, 1. April 2023
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«You are shady that’s why you feel shady»

Im Zeughaus Teufen eröffnet heute Samstag die erste Ausstellung des neuen Leitungsteams Lilia und David Glanzmann. Zum Auftakt haben sie das Kollektiv NCCFN eingeladen. Larisa Baumann hat mit Nina Jaun von NCCFN über die Ausstellung gesprochen.

Nina Jaun (mitte) ist Teil des achtköpfigen Kollektivs NCCFN. (Bilder: Larisa Baumann)

Drei Wechselausstellungen pro Jahr haben Lilia und David Glanzmann im Zeughaus Teufen geplant, wobei die beiden Kuratierenden den Fokus auf Design, Kunst und Architektur legen. Heute Samstag eröffnet «Applied Utopia», die bisher grösste Einzelausstellung des Kollektivs NCCFN (kurz für Nothing Can Come From Nothing).

Für die Ausstellung hat sich die Gruppe aus Designer:innen, Handwerker:innen, und Kunstschaffenden intensiv mit ihrer eigenen Schaffensweise und dem System Mode auseinandergesetzt. Mittels verschiedener Medien und Materialien geben sie Einblicke in das Handeln von NCCFN und laden das Publikum dazu eingeladen, ganz grundsätzlich über Nachhaltigkeit und das eigene Konsumverhalten zu reflektieren.

Im Interview erklärt Nina Jaun von NCCFN, wie das Kollektiv tickt, was es mit den Schuhen auf sich hat und warum es okay ist, verunsichert zu sein, wenns um das Thema Nachhaltigkeit geht.

Saiten: Die Ausstellung trägt den Titel «Applied Utopia». Inwiefern handelt es sich dabei um angewandte Utopie?

Nina Jaun: Allgemein betrachtet heisst «Applied Utopia» für mich mit dem Existenten zu arbeiten und sich das Nicht-Existente auch vorstellen zu können. Das heisst, die Vorstellungskraft zu haben, dass die Normen und Gewohnheiten im Alltag alle veränderbar sind. Das geht hin bis zu Gesetzen, die wir haben und bis zur Globalität oder Lokalität, in der wir leben. Das alles kann wandelbar sein. Es geht auch sehr fest um Selbstbestimmung.

Applied Utopia – NCCFN:
1. April bis 4. Juni, Zeughaus Teufen

Infos und Rahmenprogramm:
zeughausteufen.ch

In Bezug auf die Ausstellung zieht sich der graue Teppich durch den Raum. Darauf befinden sich farbige Flecken aus künstlichen und natürlichen Materialien, wie Kunstrasen, Kies oder Sand. Diese könnte man als Inseln der Utopie betrachten. Wir haben hier die Welt und die Welt ist ein Marktplatz. Die Ausstellung stellt eigentlich eine solche Welt dar, die zum Marktplatz geworden ist und von der wir Menschen durch ständiges Handeln Teil davon sind. Handeln ist dabei zweideutig gemeint: einerseits im Sinn von globalem Dealen und Geschäften mit Menschen und Material und andererseits auch im Sinn von eigenem Handeln, von Entscheidungen treffen und sein Tun hinterfragen und bestimmen.

Ist auch NCCFN angewandte Utopie?

Ja, insofern dass wir mit Bestehendem arbeiten: Wir arbeiten grundsätzlich mit Restposten und Fehlproduktionen aus diversen Textilfirmen oder der Modebranche. Mit solchen Kleidern zu arbeiten, sie zu dekonstruieren und neu zusammenzusetzen ist für mich bereits eine angewandte Utopie.

NCCFN existiert seit 2017. Wie ist das Kollektiv entstanden?

