April 2019 die «Nebenbei gay»-Kolumne von Saiten.

Versteht mich bitte alle richtig: jedem Menschen seine eigene Beauty. Ob Langhantel oder Maniküre (die Kombination ist übrigens schwierig, aber nicht unmöglich, ich teste das immer mal wieder). Was ich sagen will, ist nicht, dass irgendwelche Schönheitsdienste falsch sind (wenn, dann die Ideale dahinter!), sondern: dass sie stark, stark gegendert sind. Jeder Person soll es offenstehen, sich schön zu fühlen und ihr Geschlecht so zu betonen, wie es ihr passt. Und ich glaube, die wenigsten Menschen um mich herum würden mir da widersprechen, vielleicht auch deshalb nicht, weil sie selbst blondierte Haare haben oder Tattoos und Piercings oder einfach bloss ein Brillengestell auf der Nase, das ihnen gefällt.

Als ich vorhin zeilenlang von Frauen und Männern geschrieben habe: Da haben die meisten von euch sich automatisch cis Frauen und cis Männer vorgestellt, also Menschen, die sich nach wie vor mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Wir cis Menschen dürfen uns unser Geschlecht mit optischen Eingriffen und Dekorationen gern bestätigen, das gilt als normal. Bei trans Menschen aber kommt der grosse Aufschrei: Undenkbar, dass ein Mensch eigene Entscheidungen trifft, die ihn in seinem Geschlecht bestätigen und stärken, wie auch immer das aussehen mag!

Rosa Buch: Anna Rosenwassers gesammelte Kolumnen, erschienen beim Rotpunkt-Verlag in Kooperation mit Saiten

Wir leben nicht nur in einer Welt, in der wir cis Menschen unsere eigene Genderidentität gerne dekorieren und bestätigen, sondern auch in einer Welt, in der über Körper von noch nicht mündigen Menschen entschieden wird: Irgendwie ist das Ohrlochstechen von mega jungen Kindern, meistens Mädchen, total normal. Medizinisch nicht notwendige Operationen an intergeschlechtlichen Babys sind in der Schweiz noch immer nicht verboten. Ebenso das (medizinisch ebenfalls meistens nicht notwendige) Entfernen der Vorhaut eines Neugeborenen. Wir entscheiden anhand des Geschlechts gerne über unsere eigenen Körper, oft sogar über denjenigen von anderen. Aber sobald es um trans Menschen geht, finden wir die Vorstellung von geschlechtsspezifischen Entscheidungen – Kleidung, Schminke, Hormone, Operationen – total absurd. Vielleicht sagt das wenig darüber aus, welche dieser Entscheidungen tatsächlich verwerflich sind. Und mehr darüber, dass wir uns freie trans Menschen noch nicht vorstellen wollen.

Das muss sich ändern.

Dieser Beitrag erschien im Märzheft von Saiten.

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