, 11. April 2023
keine Kommentare

Wenns einschlägt

Foudre von Carmen Jaquier spielt zwar in der Vergangenheit, stellt aber durchaus zeitgenössische Fragen an die sexuelle Erweckung. Am Donnerstag ist die Regisseurin im St.Galler Kinok zu Gast.

Lilith Grasung verkörpert Elisabeth grossartig. (Bilder: Filmstills)

Wer kann sich noch an den ersten Kuss erinnern? An die erste Berührung mit fremder Haut, ans leise Geflüster und die Geheimnisse? Oder an die vielen Fragen und den Moment, wo es plötzlich keine Worte mehr brauchte, um sich selber und das Gegenüber in aller Gänze zu sehen? Nach diesem Film vielleicht wieder einige mehr …

In Foudre erzählt die die Genfer Regisseurin Carmen Jaquier in starken und ansteckenden Bildern von der sexuellen Erweckung einer Gruppe Jugendlicher, insbesondere einer jungen Frau. Als Zuschauerin kommt man fast nicht drumrum, sich an die eigenen Gefühle von damals zu erinnern. Und möglicherweise ein wenig wehmütig festzustellen: Diese Zeit gibt es nur einmal im Leben.

Auf Innocentes Spuren

Hinter jedem Baum frömmelts. Hier gibt es nur Himmel, Hölle und die Feldarbeit. Doch Elisabeth, unter ständiger Beobachtung der alten und vor allem der jungen Männer im Dorf, lässt nicht locker und begibt sich auf Innocentes Spuren. Sie entdeckt ihr Geheimnis, lässt sich davon tragen und quälen und findet schliesslich mithilfe dreier Weggefährten ihren eigenen Zugang zur erkenntnisreichen Hinterlassenschaft der Schwester. So wird aus einer Gläubigen eine Spirituelle.

Foudre: ab 13. April (20 Uhr, Premiere in Anwesenheit der Regisseurin), Kinok St.Gallen

kinok.ch

Der Weg dahin ist fast so unüberwindlich wie die Bergwelt, in der dieser Film spielt. Die Dorfgesellschaft ist geprägt von Scham- und Minderwertigkeitsgefühlen. Der Glaube an Gott darf den Menschen ihre tiefste Intimität abverlangen – nicht so die Lust, die rein gar nichts darf, die nicht einmal existieren darf. Elisabeth (gross: Lilith Grasmug) und ihre Gefährten Emile (Benjamin Python), Pierrot (Noah Watzlawick) und Jospeh (Mermoz Melchior) erfahren das schmerzlich. Wobei die jungen Männer noch buchstäblich mit einem blauen Auge davonkommen, im Gegensatz zu Elisabeth.

Bogen in die Gegenwart

Carmen Jaquiers erster Spielfilm verknüpft geschickt Vergangenheit und Gegenwart. Die zeitgenössische, ebenso sinnliche wie kolossale Bildsprache von Kamerafrau Mariane Atlan, die liebevolle Ausstattung, der pointierte Soundtrack und das eindrückliche Spiel des jungen Ensembles unterstreichen diesen Bogen.

Gemeinsame Trauerarbeit: Elisabeth, Emile, Pierrot und Joseph.

Angesiedelt ist der Plot in einer historischen Zeit, weit vor der sexuellen Befreiung. Jaquier zeigt eindrücklich, wie traumatisch die Dogmen der Schamgesellschaft für die Entwicklung junger Menschen – insbesondere Frauen – sind. Wie jegliche Lust im Keim erstickt wird und sich das Schweigen von einer Generation in die nächste schleicht.

Heute mag der gesellschaftliche Umgang mit Sex und Sinnlichkeit offener sein, auf jeden Fall wortreicher, trotzdem ist die Frage, die der Film stellt, eine zeitgemässe und eine, die uns auch noch in Zukunft beschäftigen wird: Wie kommen wir zu einem aufrichtigen, zugewandten und forschungsfreudigen Lustleben?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!