Wir haben uns als Kollektiv natürlich entwickelt – als Kolleg;innen, die lieber zusammen Sachen gemacht haben, anstatt nur zusammen zu konsumieren. Wir sind eine interdisziplinäre Gruppe, ein Kernteam, mit erweitertem Netzwerk. Die Kerngruppe diskutiert Projekte und fällt Entscheide. Wir sind kein Start-up und keine GmbH, die das Ziel hat auf konventionelle Art und Weise – also mit dem kapitalistischen Gedanken – zu wachsen. Die Nachhaltigkeit und Langfristigkeit als Gruppe besteht darin, dass wir immer noch als Individuen funktionieren können. In der Kerngruppe üben wir zum Teil auch noch andere Jobs aus und können so unsere Werte nach aussen tragen.

Was sind eure Werte beziehungsweise wie funktioniert ihr?

Wir haben uns bewusst entschieden, Teil der Modebranche und somit des Systems Mode zu sein, das extrem ausbeuterisch ist und mit der Überproduktion ein grosses Problem darstellt. Aber wir wollen nicht Teil des Problems sein, sondern mit diesen Problemen arbeiten. 20 Prozent aller Kleider werden ungetragen und unbeschädigt entsorgt. Wir arbeiten mit solchem Textilabfall und wir arbeiten stets projektspezifisch, wobei die Projekte von unserem Gegenüber finanziert werden, die riesige Firmen sind. Für uns ist es wichtig, dass wir in der Schweiz produzieren. Als Kollektiv sagen wir Jobs auch ab, bei denen es per se nur um Greenwashing geht. Nachhaltigkeit an sich ist ein extrem aktuelles Thema, von dem wir profitieren können. Interessanterweise kommt das Budget für unsere Zusammenarbeiten eigentlich immer aus dem Marketingbereich.

Wie ist das Key-Visual der Ausstellung entstanden?

Als Vorlage dazu dienten die Schuhe. Diese bilden das Schlüsselwerk der Idee dieser Ausstellung. Diese Schuhe sprechen gleich mehrere Themen an. Wir haben sie während eines Residency-Aufenthaltes in Kairo auf einem Markt gefunden. Es gibt dort sehr viele Märkte voller Secondhand-Kleider und auch Fakes, wie unter anderem diese Schuhe. Eine anonyme Person hat diese aus bereits Existentem kreiert, denn auf ihnen sind alles bekannte Logos aus der High-Fashion-Brand, wie Gucci, Chanel oder Luis Vuitton repräsentiert. So eine Fälschung ist sehr lokal gemacht und superanonym. Es handelt sich eigentlich um ein Original, ein Unikat, und ist daher ziemlich exklusiv. Wenn ich diese Schuhe nochmals möchte, werde ich sie nicht mehr finden. Im Gegensatz dazu kann man ein paar Luis Vuitton-Schuhe jederzeit nachbestellen.

Inwiefern spielt die Farbe Grau eine Rolle in der Ausstellung?

Betritt man den Raum, sieht man den Titel «Shady / Shadiness». Was verschiedene Bedeutungen hat wie Schattierungen, das Graue, Zweideutigkeit oder Fragwürdigkeit. Als Nebentitel steht: «You are shady that’s why you feel shady». Dieser Satz bezieht sich darauf, dass wir uns alle in dieser Unklarheit bewegen, wenn es um Nachhaltigkeit geht oder eben darum, «richtig» zu handeln. Es gibt verschiedene Grautöne, es gibt nicht richtig und falsch. Es geht darum, möglichst selbstbestimmt in einer Situation zu entscheiden, ob etwas Sinn macht oder nicht: Wie weit darf ich reisen? Was darf ich tragen? Muss ich ganz lokal werden und kann ich nicht mehr global sein, mich austauschen und Kulturen teilen? Wo sind die Grenzen? Ich glaube da ist eine grosse Unsicherheit, als Individuum in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft auch immer verurteilt und kritisiert werden zu können. Es geht sicher auch grundsätzlich darum, wie die Menschen im Westen mit dem Rest der Welt umgehen.

Bild: NCCFN

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